Wenn sich „Geldgier“ und „Sicherheit“ am Nürburgring streiten

Im SPIEGEL ist zu lesen: „Rund 250.000 Runden drehen die Hobbyfahrer pro Jahr“ auf der Nürburgring-Nordschleife. Unfälle? - „In den Jahren 2009 und 2010 kam es zu keinem tödlichen Zwischenfall. Dies liege auch an den Vorsichtsmaßnahmen der Nürburgring Automotive GmbH, sagt deren Sprecherin Stefanie Hohn.“ - (Sie arbeitete vorher mal für „Phantasialand“.) Kommen wir zur Realität:

„Das ist einfach tolles Marketing“, kommentiert mein Gesprächspartner die Entscheidung der neuen privaten Betreibergesellschaft am Nürburgring, auch den Wochenanfang, den Montag, nun zum Geldverdienen zu nutzen.

Wenn sich „Geldgier“ und „Sicherheit“ am Nürburgring streiten

Seit jüngster Zeit gibt es den Touristenverkehr oder die so genannten „Track Days“ auch am Montag. Vorher wurde dieser Wochentag genutzt, um Schäden an Leitplanken und Strecke, die an den Vortagen entstanden waren, wieder gründlich zu beseitigen, um die Strecke im Interesse ihrer Nutzer wieder „sicherer zu machen“. - Was immer das heißen mag.

Eine Rennstrecke wie die Nürburgring-Nordschleife wird schon deshalb immer „unsicher“ sein, weil sie „von gestern“ ist, keine moderne – nennen wir sie mal -. „Retortenstrecke“. Wir, die wir auch „von gestern“ sind, lästern schon mal, dass ein moderner Rennstrecken-Architekt seine neuesten Kreationen wohl nur so erstellt, dass er sie auch selber fahren kann.

Die Nordschleife schnell zu umrunden, ist also für jeden Fahrer – egal mit welcher Qualifikation er hier erstmals antritt – eine schwierige Aufgabe. Ich selbst – und viele Fahrer einer vergangenen Generation – sind noch niemals auf der Nürburgring-Nordschleife die „erste Runde“ an irgendeinem Tag wirklich „maximal“ gefahren. In meinem Fall war ich immer erst ab der 3. Runde wirklich schnell unterwegs. Auch wenn ich vielleicht zum 1.000sten Male am „Ring“ war.

Dieser „Anpassungsphase“ an die jeweils aktuellen Streckenverhältnisse, die sich auf der rd. 21 Kilometer langen Berg- und Talfahrt ständig ändern können, sehen sich z.B. die Motorradfahrer durch die inzwischen auf 24 Euro pro Runde gestiegenen Kosten beraubt. Wenn man sich denn mal eine Runde „gönnt“, dann muss es die „eben bringen“. - Manchmal dann auch den Tod.

Stefanie Hohn, die Presse-Sprecherin der neuen privaten Betreibergesellschaft am Nürburgring sagte offenbar dem SPIEGEL, dass es „in den Jahren 2009 und 2010“ zu keinem tödlichen „Zwischenfall“ kam. Zitat aus dem SPIEGEL: „Ein Arbeitskreis aus Polizei, Rettungskräften, Marshalls und Streckensicherungspersonal verbessere stetig die Sicherheit des Touristenverkehrs.“

Nach meinen Beobachtungen ist der Anteil der Motorradfahrer bei den Touristenfahrten nach dem Ansteigen der Preise deutlich zurückgegangen. Bei den Autofahrern hat sich der Anteil der ausländischen „Nordschleifenumrunder“ deutlich vergrößert. Bei den derzeitigen Preisen – 24 Euro für eine Einzelrunde – ist die Nutzung der Nürburgring-Nordschleife für Touristenfahrten bei den vom SPIEGEL vermeldeten rd. 250.000 Runden pro Jahr ein wichtiges Geschäft. Und die neue private Betreibergesellschaft nutzt es eben aufgrund der inzwischen (durch „Nürburgring 2009“!) notwendigen Einnahmeergebnisse aus der Sicht von „kaufmännischen Beobachtern“ optimal.

„Das ist einfach tolles Marketing“, wenn nun auch Montags die Nordschleife für den Touristenverkehr freigegeben ist. Weil nun die wichtigen Reparaturen z.B. an Leitplanken auf Anweisung der Geschäftsleitung während der Nutzung durch die Touristen (aber auch nachts) vorgenommen werden müssen.

Natürlich setzt das die Einrichtung von Baustellen voraus. Da scheint die aktuelle Geschäftsleitung über persönliche Autobahnerfahrungen zu verfügen. Natürlich kommt es da zu Staus. Aber man wird ja auch vorgewarnt. - Natürlich kommt es da zu Unfällen. - Aber so ist halt das Leben.

Und so ist das Leben dann aktuell auch am Nürburgring. Auf der Autobahn ist die Nutzung (noch) kostenlos. Auf der Nordschleife zahlt man 24 Euro für eine Runde. Da diese Strecke als Rennstrecke ausgewiesen und bekannt ist, versucht man sie als Touristenfahrer „optimal“ zu nutzen.

Diese Touristenfahrten werden u.a. so beworben:

„TOURISTENFHARTEN
NORDSCHLEIFE
20,832 KM NERVENKTIZEL

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Auf der aktuellen Internetseite der privaten Betreiber ist aber auch zu lesen:

„Die Nordschleife ist zwar eine Rennstrecke, aber es gelten die normalen in StVO und StVZO enthaltenen, Verkehrsregeln wie z. B. das Rechtsfahrgebot.“

Die neuen Betreiber sind u.a. auch Vertrags-Partner von BMW in München und setzen eins der BMW-Spitzenmodelle für Taxifahrten ein. Auf „youtube“ ist ein Video zu sehen, wo so ein BMW-Taxi gerade im Streckenabschnitt „Brünnchen“ einen anderes Fahrzeug rechts überholt. Im Touristenverkehr, wo nach eigenen Vorgaben die StVO gilt, und damit auch vorgeschrieben ist, dass nur links überholt werden darf. (Die Polizei hat da auch – nach Beobachtungen aus dem Hubschrauber – Strafen ausgesprochen. An Touristenfahrer.)

Ein solches Verhalten, wie das von den privaten Betreibern für BMW eingesetzte „Taxi“ zeigt, hat natürlich Vorbildfunktion. Bei dem feststellbaren Bemühen, mit den angepachteten Rennstrecken „eine schnelle Mark“ zu machen, ist es denn auch kein Wunder, wenn es am 2. Oktober auf der Nordschleife zu einer Situation kam, die im Polizeibericht so dargestellt wird:

„02.10.2011, 22:26 - Polizeipräsidium Koblenz

Nürburgring, Nordschleife, Streckenabschnitt Bergwerk, Verkehrsunfall mit 8 Beteiligten - Ein Schwerverletzter und hoher Sachschaden
Am Sonntagnachmittag gegen 14:00 h kam es auf der Nordschleife des Nürburgrings im Rahmen einer Touristenfahrt zu einem schweren Verkehrsunfall, an dem insgesamt 8 Fahrzeuge beteiligt waren. Die Fahrer kamen dabei aus mehreren europäischen Ländern, wobei sich der Unfall offenbar in 2 Phasen abspielte.
Ursächlich für das Unfallgeschehen war vermutlich überhöhte Geschwindigkeit. So ist im Streckenabschnitt "Bergwerk" durch eine Baufirma ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter eingerichtet. Während drei Fahrzeugführer dies erkannten, konnte ein vierter Fahrer aus England nach Bremsversuch einen seitlichen Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Wagen jedoch nicht verhindern. Anschließend schleuderte er in den Grünstreifen und circa 50 m weiter wieder zurück auf die Fahrbahn. Hierbei stieß er noch gegen die beiden anderen vorausfahrenden Pkw.
Die sich so abspielende Unfallsituation wurden von drei weiteren Fahrern erkannt und sie konnten ihre Pkw abbremsen. Ein weiterer Wagen, das sogenannte Ringtaxi, prallte jedoch gegen einen der abbremsenden Wagen. Anschließend stieß das Ringtaxi noch gegen einen weiteren Pkw und kam links neben der Fahrbahn zum Stehen.
Bilanz des Unfalls: Ein Fahrer schwer verletzt; er musste in ein Krankenhaus in Koblenz gebracht werden. Zwei weitere Wagenlenker leicht verletzt, sie konnten nach ambulanter Behandlung ein Krankenhaus wieder verlassen. Bis auf ein Fahrzeug sind alle Pkw erheblich beschädigt und nicht mehr fahrbereit. Es entstand ein Sachschaden von weit über 100.000 €.
Die Polizei aus Adenau war mehrere Stunden mit der Unfallaufnahme beschäftigt. Zur Feststellung des genauen Hergangs wurde ein Gutachter hinzugezogen.“

Den Streckenabschnitt in dem es zu dem Unfall kam, würde ich mit „Kesselchen“ bezeichnen. Das ändert nichts am Geschehen. Lt. Polizeidarstellung war da „überhöhte Geschwindigkeit“ der Auslösegrund. Ich würde sagen: Der Auslösegrund war eine im dichten Touristenverkehr (bei herrlichem Sonnenwetter!) eingerichtete Leitplanken-Baustelle. Diese Arbeiten wären - „damals“ (noch unter „Landesaufsicht“) - immer am Montag ausgeführt worden.

So passierte hier das, was auch immer wieder bei Baustellen auf Autobahnen passiert: Man erkennt Situationen zu spät, reagiert falsch. - Obwohl man vorgewarnt sein müsste. Auch an der Nordschleifen-Einfahrt leuchteten in diesem Falle Hinweise auf, die aber wohl nicht beachtet wurden. Auch die Warnung vor der Baustelle wurde wohl falsch eingeschätzt. Bezeichnenderweise auch vom Fahrer des (wie es im Polizeibericht heißt) „Ringtaxi“.

Diese Benennung erfolgte wohl durch Mitarbeiter der Nürburgring Automotive GmbH, die nicht unbedingt wissen müssen, dass diese Bezeichnung seit Jahren für eine Nürburger Marketingfirma geschützt ist, was BMW ärgert. Und die Betreibergesellschaft, die nun auch auf diesem Gebiet der aktuelle Vertragspartner von BMW ist, ist nun gerne nett zu BMW.

Im Polizeibericht ist davon natürlich nichts zu lesen. Auch nicht, dass dieses – nennen wir es – Renn-Taxi (weil es sich nicht an die StVO hält) im Auftrag von BMW von den gleichen Leuten eingesetzt wurde, die auch für die Sicherheitshinweise verantwortlich zeichnen und auch dafür, dass Leitplankenreparaturen nun auch im dichten Touristenverkehr an einem Sonntagmittag erfolgen müssen. - Damit auch Montags die Kasse stimmt.

Davon wird sicherlich auch im demnächst vorgelegten Gutachten kaum die Rede sein.

Aber „überhöhte Geschwindigkeit“ ist immer ein guter Vorwurf, auch wenn er sich in Verbindung mit einer Runde auf der Nürburgring-Nordschleife, einer Rennstrecke, für die man als Nutzer dann 24 Euro zahlen muss, ein wenig eigenartig anhört.

Es gilt die Straßenverkehrsordnung. - Wann es die Betreibergesellschaft will. - Denn bei den so genannten „Industriefahrten“ werden z.B. die aufgestellten Schilder mit Geschwindigkeitsbegrenzungshinweisen so gedreht, dass sie nicht zu lesen sind.

Wie hätten Sie's denn gerne?

Die Polizei hört gerne passende Argumente. Weil sie (seit vielen Jahren!) auch entsprechende (natürlich „vertraulich“ zu behandelnde) Anweisungen „von oben“ hat. Die natürlich nur dann Anwendung finden, wenn es sich um Unfalle auf der Nürburgring-Nordschleife handelt, oder solche, die damit in Verbindung gebracht werden könnten.

Die Nordschleife blieb an diesem Sonntag dann ab dem Unfallzeitpunkt (14 Uhr) bis zum Abend geschlossen, was einen gewaltigen Einnahmeverlust bedeutet.

Aber der Montag ist ja inzwischen auch wieder ein Tag zum Kassieren! -

„Tolles Marketing!“

MK/Wilhelm Hahne

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