„Wir müssen nach vorn schauen!“

Dieser Satz bestimmte nicht den Vortrag eines Fahrlehrers, sondern war in unterschiedlicher Variation immer wieder bei einem „Tavernengespräch“ in Andernach zu hören, wo man unter dem Titel „Nürburgring aktuell“ interessante Fragen aus der umfangreichen Themenpalette einer politischen Affäre um den Nürburgring für „interessierte Fans und Gruppen“ durch „Experten“ beantworten lassen wollte. Von den Fans (und Interessierten) gab es dann im Biergarten der „Taverne Olympos“ so um dreißig. Für den „Offenen Kanal“ (OK4) wurde die Veranstaltung aufgezeichnet und wird demnächst dort (also lokal begrenzt) zu sehen sein. - Aufregend war für Motor-KRITIK nicht das Thema, sondern die angekündigten „Experten“. - Wollen Sie wissen, wie man politsch geschickt drängende Fragen mit vielen Worten nicht beantwortet? - Motor-KRITIK war jedenfalls erstaunt, wie schnell sich die Ansichten mancher der Politik verbundenen „Macher“ auch ändern können. - Und wie gering – zumindest offiziell – das Basiswissen ist.

„Wir müssen nach vorn schauen!“

Die Bühne im Biergarten war interessant besetzt. Es moderierte eine mir bisher unbekannte Dame: Ute Münch. Sie hatte sich offensichtlich gut vorbereitet, hielt in der linken Hand ein kleines Päckchen von kleinen Karten, auf der sie den geplanten Moderationsablauf notiert hatte.


Einer der „Experten“ war (links von ihr) der Verbandsbürgermeister von Adenau, Hermann-Josef Romes (CDU), den ich schon vor Wochen in der „Graf-Ulrich-Halle“ in Nürburg wie einen Künstler auf Abschiedstournee erlebt hatte. - Er wird sich im Februar 2014 nicht mehr zur Wahl stellen. Die CDU hat inzwischen einen Nachfolge-Kandidaten aufgestellt. Andere Parteien verfügen offenbar über keine geeigneten Kandidaten. Jedenfalls wurde bis heute niemand benannt.

Als „Mitglied des Untersuchungsausschusses Nürburgring“ war der Andernacher Rechtsanwalt Clemens Hoch ein weiterer interessanter „Experte“ (und – auf dem Foto) „Linksaußen“ in der Diskussionsrunde. Wer die Arbeit des Untersuchungsausschusses und des Herrn Hoch (SPD) verfolgt hat, der wundert sich nicht, dass Clemens Hoch durch „diese Leistung“ inzwischen in der Staatskanzlei der Mainzer Landesregierung seinen Platz gefunden hat und den Entscheidungsträgern in Mainz auch qualifiziert genug erschien, um z.B. zusammen mit Otto Flimm, dem Vorsitzenden von „Ja zum Nürburgring“, auf eine „Alibireise“ zur EU-Kommission nach Brüssel zu gehen.

Manfred Sattler, mit Software für den Möbelhandel erfolgreicher Unternehmer in Andernach, Bürgermeister von Wassenach, Präsident der IHK Koblenz und Vorsitzender des Vereins „Freunde des Nürburgrings“ besetzte als weiterer „Experte“ die Bühne im Biergarten der „Taverne Olympos“. Sattler ist in seiner Funktion als Vereinsvorsitzender schlecht einzuschätzen, bringt allerdings mit seiner Erfahrung als Unternehmer und Lizenz-Rennfahrer auch in Sachen Nürburgring einen real wichtigen Erfahrungsschatz mit ein, hat aber wohl selbst inzwischen auch gemerkt, dass mit der optimalen Umsetzung der Vereinsziele (entsprechend dem Vereinsnamen) auch eine ziemliche Gratwanderung verbunden ist. Die Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten wird zeigen, in welche Richtung Manfred Sattler den „Grat“ verschiebt.

In der Einladung war zu lesen gewesen:

„Interessierte Zuschauer sind willkommen. Der Eintritt ist frei.“

Ich hatte zwar – wie immer – meine Brille auf und auch meine „Oropax“-Ohrstöpsel zu Hause gelassen. Wenn man – wie in der Einladung zu lesen – auch „Fragen an die Experten stellen“ konnte, dann war es sicherlich nicht verboten zuzuhören. - Aber eigentlich war ich als Journalist vor Ort, nicht als „Experte“.

Also habe ich wortlos zugehört und – gestaunt.

Über Clemens Hoch zum Beispiel. Hier ein paar Zitate aus seinem neuen Reportoire, im Juli 2013:

„Mit dem Nürburgring verbinden mich viele schöne Jugenderlebnisse, da ich immer gerne Formel 1-Rennen besucht habe. Als ich älter wurde, habe ich lieber Fernsehen geguckt. … Der Mythos Nürburgring ist unzerstörbar. … Der größte Fehler war wahrscheinlich den Ausbau in dieser Dimension voran zu treiben. … Der Ring war vor dieser Zeit (Anmerkung: dem Nürburgringausbau) vollkommen defizitär. … Warum man davon abgegangen ist, „Wir fangen erst an, wenn wir private Investoren haben“, das hat der Untersuchungsausschuss nicht erhellt. … Wir hätten damals – vor 2009 – den Nürburgring nicht so am Leben erhalten können wie er damals war. … Daraus war die Motivation geboren: Wir sollen einen Ganzjahresbetrieb entwickeln. … Der Nürburgring ist im Wesentlichen immer mit dem Geld des Steuerzahlers bezahlt worden. … Die Zeit des Landes und der 'Öffentlichen Hand' ist leider am Nürburgring vorbei.“

Im Mai 2010 formulierte Clemes Hoch seine damalige Einschätzung so:

„Die schwierige Phase der vergangenen zwei Jahre ist vorbei. Die Fehler die gemacht wurden, sind durch Wirtschaftsminister Hendrik Hering korrigiert worden. Nur ein Fazit lässt sich wirklich seriös feststellen:

Das Land Rheinland-Pfalz hat sich um die touristische Entwicklung der Region auch mit dem Nürburgring verdient gemacht. Ein ähnliches Beispiel für die Weiterentwicklung einer Region gibt es in ganz Deutschland nicht.“

Man merkt deutlich, wie Clemens Hoch in drei Jahren gereift ist. - Und wo er Recht hat, da hat er Recht. (Lesen Sie noch mal den letzten Satz aus seiner 2010er-Version.)

Der Verbandsbürgermeister Romes ist im direkten Umfeld des Nürburgrings aufgewachsen und hatte sein erstes Positiv-Erlebnis mit dieser Rennstrecke, als er als Siebenjähriger durch das Einsammeln von leeren Flaschen nach einer Rennveranstaltung den damals ungeheuer hohen Betrag von 90 Mark erlöste. Natürlich hatte er auch Zweifel wegen des Projekts „Nürburgring 2009“, aber er hatte die schriftliche Zusage, dass dieses Projekt in der angedachten Form nur umgesetzt würde, wenn es z.T. privat finanziert sein würde. - Diese Situation ist aber niemals eingetreten.

Aber der Nürburgring wurde ausgebaut, neue Hotels und ein Feriendorf erstellt. Versprechen wurden nicht gehalten. - Josef-Hermann Romes zeigt sich enttäuscht. - Nun muss man eben nach vorne schauen! - Klar.

Sollte ich nun Josef-Hermann Romes daran erinnern, dass er zur Zeit, da eine Baugenhmigung zwar im Gespräch, aber noch nicht erteilt war, dem Leiter seines Bauamtes ein Auskunftsverbot in Sachen „Nürburgring 2009“ erteilte? - Aber es ging mit Teilbaugenehmigungen zum Ausschachten, dann für die Fundamente, dann für den Rohbau zügig voran. So lange, bis dann die Baugenehmigung für das Gesamtprojekt endlich im Herbst 2008 vorlag. - Zu diesem Zeitpunkt wäre auch nichts mehr zu stoppen gewesen!

Sollte ich jetzt den Herrn Verbandsbürgermeister daran erinnern, dass er unter Umgehung demokratischer Spielregeln (ohne Einschaltung des Verbandsgemeinderates) die Genehmigung für die Schallschutzmauer in Breidscheid durchzog, ohne dass – wie er damals argumentierte – ein zeitlicher Druck bestanden hätte? - Und wenn man die Abläufe beim Bau der FIA-Zäune beobachtet hat und auch den Bau der Lärmschutzwand... - Aber vielleicht erinnert sich Herr Romes nicht mehr. - Er ist jetzt auf Abschiedstournee. - Da tut Beifall gut.

Manfred Sattler machte auf die Marketing-Masche der Verkäufer des Nürburgrings (die Insolvenz-Sachwalter) aufmerksam und fand die eigentlich normal:

„Wenn Sie eine alte Waschmaschine verkaufen wollen, werden Sie auch nicht auf deren Macken aufmerksam machen, sondern darauf, dass man damit sauber waschen kann.“

Er verwies auch darauf, dass alle Rechnungen in dem fast 50seitigen Verkaufsprospekt Ideal-Rechnungen sind, die keinen Kapitaldienst, und, und, und enthalten, sondern nur Gewinnerwartungen wecken sollen. Sattler ist auch ins Detail gegangen, hat auf das neue Gesetz verwiesen, die einen evtl. Käufer (Investor) des Nürburgrings praktisch zwingt, der Öffentlichkeit Zugang zu gewähren. Er hat auch auf die Bedeutung der Touristenfahrten hingewiesen, die immerhin – bei den heutigen Preisen – ein Drittel der Einnahmen der Ring-Betreiber sicherstellen kann.

Alles richtig, habe ich zustimmend genickt und auf weitere Ausführungen „zur Sache“ gewartet. Sie kamen nicht. Weil er eigentlich auch nicht „im Thema ist“? - Scheint so. - Oder gehört so ein Vortrag zur „Gratwanderung“?

Jetzt, noch im Besitz der Landesregierung, ist die Nürburgring-Nordschleife z.B. eine öffentliche Straße. Wenn der Ring an einen Investor verkauft wird, ist die Nürburgring-Nordschleife eine Privatstraße. Wie ist dann die Rechtssituation in Verbindung mit möglichen Verkehrsunfällen? - Was sagen die Versicherungen dazu? - Kann noch die Polizei zu Unfallaufnahmen eingeschaltet werden?

Es wird auch insgesamt verschwiegen, daß seit den 60er Jahren ein „geheimes“ Gutachten eines Koblenzer Staatsanwalts zur Rechtssituation existiert. Und dass die Polizei in Adenau im Fall eines Unfalls auf der Nordschleife auch nach gewissen „Regeln“ arbeitet, die aus der Einschätzung in diesem Gutachten resultieren. Das betrifft auch Veröffentlichungen zu Unfällen und könnte sich auch in den bisher veröffentlichten Statistikzahlen niederschlagen.

Ist auch Herrn Sattler unbekannt, dass nach einem Verkauf der Nordschleife z.B. alle Lärmgutachten neu erstellt werden müssen, weil die immer für den Besitzer, nicht für die Strecke ausgestellt werden? - Wie werden sich die Behörden verhalten, wenn der Nürburgring nicht mehr im Besitz einer Behörde – in diesem Falle z.B. das Land Rheinland-Pfalz – ist?

Was ist mit dem Naturschutzgebiet, durch das der Nürburgring führt? - Was mit den Ausnahmegenehmigungen, die z.B. den Zuschauerbesuch beim 24-Stunden-Rennen betreffen? Oder das Zelten bei „Rock am Ring“?

Manfred Sattler sagt: „Die Insolvenz-Sachwalter leisten ordentliche Arbeit.“ - Das ist richtig. Aber es kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet. - Wie ist das z.B. mit dem „Rückfallrecht“ im Falle einer Insolvenz, so wie sie im Vertrag zwischen der Gemeindeverwaltung Drees und der Nürburgring GmbH vereinbart ist, die aber im „Teaser“ der KPMG unerwähnt bleibt? - Was ist aus der Beteiligung der Nürburgring GmbH am Fahrsicherheitszentrum Nürburgring von 41 Prozent geworden, die in einem Gutachten des Insolvenz-Sachwalters Jens Lieser für das Insolvenzgericht unter Berücksichtigung des Eigenkapitals (auf Seite 30) mit 817.000 Euro bewertet wird? - Ein Anteil des Fahrsicherheitszentrums Nürburgring wird im KPMG-Prospekt nicht erwähnt, auch nicht angeboten.

Da sitzt man im Biergarten einer griechischen Taverne in Andernach, bekommt auf entstandene Fragen keine Antworten und muss feststellen, dass entweder die „Experten“ keine sind, oder diese Veranstaltung eine von jenen ist, die Manfred Sattler „als verständliche und normale Marketingmaßnahme“ bezeichnet.

Natürlich gab es auch aus dem Publikum Fragen. Zum Beispiel welche von Mitgliedern der Piraten-Partei. Sie waren z.T. nicht an der Sache orientiert, sondern z.B. auch weit weg von der Realität, weil sie nicht in diese Runde passten. Der Gastgeber hat diesen „Nürburgring-Fans“ gerne das Mikro hingehalten:


Clemens Hoch hat das übrigens nicht gefreut, sondern er hat sich bei der Moderatorin nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung beschwert, warum sich so viele „Piraten“ zu Wort gemeldet haben. - Richtig! - Warum waren keine SPD-Mitglieder vor Ort?

Ich traf auch ein Mitglied der „Grünen“, der sich auch enttäuscht zeigte. Weil „Grün“ an einer direkten Auseinandersetzung mit den Betroffenen – wie vor ein paar Wochen in Nürburg auch festzustellen – längst nicht mehr interessiert scheint. GRÜN versucht sich derzeit in Mainz gegen ROT durchzusetzen. (s. Flughafen Hahn)

Der Nürburgring scheint ohne Interesse. Eigentlich ist dieser Fall für die Politik längst abgehakt und die Art der Abwicklung eigentlich nur noch eine Formsache entsprechend der „Drehbuch“-Vorgabe.

Wir müssen nach vorn schauen!

OK! - Und ich stelle fest: Der Wähler und Steuerzahler hat schon verloren!

MK/Wilhelm Hahne
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