Ein paar Worte zu den Worten der Wissenden im Umfeld des Genfer Salons im Jahre 2000

Frühling aller Orten. In der Eifel, in Rüsselsheim, in Stuttgart und Genf. In vielen Reden und Äußerungen. Und alle möchten das glauben, was sie nun sagen. Und sie haben es inzwischen so oft gesagt, dass sie es schon verinnerlicht haben: "Es wird keinen Einbruch der Autokonjunktur geben". Das exakt hat z.B. Dr. Wolfgang Reitzle in Genf gesagt. Und er wird (wahrscheinlich) sogar recht behalten, wenn er das auf die Situation weltweit bezieht. Wenn man aber nur die Situation Deutschland, dazu noch aus einem Mittelgebirge (also ein wenig beschränkt) betrachtet, hat man schon eine andere Sicht der Dinge. Hier ist nichts global, nur regional. Und die "Region" (die hier gemeint ist) wird von den deutschen Grenzen bestimmt. Aber wir leben in dieser Region, die wirtschaftliche Entwicklung hier - nicht die in anderen Teilen der Welt - wird unser Leben beeinflussen.

Mit Reden ist es nicht getan

00-03-02/04. Die Schlagzeilen in diesen Tagen lauten: "Genfer Automobilsalon zeigt 100 Premieren", "Daimler plant 60 neue Modelle", "Audi fährt mit Allrad Quattro der Krise davon", "GM setzt große Hoffnungen auf Opel-Minivan Agila", "Mehrzweckfahrzeug schafft bei Porsche neue Arbeitsplätze" - Daraus schließen Journalisten messerscharf: "Von einer Krise in der Automobil-Wirtschaft keine Spur". Und sie finden sich durch die Reden der Wissenden bestätigt.

Wer aber nicht in Genf ist, sondern hier in deutschen Landen einmal von Händler zu Händler fährt, mit diesem und jenen ein Gespräch unter vier Augen führt, der kommt - zumindest auf den deutschen Markt bezogen - zu einem anderen Eindruck.

Kann man sich eine schlechtere Situation vorstellen als die, die derzeit bei Ford in Köln auszumachen ist? Natürlich kann es - von dieser Ausgangsposition betrachtet - nur noch besser werden. Aber der Februar-Marktanteil lag nach Motor-KRITIK-Informationen (die keine offiziellen sind) bei um 6,5 Prozent. Das ist die Realität. Es gibt in der derzeitigen Modellpalette kein Modell, mit dem ein Ford-Händler wirklich Geld verdienen könnte. Keine 15 Kilometer von hier hat gerade zum Jahresanfang ein Ford-Händler Konkurs angemeldet.

Natürlich wird das sein Fehler gewesen sein. Denn andere leben ja noch. Aber so wie diesem Ford-Händler, wird es in diesem Jahr noch einer Reihe von Händlern ergehen. Nicht nur Ford-Händlern. Da nutzt der "ungebrochene Optimismus" der großen Manager wenig, die damit "allen Gerüchten über einen drohenden Absatzeinbruch" zu trotzen versuchen.

Die Situation bei Ford ist nicht die Ausnahme. Auch BMW-Händler fühlen sich derzeit nicht gut. Und es geht derzeit eigentlich gar nichts. Auch nicht die 3er-Reihe. Alles muss werksseitig gepuscht werden. Die BMW-Kunden sind müde, immer wieder dasselbe Automobil zu kaufen. Wer kann denn noch einen alten 5er vom neuen unterscheiden? - Und wie unterscheidet man einen 5er vom 7er, einen 3er vom 5er? - Das sind die Probleme mit denen man sich "an der Front" herumschlagen muss.

Und die Verkäufer resignieren, sehen sich nach neuen Verdienstmöglichkeiten um. In den letzten Jahren ist ihr Einkommen um 20 - 25 Prozent zurückgegangen. Es geht ihnen immer noch gut, aber wenn sie mit dem gleichen Einsatz in anderen Branchen arbeiten würden... - Resignation.

Und die BMW-Händler sind von ihrer Firma enttäuscht. Es wird nichts in ihrem Sinne, im Sinne des Verkaufs entschieden. In München denkt man zunächst an sich selbst. Gerade zum Jahresanfang wurde die Händlerprovision um 0,9 Prozent gesenkt. - Wenig? - "Für BMW wird das in diesem Verkaufsjahr 500 Millionen mehr ergeben", erläutert ein Händler. "Aber sollen wir die Fehlentscheidungen bei Rover nun bezahlen?", fragt er.

Ein anderer BMW-Händler beklagt, dass man sich auf BMW-Zusagen nicht mehr verlassen könne. Da sollte er umliegende Rover-Händler übernehmen. Jetzt zum März. Die Rover-Händler hatten rechtzeitig die Kündigung erhalten. Nun mußten sie noch von BMW ihre Abfindung, - wie vertraglich vereinbart - ausgezahlt bekommen. "Aber BMW hat derzeit wohl nicht das Geld, um diese Händler auszubezahlen. Nun soll das alles im Oktober stattfinden", klagt der BMW-Händler. "Aber ich habe schon jetzt im Hinblick auf die Übernahme Personaleinstellungen vorgenommen, die mich nun über viele Monate zusätzlich belasten".

Gab es früher eine Art Gebietsschutz bei BMW (der in ein fremdes Gebiet verkaufende Händler mußte ein Betreuungsprovision dem Händler zahlen, der dann später den Service vornahm), so ist der nun auch weggefallen. BMW scheint nicht mehr daran interessiert, die Partner zu schützen, sondern möchte wohl den Verkauf um jeden Preis. Ganz gleich wohin ein BMW-Händler verkauft: Hauptsache er verkauft.

"Ist es normal, dass eine Firma ein neues Modell, das dazu noch mit vielen Preisen ausgezeichnet ist, mit hohen Summen bezuschussen muss?", fragt mich ein Rover-Händler. Und nennt als Beispiel den Rover 75. Da werden Prämien mit den unterschiedlichsten Titeln um 2.500 Mark gezahlt. "Aber wer kauft schon einen Rover 75?", fragt mich der Händler. Um resigniert festzustellen: "Den kann man noch nicht mal in England verkaufen."

Auch VW-Händler sind nicht zufrieden. Sie stöhnen unter dem Druck dem sie ausgesetzt sind. Und über das große Modellprogramm, dass sie - weil alles am Bundesdurchschnitt gemessen wird - auch möglichst so gleichmäßig in ihrem Gebiet verkaufen sollen. Aber was gefragt ist, kann zum Teil nicht geliefert werden. Die Ersatzteillieferungen sind (immer noch!) katastrophal.

Motor-KRITIK hat z.B. einmal versucht einen Lupo mit Dreizylinder-Pumpe/Düse-Dieselmotor (75 PS) - nein, nicht den Spar-Lupo - bei einem Händler probezufahren. - Es war bei rund einem Dutzend Händler nicht möglich. In Leserbriefen wird geklagt, dass der Polo GTI zwar überall in der Presse getestet wird, aber eigentlich nicht lieferbar ist. - Die Motorseiten entwickeln sich zur Zirkus-Arena der Presseabteilungen. Aber Zirkus ist Zirkus. Nichts ist da so wie im richtigen Leben. Da kann man noch nicht über die Industrie-Clowns lachen.

Derzeit sind alle Blätter voll mit Lobeshymnen über den neuen Porsche Turbo. Aber wo kann man ihn kaufen? Eigentlich war seine Einführung im Markt für Mitte Mai fest terminiert. Die Händler hatten alles vorbereitet. Aber nun ist der Einführungstermin verschoben worden. Auf vielleicht (!) Ende Juni. Ohne eine feste Terminierung.

Die Porsche-Händler sind sauer über die kundenverachtende Entscheidung des Herrn Wiedeking, den GT 3 mit seiner - so war es eigentlich den Kunden versprochen - limitierten Stückzahl noch mal aufzulegen. Wobei dessen Produktion auch hakt. Motorgehäuseprobleme. (Motor-KRITIK berichtete bereits darüber.) Die Gehäuse werden seit neuestem mit Hochdruck (um 400 bar) nach dem Guss gesäubert. Aber dann brechen Lunkerstellen heraus, die Gehäuse zeigen Schwachstellen. - Ist das auch der Grund für die verspätete Einführung des Turbo?

Der Porsche-Vertrieb ist derzeit bemüht, die Porsche-Händler und deren Geschäftsführer ruhig zu stellen. In den einzelnen Regionen führt man sogenannte "Kamingespräche", "um den Dampf herauszunehmen", wie ein Vertriebsmann erklärt. Und hat gerade mit diesen Leuten einen "Ausflug" nach Finnland unternommen. Man durfte sich die Boxster-Produktion ansehen, hat Eskimos aus der Nähe bewundern dürfen. Und Porsche hofft, dass diese Herren (und Damen) nun wieder ein wenig "zahmer" sind.

Da gibt es bei Audi-Händlern nicht nur das Theater um den TT mit seinem Fahrwerk. Da wird auch nun das Nassbremsverhalten beanstandet. Wahrscheinlich zu recht. Und Audi A 4 und A 6-Fahrer beschweren sich über das Kaltbremsverhalten ihrer Fahrzeuge, die bei der ersten Bremsung kaum Wirkung zeigen.

Beim Sharan rutscht bei Nässe evtl. der Keilriemen auf der die Hydraulikpumpe antreibenden Keilriemenscheibe. Die Servolenkung fällt also praktisch aus. Man weiß inzwischen, dass das am Spritzschutz am Unterboden liegt. Der wird nun "Reduzierte Lenkkraftunterstützung") gegen eine neue Schallschutzwanne mit besserer Abdichtung zum Längsträger" ausgetauscht. VW dazu: "In Kassel sind nur noch Schallschutzwannen mit höherer Seitenflanke erhältlich". - Ein Händler dazu: "Wenn man sie bekommt."

Dagegen hilft auch nicht das Gerede von einer Verkaufshilfe durch das Internet-Geschäft. Das wird einen Verkaufsboom nicht sicherstellen. Sicherstellen wird den nur eine richtige Modellpolitik, perfekt entwickelte und gefertigte Fahrzeuge, eine vernünftige Händler- und Vertriebspolitik. Die Hersteller müssen zunächst einmal bei sich anfangen, bevor sie beginnen, beim Handel den "Schwarzen Peter" zu suchen.

Was motiviert eigentlich einen Verkäufer zum Verkauf? - Geld. - Was ist für einen Händler die größte Motivation beim Verkauf? - Geld. Und beiden Gruppen - den wichtigsten, auf dem Weg des Fahrzeugs vom Hersteller zum Kunden, wird Geld gekürzt, der Verdienst geschmälert. Das erhöht nicht deren Motivation. Im Gegenteil. Da schafft man auch mit Drohungen keinen Ausgleich.

Man werfe doch einmal einen Blick auf die Händlerpolitik bei Honda. Und deren Auswirkungen im Verkauf. Oder warum hat Herr Mattes bei Ford jetzt zunächst einmal die Händler beruhigt, als strategisch exakt (von den Amerikanern) geplante Aktionen durchzuziehen? - Eine kluge Entscheidung.

Und bei allen Händlern aller Fabrikate gibt es derzeit ein Gebrauchtwagenproblem. Und daraus erwächst natürlich ein Problem beim Neuwagenverkauf.

Leider weiß ich unter diesen Umständen nicht, wie sich aus dieser Situation heraus ein Boom auf dem deutschen Markt entwickeln soll. - Auf dem deutschen Markt. - Dr. Reitzle hat sicherlich recht, wenn er zu den "düsteren Prognosen" sagt: "Es wird keinen Einbruch geben. Die abgegebenen Prognosen stimmen nicht mehr, weil sich die Zyklen in der Herstellung geändert haben und die globale, vernetzte Weltwirtschaft für mehr Ausgeglichenheit sorgt. In Zeiten des momentanen Südamerika-Desasters boomen andere Märkte. Die Anteile am Auslandsvolumen stabilisieren die Gesamtsituation der Hersteller."

Richtig. Die Hersteller trifft es am wenigsten, solange die Weltwirtschaft insgesamt floriert. Aber was macht der Automobil-Händler, der im "Südamerika-Desaster" lebt? - Was macht der deutsche Automobilhändler, wenn sein Markt Ermüdungserscheinungen zeigt, die noch durch dumm-dreiste Aktionen der Hersteller unerstützt werden?

DaimlerChrysler werden 60 neue Modelle in den nächsten fünf Jahren wenig nutzen, wenn man sich jetzt nicht um zufriedene Kunden und eine optimierte Verkaufsorganisaiton bemüht. Das geht nicht mit Befehlen und Anweisungen, mit drohenden Hinweisen auf bestimmte Absätze im Händlervertrag, das geht nur mit Verständnis füreinander in der jeweiligen Situation. Man muss gemeinsam in eine Richtung ziehen.

Das tut man derzeit nicht. Zumindest nicht im deutschen Markt. Und damit ist der sogenannte Boom bedroht. Und wir werden in diesem Jahr Rückgänge hinnehmen müssen. Das sage ich. Ein solcher Einbruch müsste eigentlich nicht dramatisch sein, weil er eigentlich nur einer Normalisierung des Geschäfts gleichkommt. Was ihn dramatisiert, ist das dann abzusehende Verhalten der Hersteller gegenüber dem Handel. - Dabei war es bisher der Handel, der die Einbrüche - zum großen Teil zu seinen Lasten! - abfedern musste.

Mit Reden allein ist es da nicht getan. Auch nicht mit Premieren. Und dann hilft auch kein Genfer Salon.

MK/Wilhelm Hahne

Jetzt sind Sie gefragt!
Ihre Meinung zu obigem Beitrag
können Sie mit einem Klick
und ein paar Sätzen loswerden:
Senden Sie mir ein e-mail

Danke, für Ihre Mitarbeit!