Was vor mir schwebt, ist "The Flying Lady", oder anders, "The Spirit of Ecstasy" (der Geist der Ekstase) oder einfach "Emily", eine Schöpfung des englischen Bildhauers Charles Sykes. Der Legende nach ist sie ein Abbild von Eleanor Thornton, die eine intensive, tiefe Affäre mit Lord Montagu of Beaulieu hatte, der die Zeitschrift "The Car Illustrated" im Jahre 1902 gründete und Eleanor zu seiner "Privatsekretärin" machte. Dort war auch Charles Sykes als Illustrator beschäftigt, der dann Eleanor für die berühmte Kühlerfigur Modell gestanden haben soll. Sykes beschrieb die Figur folgendermaßen:
"Eine anmutige kleine Göttin, welche die Reisen auf Erden zum höchsten Genuß erkoren hat. Sie hat sich auf dem Bug eines Rolls Royce niedergelassen, um sich vom harmonischen Flattern ihrer Flügel im frischen Fahrtwind berauschen zu lassen. Sie verleiht ihrer Freude Ausdruck, indem sie die Arme ausbreitet und ihren Blick auf den Horizont richtet."
Und nun richte ich meinen Blick auf sie. Und ich denke daran: bis 1948 war Charles Sykes und sein kleines Team exklusiv mit der Fertigung der handgefertigten Figuren betraut, deren Feinpolitur übrigens mit Kirschkernpulver erfolgte. - Wer mag die vor mir nur poliert haben?
Eigenartig, wie viel Zeit ich habe - und den Kopf frei für Geschichten aus der Vergangenheit. Der Begriff Zeit scheint sich aufgelöst zu haben. Mit dem Besteigen (bitte wörtlich zu nehmen) dieses Rolls Royce hat sich ein Wertewandel vollzogen. Ich jage nicht mehr der Zeit nach. Ich bin die Zeit.
Ich lächle über jene Leute, die sich mit verzerrtem Gesicht an mir vorbei drücken, die sich z.B. sichtbar ärgern über ihren zu langsamen Vordermann. Schlimm, denke ich, wenn man kein Geld hat. Noch schlimmer allerdings, wenn man keine Zeit mehr hat. - Arme Leute!
Der arme Mann vor mir lenkt einen neuen 600er Mercedes. Das beste Auto der Welt? - Kann sein. Mich interessiert das nicht. Ich fahre einen Rolls Royce. Der stellt nicht einen Wert dar, weil die gefahrene Version exakt 347.928 Mark kostet, sondern weil er einen Wert darstellt. Für seinen Besitzer. Und für ihn auch einen hat.
Man sollte vielleicht schon ein Gefühl für Werte haben, wenn man so einen Rolls Royce kauft. Das ist kein Leasing-Auto, bei dem man überlegt, ob man die monatliche Leasing-Rate auch noch aufbringen kann. Einen Rolls Royce kauft man sich, wenn man das Geld dafür über hat. Man gibt es aus, wie früher ein Bauer die Rahm von der Milch schöpfte. Es war genug da. Milch und Rahm.
Eigentlich hatte ich nie das Verlangen, einen Rolls zu fahren. Ich kannte ihn nicht. Und als man mich von Rolls Royce anrief, um mich zu fragen, ob ich nicht Lust hätte.... - Da habe ich zunächst aus purem Pflichtbewußtsein gegenüber meinem Beruf zugesagt. Bisher habe ich fast alle wichtigen Automobile dieser Welt gefahren, Automobile die den Stand der Technik repräsentieren, die Maßstäbe verschieben; Limousinen, Coupés, Sportwagen, Lieferwagen, Busse, Lastwagen. Ich habe mich einfangen lassen von der Faszination der Technik, mich an ihr orientiert. - Wie soll man auch Automobile anders beurteilen? (Obwohl: Ich empfinde Automobile - genau wie Sie - immer mehr oder weniger deutlich emotional!)
Jetzt im Rolls Royce Silver Spur II muß ich über mich selber lächeln. Natürlich gibt es technisch perfektere Automobile als diesen Rolls. - Hat dieser Rolls Royce eigentlich einen Sinn?
Richtig! - Man kann auch bei einer Swatch exakt die Zeit ablesen. Und stellt man höhere Ansprüche, kauft man sich eine Seiko. Und Mercedes-Fahrer würde ich mit jenen Uhrenkäufern vergleichen, die sich eine Cartier zulegen: Ein schmuckes Gehäuse mit einem perfekten Quarzwerk.
Ein Rolls ist wie eine Audemaers Piguet Royal Oak, ist wie eine Uhr die noch richtig tickt, zu der man eine Beziehung entwickelt, eine mit wirklichen inneren Werten, die mehr ist als ein nützliches Hilfsmittel.
Vor mir unter der Haube grummelt ein V 8-Motor mit 6,75 Liter Hubraum. Leise, samtig, mit der feinen Rauheit, wie man sie bei jenen Damen der Gesellschaft findet, die mäßig - aber regelmäßig - ihren Malt-Whisky (natürlich mindestens 25 Jahre alt!) trinken. Für den übrigens auch in der Mittelkonsole des Rolls nicht nur zwei kleine Flaschen (vielleicht die eine für Irish Whiskey, die andere für Scotch Whisky), sondern auch vier kleine Gläser in Bereitschaft liegen.
Natürlich ist dieser Rolls mit einem Kat abgasentgiftet. Aber es gibt ihn - weil es immer noch Gegenden auf der Welt gibt, in denen kein bleifreies Benzin erhältlich ist - auch ohne Kat. Und ein Vergleich der eigentlich immer noch als geheim gehandelten technischen Daten zeigt, daß ein Kat-Rolls nicht nur um gut drei Prozent weniger Leistung (218 statt 226 PS) hat, sondern auch um die gleiche Prozentzahl mehr (im Drittelmix) verbraucht.
In der Praxis kommt es aber auf den Fahrer an. Der bestimmt auch den Benzinverbrauch. Bei mir waren es im Mittel über gut 1.500 Kilometer 21,7 Liter (min. 18,3, max. 23,7 l). - Bleifrei natürlich.
Der Rolls Royce Silver Spur II ist die Rolls-Limousine mit längerem
Radstand (316, gegenüber 306 cm beim Silver Spirit II), die leer so
um 2,4 Tonnen auf die Waage bringt. Ihr Debüt war 1980 in Paris.
(Dabei fällt mir ein, daß der erste Käufer eines Rolls
Royce, im Jahre 1906, ein Paris E. Singer war. Genau der, der unsere Großmütter
zum Nähmaschinenkauf verführte. Seine Eltern hatten ihm den Namen
der Stadt als Vornamen mitgegeben.)
1989 gab es dann kleine Detailänderungen, wie z.B. zusätzlich eine Automatic Ride Control. Und der jetzige Preis ist schon lange unverändert. Aber ab dem Genfer Salon (Anfang März) wird er sich wieder etwas nach oben verschieben. Und das neue Modell wird einen anderen Namen haben. Und einen neuen Motor. Von BMW. Aber vorne auf der Kühlerhaube wird der alte Geist schweben. Und man wird ihn beim Fahren nicht nur sehen, auch spüren. Und dieser neue Rolls wird ein moderneres Automatikgetriebe besitzen und... -
Jetzt tut`s eine Dreistufen-Automatik auch. Und gut. Sie ist von GM. Die kommenden technischen Verbesserungen - weder BMW-Motor noch Getriebe - werden eigentlich nichts verändern. Höchstens den Benzinverbrauch senken helfen. - Aber was soll das?
Bei Rolls Royce ist man nicht eigen. Man verwendet, was gut ist. Die Automatik von General Motors. Die Sitzverstellung könnte von Mercedes sein. Man läßt bei Porsche entwickeln. Und man hat z.B. die Zentralverriegelung von BMW entwickeln lassen.
Alles keine Konkurrenten. Weil die praktisch Großserien-Automobile bauen. Wo ein möglichst günstiger Preis wichtig ist. Für Rolls ist das Wohlbefinden des Fahrers und der Mitfahrenden wichtig. Geld spielt keine Rolle. - Ein Beispiel?
Betrachtet man einmal einen BMW 850i-Coupé mit Ganzlederausstattung kritisch, so befindet man sich als Fahrer auf einer Lederinsel inmitten eines Kunststoff-Umfeldes. Beim Rolls ist alles Leder (...und was für eins!) und Holz. Bis zu 12 Häuten werden - von Hand geschnitten und von Hand vernäht - in einem Rolls Royce verarbeitet. Und der Teppichboden ist mit rund 60 Metern Ledereinfassung aus dem gleichen Leder versehen, das auch der Polsterung des Innenraumes dient.
Und das Armaturenbrett ist im wahrsten Sinne des Wortes eins: aus Walnussfunier so zu einem harmonischen Ganzen gefügt, daß die natürliche Maserung des Holzes voll zur Geltung kommt. (In einem Mercedes z.B. erinnern mich die Holzeinsätze immer an Kunststoff.) Walnussholz und Leder. Wer spricht da noch von Recycling? - Alles Natur und natürlich. Und natürlich ist ein Rolls auch (fast) für die Ewigkeit gemacht. Mit einem Ambiente, das die Mitreisenden in eine andere Welt entführt.
Meine Füße stehen auf einem (über dem Teppichboden liegenden) hochflorigen Teppichboden aus - entsprechend der Wagenfarbe eingefärbtem - hochflorigen Lammwollteppich. Für die hinten Sitzenden gibt es kleine, verschiebbare Fußstützen. Natürlich lassen sich auch die hinteren Sitze elektrisch verstellen. Komfort, der für Rolls Royce wie selbstverständlich dem Käufer geboten wird.
Und die Stereoanlage mit CD-Spieler und zehn Lautsprechern! Hier klingt ein Klavier wie ein Klavier. - Wunderbar mit um 160 km/h über die Autobahn zu gleiten und Wolfgang Dauner (Piano), Dino Saluzzi (Bandoneon) und Charlie Mariano (Sopran/Alt- Saxophon) zu lauschen.
Eigentlich ist das, wenn man den Marketing-Strategen von Rolls Royce glauben darf, eher die Musik für die Fahrt in einem Bentley. - Aber glauben Sie denen nicht. In einem Rolls Royce klingt auch Jazz und Rock gut. - Nur hört man dann weder etwas vom Motor, noch hört man die Uhr ticken. - Da fällt mir gerade ein: Heino würde nicht so richtig mit seinen Liedern in einen Rolls passen.
Das man in einem Rolls nur die Uhr hört, ist wirklich ein Gerücht. Man hört sie niemals. Und wunderbar, wie leicht sich, ohne jedes Klicken und Knacken, abends der Hebel für´s Abblend- und Fernlicht betätigen läßt. Mit einem leichten, geradezu zierlichen Hebel.
Soll ich noch von der Klimaanlage schwärmen, die Kopf und Füße getrennt kühlt oder wärmt? - Ich habe mir erzählen lassen, daß sie die Wirkung von um 30 Haushaltskühlschränken hat. Oder eine Heizleistung von insgesamt neun kW. Die Luft im Inneren des Rolls wird dreimal pro Minute komplett umgewälzt. Die Klimaanlage allein kostet soviel, wie ein gut ausgestatteter VW Golf.
Und wenn man eine Lüftungsklappe betätigen will (es gibt davon einige), dann greift man nach einer verchromten Zugstange mit Knopf, deren Basis Messing ist. Für Leute mit Basis-Instinkt gemacht.
Die Handbremse beim Rolls ist eine Fußbremse. Ganz links, wie bei (nicht allen) Mercedes. Nur daß sie sich beim Rolls beim Einlegen einer Fahrstufe ("R" oder "D") automatisch löst. Mit lautem Knack. Aber das war´s dann auch.
Später gongt dann vielleicht noch einmal - gerade jetzt zur Winterzeit - melodisch ein Gong, um auf das gleichzeitige Aufleuchten einer "Ice"-Warnung im Armaturenbrett aufmerksam zu machen.
Natürlich verwendet auch Rolls Royce Elektronik. Aber die ist nicht aufdringlich. Alles scheint dem Menschen untertan. Ein Rolls Royce ist immer ein Dienstleistungsunternehmen. Ein altmodisches, ein echtes. Andere moderne Luxusautomobile versuchen besser, fehlerfreier, überlegener zu sein als der Mensch. Selbst eine Mercedes A-Klasse möchte heute schon alles besser können als sein Fahrer. Solche „Besserwisser" werden dann auch als entsprechend unsympathisch empfunden. Ein Rolls wirkt so, wie auch ich bin. - Perfekt - bis auf meine Fehler.
Darum ist ein Rolls so menschlich. Mir war er direkt sympathisch, als ich z.B. feststellte, daß beim Testwagen die Sitzheizung für den Beifahrersitz nur in der Rückenlehne, nicht in der Sitzfläche funktionierte.
Aber sonst funktionierte alles. Sogar die schweren Türen werden am Berg (bergauf stehend) von einer wirklich handwerklich gearbeiterten Halterung in zwei Stellungen sehr sicher und fest offen gehalten. Wie oft hat sich meine Frau auf dem Beifahrerersitz bei anderen Fahrzeugen (auch nicht billig) da schon beim Aussteigen geärgert. Wenn man z.B. mit einem vollen Einkaufsnetz in der Hand aussteigen will und die Tür immer wieder zuklappt. - Aha - Sie schicken nicht Ihre Haushälterin mit Ihrem Fahrer im Rolls zum Einkaufen? - Darum empfinden Sie ein solches Detail nicht wichtig? - Sir, Ihr Verhalten ist unsozial!
Als Fahrer fühlt man sich in diesem Rolls Royce wie in einer anderen Welt. In einem Rolls träumt man mit offenen Augen, empfindet sein Ambiente wie eine Loslösung vom normalen Alltag. Obwohl der ständig am Fenster vorbeigleitet. Aber es ist eine Welt, die einen als Rolls-Fahrer nicht betrifft, belästigt, beeinträchtigt. Man ist von ihr getrennt. Ein Rolls Royce ist in der Wirkung auf seine Mitreisenden ähnlich einem Sanatorium. - Leider zahlt die Krankenkasse nicht.
Die von Null auf Einhundert-Werte wollen Sie wissen? - Ein Rolls Royce ist schneller als ein Opel Corsa Turbo-Diesel. Und gerade im mittleren Bereich, von 80 auf 120, von 120 auf 160 km/h, immer souverän. Kein lautes Motorengeräusch, keine zuckende Drehzahlmessernadel (es gibt keinen Drehzahlmesser): Angemessener Vortrieb ist selbstverständlich. Bis auf über 200 km/h.
Und das Fahrwerk? - Ein Verbund von herkömmlichen konventionellen Stahlfedern und einem automatischen Dämpfersystem. Bei langsamer Fahrt ergibt es ein sanftes Schweben, mit sanften, weichen (und relativ großen) Karosseriebewegungen. Bei hohen Geschwindigkeiten wird es straff, läßt auf Autobahnen manchmal die Fugen ahnen. Abhilfe: Langsam fahren!
Ein Rolls Royce ist wie Medizin. Man muß aber auch an ihre Wirkung glauben. - Ich bin gläubig geworden in diesen fast zwei Wochen des Erlebens. (Andere würden das „testen" nennen. Aber so jemand wird auch Frauen testen.)
Ich träume jetzt manchmal von Eleanor, wie sie sanft vor mir herschwebt. Und ich würde sie gerne haben. Besitzen. Für immer. Aber ich werde sie nie erreichen. Sie wird immer vor mir herschweben.
Traurig? - Nein! - Ich habe sie ja erlebt, genossen. - Die Fahrt mit Eleanor. Ich denke oft an sie. - Ob sie sich in Zukunft - mit einem BMW-Motor - anders anfühlt?