Erlebnisbericht über den neuen Opel Astra und - auf was Sie in Genf achten sollten

Die Zeitungen und Zeitschriften sind voll von Fahrberichten über den neuen Opel Astra. Wie Branchenkenner wissen, hat Opel zu mir alle Kontakte abgebrochen. Also eigentlich dürfte ich vom neuen Opel Astra gar nichts wissen. Aber da das auch die netten Kollegen wissen, die praktisch schon seit Wochen mit dem neuen Modell in der Eifel (z.B. zu Vergleichstests) unterwegs sind, bleibt es nicht aus... - Danke! - Und nun folgen meine Eindrücke und ein paar ergänzende Informationen.

Neuer Opel Astra: Frauen können leicht unter die Haube kommen

98-02-27/06. Ich erhielt den ersten Eindruck von der Qualität des neuen Opel Astra, als ich einen Blick unter die Motorhaube werfen wollte. Nett gemacht. Da kommt , nachdem man innen den Zug betätigt hat, draußen am Kühlergrill ein kleiner Kunststoffpfeil heraus, man zieht daran (ohne sich die Finger schmutzig zu machen) und - denkt zunächst, daß etwas klemmt. Aber es klemmt nichts. Die Haube ist so schwer. Schon weil nun der ganze Kühlergrill in die Haube eingebunden ist. Und auch die Dämm-Matten in der Haube scheinen Gewicht zu bringen.

Wenn ich mir vorstelle, wie da so manche Dame beim ersten Öffnungsversuch dumm gucken wird und bedauern, daß sie bisher ein Krafttraining versäumt hat... -

Aber so vermittelt sich ein erster Eindruck von Qualität. Dazu paßt zwar nicht die dünne Aufstellstange, mit der man die Haube dann offenhalten kann, ohne sie aufzuhalten. Aber man traut dieser dünnen Stange kaum zu, daß sie in der Lage ist die Haube zu stützen. - Aber sie tuts.

Der Eindruck von Qualität setzt sich bei einer Umrundung des Fahrzeugs fort. Exakte Passungen, eine wirkungsvolle Lackierung, die Details stimmen. Bei einem Blick auf die breite C-Säule (beim Viertürer) muß ich ein wenig lächeln. Auch ohne mit jemand bei Opel darüber gesprochen zu haben ist klar, daß man hier ganz bewußt einen "Hauch von Golf" wiederfindet. Diese breite Säule vermittelt eben - nicht nur beim Golf - einen Eindruck von Stabilität.

Während man beim alten Astra eine Menge Gleichteile vom Vectra fand, ist das - so zeigte ein Blick unter die Haube - beim neuen Astra anders. Sogar der Fahrschemel entspricht nicht dem des Vectra. Der des Astra ist vorne geschlossen, ganz anders gefertigt und weist eine Sechspunktverbindung mit dem Karosseriekörper auf. Jürgen Stockmar hat weniger auf Gleichteile geschaut, sondern auf Qualität.

Und er tat gut daran, wie der gerade erfolgte Rückruf von 760.000 Vectra europaweit beweist.

Beim neuen Astra liegt nun auch die Lenkung da, wo sie eigentlich immer hingehörte: unten. Aber es kommt schließlich nicht auf die theoretisch richtige Lösung an, sondern darauf, wie sich alles in der Gesamtheit in der Praxis auswirkt.

Also fahren wir mal los. Eigentlich ist der Einstieg in den neuen Astra nach dem so positiven äußeren Eindruck zunächst eine Enttäuschung. Den Designern ist - mal wieder! - eine Innenraumgestaltung gelungen, die einfach vergessen läßt, daß man in einem neuen Opel Astra sitzt. Alle Hebel sitzen richtig, die Übersicht ist gut, aber nichts hat Pfiff, nichts löst irgendwie einen Aha-Effekt aus. - Schade! - Eine verpaßte Chance.

Dann nach dem Anfahren die erste positiv Überraschung: die Schaltung. Nicht nur sehr gut von den Bewegungen des Antriebsstrangs entkoppelt, sondern auch sehr präzise zu schalten. Und endlich mal ein gut abgestuftes Opelgetriebe. Man kann sogar im 5. Gang durch ein Dorf fahren und ohne einen Schaltvorgang wieder beschleunigen. - Danke, Jürgen Stockmar.

Die Lenkung könnte für meinen Geschmack in der Mittellage... - Aber ich will nicht meckern. Eigentlich entspricht die noch in ihrer Auslegung der Philosophie des Herrn Oberhaus. Manche Dinge entsprechen eben noch der Tradition: Innenraum-Design und Lenkung.

Im übrigen hätte ich nicht geglaubt, daß man bei Opel in der Lage wäre, ein Fahrzeug zu bauen, daß beim Fahren direkt einen Eindruck von Qualität vermittelt. Da rappelt und quietscht kein Armaturenbrett, da rappelt nicht der unbelastete Beifahrersitz, kein Klappern im Schiebedach, minimale Windgeräusche. Und das Fahrwerk arbeitet, aber man bleibt von den Anstrengungen akustisch verschont. Der Astra vermittelt im ganzen Fühlen und Empfinden den Eindruck eines wesentlich teueren Automobils.

Denn man darf nicht vergessen: der neue Opel Astra ist preismäßig immer noch günstiger als ein VW-Golf.

Was die Fahrwerkabstimmung betrifft, so ist sie nun insofern besser geworden (gegenüber dem alten Modell), als die Steifheit der Karosse und die Art der Aufhängung eine größere Präzision ermöglicht. Das Fahrzeug macht alles ohne die "Pampigkeit", die andere Opelmodelle zu Automobilen machte, die besonders gut zur Fahrweise von alten Leuten paßte, die auch keine präzise Umsetzung ihrer Befehle erwarten.

Ich erinnere mich noch sehr gut, daß ich mal versuchte bei einem der "alten Opel" einen präzisen Druckpunkt beim Bremsen herzustellen. Da wurden Leitungen ausgewechselt, und, und, und. - Bis ich darauf kam, daß beim Bremsen einfach die Bordwand nachgab, an der die hängenden Pedale angebracht waren.

Das ist beim neuen Opel Astra anders. Es gibt zwar hängende Pedale, aber darunter leidet nicht z.B. der Druckpunkt beim Bremsen. Und aus Gründen der Unfallsicherheit entkoppeln die sich im Falle eines Falles genauso wie die des Vectra. Eine akzeptable Lösung.

Die Sitze sind gut, der im Testwagen eingebaute Bordcomputer hat mich eher gestört. Zwar wußte ich nun exakt, was heute für ein Tag war... - Aber das ist halt Geschmacksache. Und daß ich nun eine Cola-Dose abstellen kann... - Oh, Himmel! - Und telefonieren im Auto soll gefährlich sein.

Die Straßen der Eifel gehören wirklich nicht zu den besten. Aber die Abstimmung des neuen Astra vermittelt wirklich Fahrkomfort. Vom federn und dämpfen her. Und - um es noch einmal zu betonen: auch vom Geräuschniveau. - Sehr gut!

Da ich nur eine Motorversion kennenlernen konnte, möchte ich mich zur Qualität der neuen Opel-Motoren nicht äußern. Ich darf aber feststellen, daß ein wirklich sportliches Modell in der Astra-Modellreihe fehlt. Das alte Opel-Leiden: niemand hat den Mut zu Entscheidungen, die nicht von allen getragen werden und die nicht bis ins Detail abgesichert sind.

Wenn es jetzt im Breitensport bergab geht, wenn die Konkurrenz hier plötzlich Boden gutmacht, dann wird es jeder gewußt haben. Aber bis dahin lebt man in dem Wahn, Geld gespart zu haben. Denn: wer garantiert die notwendigen Stückzahlen?

Das ist bei Opel und Ford das gleiche Leiden. Und die wirklich Verantwortlichen verstehen selbst zu wenig von dem, für das sie verantwortlich sind. Und sie werden dann auch nach relativ kurzer Zeit für andere Dinge verantwortlich sein. Eine Langzeitplanung z.B. im Motorsport? - Ein Blick zurück zeigt wie das geht: Raus aus die Kartoffeln, rein in die Kartoffeln.

Man schaue doch nur ein paar Jahre zurück, um festzustellen, wie es da schon bergab ging. Nicht nur bei Opel. Auch bei Ford. Dort wird man vom gleichen Management-System beherrscht. Und hätte es jetzt - im Falle des neuen Astra - bei Opel nicht einen Jürgen Stockmar gegeben... -

Und so ist die Frage, die sich mir beim Fahren des neuen, wirklich vorzüglichen Opel Astra stellt: Wer garantiert in Zukunft die konstruktive und die Fertigungs-Qualität?

Wie Motor-Kritik-Recherchen ergaben, hat man inzwischen in Rüsselsheim erkannt, daß man bei der Innenraumgestaltung... - Dabei hatte man in der Entwicklungsphase schon mal nachgebessert, nachdem der Golf... - Aber Herr Giesen aus der Presseabteilung weiß das alles anders. (Wie schon mal in einem Leserbrief nachzulesen.)

Jetzt in Genf werden jedenfalls zwei Sondermodelle ausgestellt sein, die auch lieferbar werden sollen. Achten Sie bitte darauf, daß bei denen der Innenraum besonders wertvoll gestaltet wurde (unter Verwendung von Alcantera usw.) Der triste Eindruck von einem Großserienfahrzeug soll so verwischt werden.

Interessant wird sein, zu welchem Preis Opel diese Sondermodelle gleich in der Einführungsphase des neuen Astra anbieten wird. Schätzung: sie werden dem Kunden noch einmal einen Preisvorteil bringen und den Blick möglicher Golf-Interessenten hin zum Opel Astra lenken. Soweit Motor-Kritik recherchieren konnte, wird es die "Sondermodelle" nur in zwei Grundfarben geben: "star-silver" und "magma-rot".

Der neue Opel Astra kann der Start in eine bessere Opel-Zukunft sein. - Aber mit dem komplett gleichen Management?

Das Fahren im neuen Opel Astra war jedenfalls ein Erlebnis.

Und weil das sicher die vielen, vielen Interessenten für einen Caravan interessiert: War der alte eine richtige "Rappelkiste" (was mir jeder Besitzer bestätigen wird), so ist von Bedeutung, daß die Karosse des neuen Astra Caravan, verglichen mit der des alten, nun um exakt 100 Prozent steifer wurde. - Nie war er steifer als heute. Was nach der ersten Erfahrung mit der Limousine, die sich gegenüber der alten Version "nur" um 70 - 80 Prozent verbesserte, hoffen läßt.

MK/Wilhelm Hahne