Musikmesse, Frankfurt: Es müssen nicht immer Automobil-Ausstellungen sein

Es tut immer gut, mal einen Blick über den Zaun zu werfen. Motor-Kritik fand das bei einem Besuch der Musikmesse in Frankfurt wieder einmal bestätigt. Die Märkte für technische Instrumente, seien es nun Musikinstrumente oder Automobile, ähneln sich doch in mancher Hinsicht. Der eine ist schon weiter als der andere. Der andere kann aber auch Hinweise geben, die für die im "einen" Tätigen dann sehr wertvoll sind. Motor-Kritik berichtet nachstehend über eigene subjektive und objektive Eindrücke. E sind auch menschliche Eindrücke.

"Return to forever"

98-03-16/04. Ich fand diesen Satz als Titel zu einem Prospekt über einen "VPT", einem "Virtual-Physical-Tonegenerating". Der Satz ist gut - zwar ein mir unbekanntes Englisch - gibt aber eigentlich die Richtung an, nach der nicht nur die Hersteller von Musikinstrumenten, sondern auch die Automobilindustrie in nächster Zeit marschieren müssen. Und die Kurzbezeichnung der Tonerzeugung erinnert an die gewagten Buchstaben- und Wort-Kombinationen der Automobilindustrie, an ABS und ESP an ATR und ASR, Kunstgeschöpfe, die den Dingen eine Bedeutung geben sollen. Aber die eigentlich nur blutleere Buchstabenkombinationen sind. Und wenn man sie ausschreibt: sinnlose Worthülsen, die den Leser, Nachdenkenden, den Zu-begreifen-Versuchenden, nicht einbinden. Es sind abstrakte Begriffe. "Virtual-Physical-Tonegenerating". - Also mich macht das nicht an, bindet mich nicht emotional ein. Bei einem Musikinstrument noch weniger als bei einem Automobil.

Aber bei den Herstellern von elektronischen Musikinstrumenten ist man inzwischen wieder auf dem Weg zurück. Weg vom Digitalen, hin zum Analogen. Der Fortschritt hatte sich selbst überholt und dabei im Markt verklemmt. Fertigte man Instrumente nur noch, um der Konkurrenz zu beweisen, daß man technisch perfekter ist?

Der Kunde will einfach nur ein zu seinen Vorstellungen von Musik passendes Musikinstrument. Und Musik sollte immer einen Eindruck von Wärme, nicht von Technik vermitteln. Musik muß Emotionen erzeugen, wecken, anregen. - Mit "VPT"?

Was ist da eigentlich anders als beim Automobil?

Gespräche mit Musikhändlern auf der Frankfurter Messe ergaben noch andere Gemeinsamkeiten zwischen den eigentlich unterschiedlichen Branchen. "Wenn wir nicht das Glück mit der Techno-Welle gehabt hätten", schildert einer die Situation in der Branche sehr drastisch, "wären bereits 30 Prozent der Kollegen pleite". - Nein, er sei auch kein Freund der Technomusik. Aber diese Musik (?) habe bei einer vollkommen neuen Schicht von Käufern das Interesse an Musikinstrumenten geweckt. Und die Industrie befriedigt deren Ansprüche durch entsprechende Instrumente, die speziell auf diese Musikrichtung ausgerichtet sind. Aber die Techno-Anhänger brauchen dann auch noch das gesamte Umfeld: Mischpult, Aufnahmegeräte, Lautsprecher, und, und, und. - Denn natürlich wollen alle mit der produzierten Musik Geld verdienen. - Techno läßt die Kassen klingeln. Und hat so einen Sinn.

Natürlich braucht niemand Techno. - Aber wer braucht schon die Geländewagen wirklich? Auch die Automobilbranche ist in einer Situation, wo man eine "Techno-Welle" dringend gebrauchen könnte. Bedarf muß inzwischen praktisch künstlich geschaffen werden. Im Markt für Musikintrumente, im Markt für Automobile.

Ich erinnere mich gut, als ich im Herbst 1993 - auch auf einer Messe in Frankfurt - dem Vorstandsvorsitzenden von Opel, David Herman den Vorschlag machte, sich doch um eine Einführung des Führerscheins für 16-jährige zu bemühen. (Damals durfte Herman noch mit mir sprechen.) Herman war damals schon klar, wohin der Markt, bei den immer größer werdenden Zahlen der Überproduktion, tendierte. - Man muß neue Kanäle schaffen. Und man muß sich erinnern, was das Automobil eigentlich können muß. - Was braucht ein Automobil, ein technisch gut durchkonstruiertes wirklich? - Bei der Industrie träumt man noch den Traum "vom qualitativen Wachstum".

Mit High-Tech hat es auch die Musikindustrie versucht. Klare Bedienoberflächen mit wenigen Schaltern. Alle mehrfach belegt. Mit Displays, sogar grafikfähig. Mit Menues und Untermenues. Vielen Untermenues. Und heute: man hat begriffen, daß man Musik verkaufen muß. Da gibt es wieder viele Knöpfe, die das Gerät in Echtzeit reagieren lassen. Der Mensch, der Bediener hat den Eindruck, nun wieder direkt etwas beeinflussen zu können. Natürlich geht das nicht ohne viel Technik. Aber bitte im Hintergrund. Der Mensch sollte immer den Eindruck haben, daß es ohne ihn nicht geht.

Bei Yamaha, einem der wirklich Großen unter den Musikinstrumente-Herstellern, erinnert man sich in einem Prospekt: "Am Anfang war der Ton...". In dem Prospekt wird "ein Keyboard der absoluten Spitzenklasse" dargestellt. Und ich habe es mir in einem der großen Vorführräume des Messestandes angehört. Mit mir noch -zig andere Zuhörer. Interessant die Beobachtung, daß sich auch das beste Instrument (Sie können dieses Wort auch gegen das Wort "Automobil" austauschen) nicht verkaufen läßt, wenn der Verkäufer keine Einstellung zum Interessenten findet.

Bevor ich mir das "Keyboard der absoluten Spitzenklasse" anhören konnte, wurde ein anderes Spitzeninstrument seiner Kategorie durch einen anderen Künstler vorgestellt. Aber die Zuhörer verließen schon nach wenigen Minuten ihren Platz. Neue kamen und - gingen. Dabei war das Instrument gut. Aber es wurde schlecht verkauft. Es "kam nichts rüber".

Dann kam der nächste Entertainer um das bewußte Keyboard vorzustellen. Und niemand ging mehr. Der Raum füllte sich und füllte sich. Und die Leute standen schließlich an den Wänden des Raums um zu lauschen. Der Künstler (wenn ich den Akzent richtig deute, wohl ein Holländer) ging perfekt auf die Möglichkeiten des Instruments und auch der Leute ein. Nach einer perfekten Darstellung seiner persönlichen Möglichkeiten in punkto Fingerfertigkeit, machte er z.B. die Bemerkung, daß man die Anleitung zu so einem Spiel natürlich auch in der Bedienungsanleitung des Keyboards finden würde. Was natürlich - bei diesem Publikum - einen Riesenlacher erzeugte. Denn jeder hatte begriffen, daß es auch bei dem besten, perfektesten Instrument, immer auf den Menschen ankommt.

Nun sagen Sie das mal einem Verkäufer der Mercedes A-Klasse. Oder lesen Sie mal in den neuesten Autoprospekten. Da kommt es immer auf die Technik an. High-Tech muß sein. Der Mensch wird entmündigt, auf das Niveau eines Bediener von Schaltern reduziert. Fahren tut das Auto.

Die Hersteller von Musikinstrumenten sind auf dem Weg zurück. Sie nutzen zwar die Möglichkeiten des High-Tech zur kostengünstigen Produktion der Instrumente, aber sie stellen den Aufwand nicht mehr zu sehr in den Vordergrund. Was rauskommt ist wichtig, die Musik. Und die entsteht nicht ohne den Menschen mit all seinen Eitelkeiten.

Es war interessant, auf der Musikmesse auch zu diesem Thema Beobachtungen zu machen. Da konnte man so manchen der Berufsmusiker, der Künstler schon von weitem erkennen: Sie waren zu gebräunt, die Zähne zu weiß, der Mund beim Lachen zu weit geöffnet, alles ein wenig zu viel, zu deutlich, zu unnatürlich. Vielleicht muß man das so machen, um seine (scheinbaren) Regungen von der Bühne runter bis zur letzten Reihe deutlich zu machen. Aber die Damen und Herren mit dieser Bühnenerfahrung machen zum Teil keinen Unterschied mehr zwischen Bühnen und Privatauftritt.

Das erinnert mich an so manche Eindrücke vom Top-Management der Automobilhersteller. Auch diese Herren sind teilweise deutlich verbildet, haben den Kontakt zur Basis verloren, keinen Bezug mehr zu dem, was sich einem normalen Autokäufer als Realität darstellt.

Aber es gab auf der Musikmesse auch Eindrücke anderer Art. Da waren vor allen Dingen die vielen jungen Leute, die mir positiv auffielen. Zum Beispiel das junge Mädchen im etwas schrillen Outfit (mit einem Silberring in der Augenbraune), die pfandfreie Colaflasche mit Schraubverschluß in der linken Hand, die Rechte erfühlt die perfekte Lackoberfläche eines Steinway-Flügels. Und sie reicht ihrem Begleiter, einem netten jungen Mann in Jeans mit brauner Lederweste die Colaflasche, setzt sich an den Flügel und spielt ein wenig Chopin.

Das war kein Einzelerlebnis. Nur ein Beispiel. Was mir noch auffiel: Besonders interessiert schienen mir die wirklich jungen und die wirklich alten Leute. Das "Mittelalter" ist wohl zu sehr mit der Karriere beschäftigt, um sich durch Musik "ablenken" zu lassen.

Und noch ein Eindruck grundsätzlicher Art: Da gab es eine ganze Etage, gefüllt mit dem "Naturinstrument" Piano und Flügel, den "Piano-Salon" in 9.2. - Schon an der Zugangstür wurde man gebeten, doch auf eine vernünftige Lautstärke (nicht über 7 0 dB(A)) zu achten. Aber drinnen war die Hölle los. Praktisch alle Klaviere, Pianos, Flügel waren besetzt. Und jeder spielte "sein Lied". Oft waren es wirkliche Demonstrationsstücke. Und man schaute herum, ob auch jeder mitbekam... - Was daran besonderes war? - Nun, es waren praktisch alles Männer, die sich hier produzierten. Frauen fand ich schon mal an den Silent-Klavieren, wo man die Mechanik abschalten und sich dann selbst über Kopfhören abhören kann. Meine Feststellung: Männer sind die (durch den Beruf dazu erzogenen?) perfekten Selbstdarsteller.

Ich mache es eigentlich auf jeder Messe so, daß ich mich für ein gutes halbes Stündchen an den Rand eines vielbegangenen Hallenganges setze, um die vorbeigehenden Leute zu beobachten. Weil das ja die Leute sind, für die ich eigentlich schreibe. Und ich erinnere mich an Ausstellungen, wo ich mich fast ein wenig entsetzt fragen mußte: "Für die schreibst du?" - Hier auf der Musikmesse war durchweg ein sympathisches Publikum unterwegs. Und man kam auch schnell miteinander ins Gespräch.

Ich habe auch mit Techno-Freaks gesprochen und diskutiert. Und wenn ich dann der gerade von renommierten Politikern geäußerten Vorurteile über diese Gruppe erinnere... - Schubladendenken, Vor- und Pauschal-Verurteilungen. Man sagt das, von dem man ausgeht, daß es bei der Masse der Wähler gut ankommt. Techno und Rauschgift. Industrie und Korruption. Bayern und Bier. Zigeuner und Diebstahl. - Man könnte diese Reihe der plakativen Sprechblasentexte bis ins unendliche fortsetzen.

Lassen Sie mich aber mit einer anderen Sprechblasenfüllung enden, an der - nach meinem Empfinden - wirklich etwas dran sein muß: Wo man singt, da laß dich fröhlich nieder. Böse Menschen haben kein Klavier.

Vielleicht sollte so ein Musikinstrument wirklichirgendwann einmal zur Standardausstattung der Top-Management-Etagen gehören. Es müssen ja nicht immer echte Schinken alter Meister sein, mit denen man das kulturelle Interesse und das eigene Niveau darstellt. Denn: eigentlich kommt es immer auf den Menschen an. Ohne ihn ist das modernste Musikinstrument nur eine Anhäufung von High-Tech, ein Automobil nur ein Blechhaufen und ein Automobilwerk nur eine seelenlose Produktionsstätte.

"Von Menschen für Menschen." - Das wäre doch mal ein neuer Slogan. Der Fortschritt durch Technik ist nicht immer der erstrebenswerte, wenn man in Zukunft Menschen noch als Menschen erleben möchte. Und es gibt - wenn ich meine Eindrücke von der Musikmesse in Frankfurt Revue passieren lasse - noch verdammt viel Menschen. Auch wenn sich manche inzwischen fast schon schämen, dieser Kategorie zugerechnet zu werden.

MK/Wilhelm Hahne