"Die Erschütterungen der Wagenfahrt
und später der Eisenbahnfahrt
üben eine so faszinierende Wirkung
auf ältere Kinder aus,
daß wenigstens alle Knaben
irgendwann einmal im Leben
Kondukteure und Kutscher werden wollen.
Die Vorgänge auf der Eisenbahn
pflegen sie ... im Alter der Phantasietätigkeit
(kurz vor der Pubertät) zum Kern
einer exquisit sexuellen Symbolik zu machen.
Der Zwang einer solchen Verknüpfung
des Eisenbahnfahrens mit der Sexualität
geht offenbar von dem Lustcharakter
der Bewegungsempfindungen aus."
(Sigmund Freud)

Motor-KRITIK schildert exklusiv die aktuellen Ereignisse:

"Pendolino" VT 10498 besteht den Elchtest

98-04-01/01. Berlin-Hennigsdorf (MK) - Der Deputy Chief Executive Officer ABB Daimler-Benz Transportation, Rolf Eckrodt, 55, kann seine Nervosität nicht ganz verbergen. Während der "Pendolino" VT 10498 auf die kritische Stelle zu beschleunigt, steht er auf, streicht seine Jacke zurecht, wirft einen hastigen (aber überflüssigen) Blick auf seinen Hublot Chronographen ("A Sensational Feeling on your Wrist"), um dann doch beim schnellen Hinsetzen nicht zu vergessen, die Hosenbeine etwas hochzuziehen.

Der "Pendolino" VT 10498 wird gleich mit 60 km/h die Schlüsselstelle auf dem neu eingerichteten Testgelände der ADtranz, einer Tochter von ABB und Daimler-Benz, erreichen.

Das ist die von der ADtranz in Berlin-Henningsdorf neu geschaffene Versuchsstrecke zur Durchführung eines "Elchtests" für schienengebundene Fahrzeuge, auf der der "Pendolino" VT 10498 heute diese Härteprüfung bestand.
Ich muß lächeln, wenn ich sehe, daß nun, wo´s drauf ankommt, Wolfgang Tölsner (am 25. April wird er 50), in der ADtranz-Geschäftsführung zuständig für Fernverkehr, seine Rodenstock-Brille nervös auf der Nase etwas höher schiebt und sich - noch nervöser - dann durch den Bart streicht. - Die sind wohl alle noch keine A-Klasse gefahren.

Nur Anders Larsson, 53, verantwortlich für Nahverkehr und Bahnfahrwegsysteme, ist die Ruhe selbst. Er ist halt "ein alter Schwede", denke ich. Der wird den Elchtest schon in seiner Jugendzeit oft erlebt haben. Larsson ist erst 1992 nach Deutschland gekommen und war sehr überrascht, daß man Daimler-Benz noch im Jahre 1997 mit einem Elchtest der A-Klasse "auf die Kreuz legen konnte", wie er es charmant formuliert.

Larsson war es, der alle Risiken auf dem Elchtest-Sektor ausschließen wollte und die ADtranz dazu brachte, als erster Hersteller von schienengebundenen Fahrzeugen (Triebwagen, Lokomotiven u.a.) nun heute den Elchtest einzuführen. Dazu hat er extra hier in Hennigsdorf eine Teststrecke einrichten lassen. "Nun Tasche leer", trägt er überzeugend vor und verweist auf verbaute und aufgewendete Beträge in Höhe von 137.010.498 DM, die das Experiment (bis heute) verschlungen hat.

Sein Deutsch ist nicht nur in seiner Aussprache "nordisch geprägt", man merkt ihm auch seinen langjährigen Aufenthalt in Südafrika (1976 - 1980) an, wenn er jetzt weiter ausführt: "ADtrans is good in Zug. Wir "Pendolino" bauen mit acht Grad Neigung bisher. Nun wir neigen bis zum Neigen. - You understand?" - Und er macht, während er weiterspricht eine schnelle Handbewegung, die eine zügige Kurvenfahrt seines Zuges beschreiben soll. - "Husch - wir fahren nun diese Elchtestkurve mit 28 Grad", warnt er vor.

Wir hätten gar nicht auf den Zeiger des speziell für diese Fahrt eingebauten Gradmessers schauen brauchen, der uns nun davon überzeugen - und optisch nahebringen - soll, was in der "Elchtestkurve" passiert. Denn nun neigt sich nicht nur der "Pendolino" im schnellen Wechsel von links nach rechts, sondern auch die Herren Eckrodt, Deputy Chief Excutive Officer ABB Daimler-Benz Transportation, und Stohwasser, 62, Systeme und Komponenten und gleichzeitig Arbeitsdirektor, haben sich von der Senkrechten auf die schräge Ebene des nun um 28 Grad geneigten Bodens (belegt mit "Elegance" von Verseidag) begeben. Zunächst nach rechts, dann nach links rollend. Eckrodt verwickelt sich dabei in die Krawatte (bugatti Natur-Silk) von Stohwasser, was den weniger stört als die dunkelbraunen Allen Edmonds von Eckrodt, die nun zunächst dunkelrote Streifen an seinem Kinn hinterlassen. - Die sich dann später ins Blaue verfärben. -"Sch....", entfährt es Stohwasser. Aber viel wichtiger: der "Pendolino" VT 10498 hat den ersten Elchtest in der Eisenbahngeschichte überstanden, befindet sich wieder in der Senkrechten. Und die mitfahrende Journalisten-Crew klatscht Beifall und man hört ein "Bravo", das wie ein Kompliment klingt.

Jürgen Hubbert, Mercedes-Benz Pkw-Chef, der auch auf diesen Zug zwecks "Pendolino"-Elchtest-Erlebnis aufgesprungen war, versucht die anwesende Journalisten-Crew von den gefallenen Geschäftsleitungsmitgliedern der ADtranz abzulenken. "Es war für uns eine große Herausforderung, die Synergie-Effekte zu nutzen, die die Pkw-Division des Konzerns unter großen finanziellen Opfern erarbeitet hat. Und wenn die Herren nicht standfest waren", und er zeigt dabei auf die ADtranz-Geschäftsleitungsherren, die sich gerade wieder aufrappeln, "dann lag das daran, daß die nicht - wie ich zum Beispiel - gelernt haben, manche Dinge einfach auszusitzen."

Und er hat die Lacher (leises, beifälliges Lachen ist zu hören) auf seiner Seite.

Während Eckrodt wieder seine Hose zurechtzieht und darauf hinweist, wie gut es doch ist, daß er neben einem Gürtel auch noch Hosenträger trägt, sagt Stohwasser zu Anders Larsson: "Das hätte auch schlimmer kommen können. - Nun können wir wenigstens behaupten, daß unser "Pendolino" den Elchtest fahren kann, denn zu normalem Einsatz in Eifel und Hunsrück war er ja bisher nicht zu gebrauchen."

Jürgen Hubbert: "Wirklich ein beeindruckender Triebwagen, dieser VT 10498, triebhafterr als unsere S-Klasse." (s.o. Sigmund Freud) - Und nur wenig schwerer.

Der Zug ist zum Stehen gekommen und wir alle, Manager und Journalisten, verlassen die historische Stätte auf der der erste Elchtest für einen Nahverkehrszug (weltweit!) stattfand, um uns in einer Lokhalle den Verlockungen eines kalt/warmen Büffets hinzugeben.

Wir alle waren Zeitzeugen, Zeugen eines historischen Moments. - "Und wenn das schiefgegangen wäre" fragt ein Kollege, der immer das wissen will, was niemand mehr interessiert. - "Dann wäre Ihr Ende eines Tages bestimmt verfilmt worden", sagt der Deputy Chief Executive Officer ABB Daimler-Benz Transportation, gleichzeitig Vorsitzender der Geschäftsführung der ADtranz (Deutschland), Rolf Eckrodt, während er mit einem weißen Batist-Taschentuch schweizer Herstellung (mit feinen Applikationen) einen noch feineren Blutspritzer (Blutgruppe A+) von seinen Allan Edmonds wischt.

Typisch Deputy Chief Executive Officer. - Das letzte Wort und den letzten Spritzer.

MK/Wilhelm Hahne