Kann der Tod eines Menschen ein Non-Event sein?

Liest man die Pressemitteilung zum Tod eines bedeutenden Audi-Mitarbeiters, dann graust einem. Niemand hat hier nichts begriffen, nichts erfühlt. "Norbert Weber tödlich verunglückt" steht über der Information. Und darin steht nichts, was wirklich war. Nichts wird davon spürbar, was wirklich passierte. Ein Mensch ist gestorben. Norbert Weber war einer. Er wurde 44 Jahre alt. Und ich muß daran denken, was eigentlich war, als ich 44 Jahre zählte.

"Du trittst vor die Tür und es fällt dir ein Panzer auf den Kopf"

98-04-28/03. Manfred Trint, ein Freund aus frühen Motorsportagen, hat oft so argumentiert, wenn uns, die wir den Motorsport aus innerem Antrieb, mit Überzeugung und Leidenschaft betrieben, die Gefährlichkeit dieses Sports vorgehalten wurde. Damals gab´s keine Anschnallgurte, keine crashtest-geprüften Tourenwagen. Wir fuhren, weil es uns Spaß machte. - Zweckfreies Tun.

Ich betreibe seit mehr als 40 Jahren Motorsport. Und ich habe gerade in diesem Sport Menschen kennengelernt, die man als "besonders wertvoll" bezeichnen muß. Norbert Weber war einer von ihnen. - War!

Als wir uns kennenlernten, war Norbert Weber 23 Jahre alt. Ich war 44 Jahre, gerade so alt, wie Norbert Weber nun geworden ist. Ich erinnere mich noch genau der Situation:

An einem Freitagnachmittag war ich im alten Fahrerlager des Nürburgrings. Es war der Tag vor einem Rennen zum Langstreckenpokal. Ich fuhr zusammen mit Walter Piel einen Golf der Gottfried Schulz-Gruppe in Essen. Man nannte ihn wegen seines Designs den "Flammen-Golf".Während Walter und ich den Wagen fürs Rennen vorbereiteten, traf ein neues Team in der hart umkämpften Zweiliter-Klasse (die eine Golf-GTI-Klasse war - damals gab es um die 30 Starter) ein: das Oettinger-Team. Die Fahrer waren Fred Rosterg und Rüdiger Dahlhäuser. Neben den Monteuren wurde das Oettinger-Team von einem Techniker begleitet: Norbert Weber.

Viele Jahre später habe ich erst erfahren, was Fred Rosterg zur Begeisterung seiner Team-Gefährten damals feststellte, als er mich dort im Fahrerlager in meinen Rennklamotten erblickte: "Guck mal, hier fahren solche Opas mit."

Am Renntag waren unsere Boxen nicht weit voneinander. Und die Stimmung war gut. Weil sich das Oettinger-Team überlegen fühlte. Und im Rennen war dann der "Flammen-Golf" vorne. Und Fred Rosterg versuchte bei seinem Turn vergeblich den "Opa" einzuholen. Wir haben später noch oft über diese Situation gelacht. Auch Norbert Weber. Sie hat ihm gefallen. Wir haben gemeinsam die Anfangszeit des Golf GTI als Renntourenwagen durchlitten: die ersten Antriebswellenprobleme (bis es die "Sportwellen" gab, die abdrehenden (weil festgehenden) Verteilerwellen, die sich lösenden (Stahl-) Schrauben bei den ersten Sport-LM-Felgen, und, und, und.

Wenn ich mich recht erinnere, war Norbert Weber damals gerade Vater geworden, wohl Vater jener Tochter, die heute auf einem Citroen Saxo Rennen fährt. Aber Norbert Weber ist dann wohl noch Ende der Saison 19977 von Oettinger zu Audi gewechselt und wir haben uns viele Jahre aus den Augen verloren, nicht gesehen.

Aber dann traf ich ihn wieder. Und während einige Monteure bei meiner Annäherung an das Team - obwohl wir uns kannten - verschämt die Augen senkten (weil es nicht unbedingt karrierefördernd ist, mich zu kennen), war es Norbert Weber, der auf mich zutrat um mich zu fragen: "Erinnern Sie sich noch an mich?" - Natürlich. Norbert Weber gehörte für mich zu jenem Typ Mensch, den man nicht vergißt.

Und ich habe mit Norbert Weber dann in der Folge eine Reihe von interessanten Gesprächen geführt. Warum kann man mit dem Audi quattro (ohne ABS) so spät bremsen? - Warum baut Audi selbst ein Getriebe für den Audi, wo doch Xtrac... -

Und Norbert Weber hat mir von seiner Tochter erzählt. Und ich habe sie im Renn-Einsitzer beobachtet. Das war nicht ihre Welt. Aber Norbert Weber hatte für alles eine Erklärung, Entschuldigung, war eben ein richtiger Vater.

Dann fuhr seine Tochter Tourenwagen. Sie fühlte sich besser, hatte inzwischen auch Rennerfahrung. Es war beeindruckend, wenn Norbert Weber von seiner Tochter sprach. Und er half ihr, baute nächtelang an ihrem Fahrzeug. Mir schien es manchmal, als wenn er seine Jugendträume durch seine Tochter verwirklicht sah. Wenn er von den Rennaktivitäten seiner Tochter sprach, veränderte sich seine Art zu sprechen. Er wurde mitreißend, begeisternd. - Er, der nüchterne Techniker.

Und nun hat er wieder am Fahrzeug seiner Tochter geschraubt. Bis in die Nacht. Und er wollte die Verbesserungen kurz ausprobieren. Mal schnell. Und natürlich war der Sitz auf die Maße seiner Tochter angepaßt. Natürlich waren die Sicherheitsgurte auf die Größe seiner Tochter eingestellt. Aber was soll das? - Nur mal schnell, mal eben... - Und so kam es zu der Situation, die Manfred Trint auf die Art schildert, wie sie im Titel niedergeschrieben wurde: "Und du trittst vor die Tür und es fällt dir ein Panzer auf den Kopf. Und niemand weiß wo er hergekommen ist."

Natürlich läßt sich der Unfallhergang im Falle des Norbert Weber sachlich erklären. Aber kann man das auch verstehen? - "...und es fällt Dir ein Panzer auf den Kopf."

Die Tochter hat den Unfall, den tödlichen Unfall, ihres Vaters beobachtet. Ihr gilt mein Mitgefühl. Und der Mutter. - Gesetze kennen kein Mitgefühl.

Norbert Weber war einer jener Menschen, deren Anwesenheit man nicht bemerkt, die wenig von sich her machen. Erst wenn sie fehlen... -

Norbert Weber wird seiner Familie fehlen - natürlich - aber auch mir. Auch ich begreife jetzt erst, daß er eine Ausnahme-Persönlichkeit war. Jetzt, wo es ihn nicht mehr gibt. Er war keiner jener "bunten Schmetterlinge", jener Selbstdarsteller, wie man sie häufig in der Automobilindustrie trifft. Er war der richtige Mann am richtigen Platz, beseelt von dem was er machte. - Und ich erinnere mich, daß ich auch mal 44 Jahre alt war... Aber was habe ich danach noch alles erleben dürfen ...

Norbert Weber hat keine Möglichkeit mehr darüber nachzudenken, aber seine Frau, seine Kinder - er hinterläßt drei Töchter. - Er wird ihnen fehlen. Nicht nur als Ernährer seiner Familie, sondern auch als Mensch. Da ist er unersetzlich. - Andere, Kollegen, Techniker, werden seinen Verlust verdrängen... - Und versuchen, ihn zu ersetzen. Als Techniker.

Wir Menschen haben zwar alle irgendeine Funktion, im Beruf, aber wir haben auch eine als Mensch. Und da sind wir für - zumindest einige - Mitmenschen unersetzlich.

Wir anderen versuchen, zur Tagesordnung überzugehen. Weil man nicht gerne an das erinnert wird, was unausweichlich auf uns alle zukommt. - Aber ist das eine Entschuldigung für unser Verhalten, wenn uns ein Mensch wie Norbert Weber verlassen hat? - Es bringt auch keinen Trost. - Manchmal ist das Leben wirklich trostlos.

MK/Wilhelm Hahne