Überproduktionen verderben das sittsame Verhalten derer, die sich eigentlich tugendsam darstellen

Produktionsstätten müssen ausgelastet werden. Nur dann ist Geld zu verdienen. Das weiß man nicht nur in der Möbelindustrie. Auch in den Vorstandsetagen der Automobil-Aktiengesellschaften. Darum muß man Abflußventile für die Teile der Produktion schaffen, die durch Nutzen der normalen Vertriebskanäle nicht abzusetzen ist. Aber man darf sich nicht dabei erwischen lassen. Jeder der leitenden Manager vertritt praktisch ein ehrenwertes Haus. Und man achtet auf Formen. Zum Beispiel im Umgang mit den EU-Behörden in Brüssel. Die achten wiederum ihrerseits auf die Umgangsformen der Firmen mit ihren Vertriebspartnern in Europa. Damit der Verkauf grenzenlos läuft. Und da gibt es Ärger. Bei VW, bei Opel, bei DaimlerChrysler. - Aber es bahnt sich eine Entwicklung an, mit der sich alle ins Abseits begeben. Nur will dann keiner der Auslöser gewesen sein. Und darum verbündet man sich - und kämpft gegeneinander.

Gibt es Automobile bald bei Tchibo?
oder
Wer wird in 10 Jahren noch Automobile kaufen?

99-06-16/03. Nein, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Alle Hersteller sind sich einig. Solange sie am Verhandlungstisch miteinander reden. Sobald sie auseinandergehen, denkt jeder nur an sich.

In dieser Woche wird es eine Sitzung beim VDA (Verband der deutschen Automobilindustrie) geben, dem auch z.B. Ford un Opel angehören. Aber die sind schon ein wenig anders als die anderen, die sich für die Besseren halten. Also trafen sich z.B. der DaimlerChrysler-Chef, der von BMW und VW zwei Wochen vorher zu einem - nennen wir es Abstimmungsgespräch.

Wie gut die Stimmung zwischen diesen "Partnern" ist merkt man daran, wie sie sich einander präsentieren. Da kommt der große Meister Schrempp (er wirkt in letzter Zeit ein wenig abgehoben) mit der neuen S-Klasse. Natürlich mit Fahrer. Maestro Milberg rollt im 7er-BMW vor. Und Ferdinand Piech?

Der macht durch das "Vorrollen" seines Repräsentationsfahrzeuges klar, wer der Chef im Ring der Top-Angestellten ist. Piech läßt ein Bugatti Royal Coupé de Ville(T 41, Chassis 41111, Liebhabern bestenfalls von Briefmarken, z.B. Grenada, Malagasy 1988 bekannt) vorfahren. Davon gibt es auf der Welt (wenn ich richtig recherchiert habe) um sechs Stück. Ferdinand Piech hat "seinen" gerade in den USA erstanden, von der Lufthansa (extra zum Schocken seiner lieben Kollegen) einfliegen lassen.

Wie in den USA zu hören, hat Piech 9 Millionen Dollar für das gute Bugatti-Stück gezahlt. (Das wären nach derzeitigem Kurs rd. 17,5 Mio DM, also der höchste Preis, der je für einen Bugatti bezahlt worden ist.) Wenn man weiß, was Piech zum Beispiel der Audi-Einsatz in Le Mans kostet, dann handelt es sich hier um ein Taschengeld. (Da fällt mir ein: Ferdinand Piech wird den Motorsport der Volkswagen-Gruppe wohl organisatorisch umstruktuieren müssen. Darüber an anderer Stelle mehr.)

Aber beim Zusammentreffen mit seinen Kollegen der anderen großen deutschen Firmen geht es um etwas anderes. In bester Stimmung - die einen Ferdinand Piech aus dem (innerlichen) Lachen nicht herauskommen läßt - verhandeln die Herren ehrenwerter Automobilwerke, wie man "gegen Brüssel" vorgehen soll. Und wie man die anderen - die auch (im VDA) gegen Brüssel vorgehen wollen - "außen vor" läßt.

Schrempp ist ein feiner Mann. Und darum erzählt er auch sicherlich nicht (den anderen), wie er derzeit Zulassungszahlen z.B. für den "smart" zu schaffen versucht. Da kann man evtl., wenn man es richtig anstellt, auch "smart" zum Nulltarif erstehen. Das heißt: man ersteht sie nicht, sondern man bekommt sie gestellt. Und man wird sie nicht mehr los. Weil sie in drei Jahren in das Eigentum übergehen.

Schrempp will den "smart" leben lassen. Weil ein Sterben eine Menge Nachteile (für DaimlerChrysler) mit sich brächte. In Frankreich zum Beispiel. - Würde bei einer Einstellung der Produktion noch jemand dort einen Mercedes kaufen? - Und was müßte man von den Zuschüssen (wegen Werk Hambach) zurückzahlen? - Also sagt sich Meister Schrempp: Der erste Schaden ist der beste! - Weil der überschaubar, exakt berechenbar ist. - Sollen die Käufer einer E-Klasse den doch gleich mitbezahlen.

Der erste Schaden ist der beste! - Das denken auch andere. Zum Beispiel Kia und Daewoo. Da hat man in Europa Automobile eingeführt, die sich nicht in der gedachten Stückzahl verkaufen lassen. Was tun?

Verkaufen natürlich. Leider hat Tchibo derzeit noch zu kleine Läden. Wer kommt also als Vertreiber (neben dem eigenen Händlernetz) in Frage? - Supermärkte, Baumärkte natürlich. Und so passiert es in diesen Tagen, daß Firmenchefs von großen Autohäusern aufgeregt verkünden, daß es "eine große Schweinerei ist", was gerade passiert.

Kia verkauft seine Modelle über Baumärkte mit einem Nachlaß von (im Mittel) um 40 Prozent. Das heißt: Kia verkauft gar nicht diese Modelle, weiß gar nicht, wie sie in die Baumärkte kommen. Natürlich nicht. Da gab es irgendeinen Großhändler... - Und eigentlich sollten die Fahrzeuge irgendwo im Osten... - Dumme Frage: Wie können denn die Fahrzeuge mit diesem (eigentlich nicht normalen) Nachlaß verkauft werden?

Wer um die Transportkostenhöhe weiß, die Stand- oder Lagerkosten, die Verzinsung des eingesetzten Kapitals berechnen kann, der kann auch die Einstandpreise für den "Großhandel" verstehen. Und der begreift auch die Preisnachlässe gegenüber den offiziellen Händlerpreisen.- Wenn er die reinen Herstellungskosten dieser Automobile berücksichtigt. - Und der erste Schaden ist immer der beste. - Weil er überschaubar ist.

Daewoo-Automobile werden auf ähnliche Art in Frankreich vertrieben. Und in Deutschland bleibt Herrn Schrempp eigentlich keine Wahl, wenn er die 80.000er-Marke zum Beispiel beim "smart" in der Zulassungsstatisktik erreichen will. Und er muß sie erreichen, um glaubwürdig zu bleiben.

Natürlich könnte Schrempp - sozusagen auf eigene Kosten - für sein inzwischen gestiegenes Vorstandsgehalt eine Menge "smart" kaufen. Aber es geht auch anders.

Da fallen Motor-KRITIK z.B. "smart"-Fahrzeuge beim THW, dem Technischen Hilfs-Werk, auf. Das untersteht dem Bund. Es gibt - wie ich hörte - 66 (nennen wir es) Niederlassungen. Und jedes soll nun einen "smart" fahren. Damit man den "smart" auf der Straße erlebt. Ein THW-Mitarbeiter: "Wir dürfen auch Werbung draufkleben." - Aber die Fahrzeuge sind praktisch von DaimlerChrysler gestellt. Und das THW zahlt nicht mehr als das Benzin, das diese komfortablen Krankenfahrstühle schlucken. "Und nach drei Jahren", so erzählt mir ein THW-Mitarbeiter, "gehen dann die Fahrzeuge in den Besitz des Bundes über.

Bei Kia sind es ein paar hundert, bei Daewoo ebenfalls. Bei "smart" sind es "nur" 66 Fahrzeuge. - Wie will Schrempp denn die 80.000 Fahrzeuge schaffen? - Ganz einfach: indem er z.B. viele tausend Stück an "Sixt" verkauft. Damit die als Leihwagen genutzt werden.

"Sixt" hat nach unseren Recherchen nichts dagegen, "smart" in einem neuartigen Leihwagensystem einzusetzen. Der Kunde würde da nur die gefahrenen Kilometer bezahlen, könnte den Wagen bei einer "Sixt"-Station abholen und überall dort stehenlassen, wenn er sein Fahrtziel erreicht hat. Und wenn "Sixt" nun z.B. dafür viele tausend "smart" zur Verfügung stehen... -

"Sixt" findet die Idee mit den "smart"- Fahrzeugen toll. Aber möchte für diese tausenden Fahrzeuge dann als Kaufpreis exakt 0,0 DM zahlen. Für's Stück und dann auch für die vielen tausend. - Damit ist DaimlerChrysler nicht einverstanden. Und so verhandelt man noch zur Zeit.

Bei der momentanen Verhandlungsituation versucht man sich nun einander anzunähern. "Sixt" hat wohl - wie zu hören - den Vorschlag gemacht, daß man die Lieferfirma ja am (wenn es dazu kommt) Gewinn beteiligen könnte. Wenn es zu dem Deail kommt. Denn für "Sixt" ist ein neues Vermietungssystem, wie man es mit den vielen kleinen "smart" versuchen möchte, natürlich auch ein Risiko. Auch ohne einen Pfennig für die Fahrzeuge zu zahlen, könnte es Verluste bringen.

Risiko! - Geht es Schrempp ein? - Macht "Sixt" mit? - Kommt es demnächst - im nächsten Jahrzehnt - zu einer vollkommen anderen Einstellung der Autonutzer? - Wird das Automobil "ent-emotionalisiert"? - Wer wird in 10 Jahren noch ein eigenes Automobil besitzen wollen?

Aber in dieser Woche tagt der VDA. Und alle Mitglieder werden sich mit treuen blauen Augen gegenüber sitzen. Und darüber beraten, was man nun "gegen Brüssel" unternehmen kann. Da geht es um die Freistellungsverordnung, die auf EU-Ebene den europäischen Automobilherstellern garantiert, daß sie ihre Fahrzeuge über exklusive Händlernetze vertreiben darf.

Und alle sind dafür. Offiziell. Werden sie - durchtrieben - schon nach neuen Arten des Vertriebs suchen. Denn die Produktionsstückzahlen müssen an den Mann gebracht werden.

Und wie kann Brüssel eine (oder mehrere) Autofirmen bestrafen, wenn sie verhindern, daß das Preisgefälle in den europäischen Ländern dazu führt, die Automobile dort zu kaufen, wo sie am billigsten sind?

Eigentlich werden sich alle Hersteller am Verhandlungstisch des VDA in der nächsten Woche einig sein. Und die großen deutschen  Hersteller haben sich schon vorher abgestimmt. Und der größte deutsche Hersteller, bzw. sein Firmenchef, hat den anderen klar gemacht, wer sie eigentlich sind.

Eigentlich ist sich jeder selbst der Nächste. Und darum haben interne Absprachen den Wert, den auch eine Verpackung hat, wenn sie geleert ist.

Und nun ist Motor-KRITIK gespannt, ob es zum Abschluß des "Geschäftes" (!!!) zwischen DaimlerChrysler und "Sixt" kommt. Das wäre der Anfang vom Ende eines Systems, das in den nächsten Wochen in Brüssel noch verteidigt werden soll.

MK/Wilhelm Hahne