VW und der Motorsport - u.a. am Beispiel des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring

An der Spitze des Volkswagen-Konzerns steht heute einer der wenigen Manager eines deutschen Automobilwerkes, der nicht nur Techniker ist, sondern auch das Automobil begriffen hat, ein natürlich gewachsenes Gefühl für Automobi-Marketing spüren läßt, mögen seine Aktionen auch für Spezialisten manchmal ungewöhnlich erscheinen. Und so ist es nicht ungewöhnlich, wenn Ferdinand Piech den Wert des Motorsports für ein Automobilwerk - in diesem Falle einen Automobilkonzerns - richtig erkannt hat und ihn vielfältig nutzen möchte. Fürs Image, zur Produktdarstellung, zur Profilierung von Modellreihen, zur Abgrenzung von Marken, zur Motivation der Mitarbeiter. So macht Skoda etwas anderes als VW, Audi etwas anderes als Seat. Und Lamborghini wird.. - Und Bentley wird... - Und Bugatti... - Aber alles muß gut abgestimmt sein. Dazu braucht man einen Sportdirektor mit großer Erfahrung. Und alles muß nach draußen gut verkauft werden. Dazu braucht man Öffentlichkeitsarbeiter die sich auskennen. Man braucht Strategen, Planer, innovative Ingenieure. Eigentlich müßte alles vorhanden sein. Aber:

Gemessen am Chef ist alles nur zweitklassig

99-06-16/06. In Sachen Motorsport wirkt VW wie ein Lehrling, der immer wieder staunend zur Kenntnis nehmen muß, daß das Leben so ganz anders ist, als man es sich erträumte. Und daß im Motorsport oft nicht 1 + 1 = 2 ist. So wird z.B. auch nicht ein Fünfzylinder-Diesel mit 300 PS durch Hinzufügen eines zweiten Aggregates nun zum  Zehnzylinder-Fünfliter mit 600 PS.

So wurde es auch zum echten Nachteil, sich für eine Änderung des 1998 gültigen Diesel-Reglements zu verwenden, in dem die Hubraumobergrenze der Diesel-Kategorie mit zwei Litern festgelegt war. Bei VW glaubte man, durch ein Verschieben auf 2,5 Liter gegenüber der bisher überlegenen Konkurrenz von BMW (mit zwei Litern Hubraum) einen Vorteil gewinnen zu können. Hubraum ist eben durch nichts zu ersetzen.

Aber obwohl dieser Satz in einem bestimmten Bereich stimmt, ist er beim Motorsport mit Diesel-Tourenwagen nicht unbedingt stimmig. Es kommt auf die Voraussetzungen an. Und die stimmen eben bei VW nicht. Aber dazu war bei Motor-KRITIK schon im März 1999, lange vor dem 24-Stunden-Rennen eine Einschätzung zu lesen, die sich - für VW leider - als richtig erwies. (VW testete am "Ring" fürs 24-h-Rennen). - So mußte VW denn auch beim 24-Stunden-Rennen eine Pleite erleben.

Noch vor dem Start hatte ich einen der verantwortlichen Techniker getroffen. Und ich hatte ihm noch einmal erläutert, daß ich nicht damit rechnen würde, daß einer seiner Diesel das Zeil erreichen würde. Er dagegen war fest davon überzeugt und fragte, als wir über Details sprachen: "Wer hat ihnen diesen Blödsinn erzählt?"

Nach seiner Darstellung war alles bestens. - Und wie ich denn die Kit-Cars einschätzen würde? Ich sagte ihm, daß ich mit dem Ankommen des Golf III rechnen würde, den eingesetzten Golf IV aber schon vor dem Start als Ausfall sehen würde. Und erklärte ihm das mit der Fahrerbesetzung. Für mich bedeute diese Zusammensetzung Motorschaden.

Nun, der Golf IV ist mit Motorschaden ausgefallen. Aber ein Diesel ist angekommen. - Aber wie!

Und nun muß man einmal sehen, wie der Einsatz von VW angekündigt war: Da keiner der Wahrheit (und der Realität) ins Auge sehen wollte, hatte man sich wohl gegenseitig "etwas vom Pferd erzählt", und das führte dann zur folgenden Vorankündigung durch die VW Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:

"Bora will zum Sieg stürmen

Nach monatelanger Entwicklungsarbeit und tausenden von Testkilometern gelten die beiden VW Bora TDI als Mitanwärter auf den Gesamtsieg - "Wenn das nötige Quentchen Glück dabei ist", so Entwicklungschef Herbert Horntrich."
...
"Es wäre natürlich ein absoluter Traum, dieses Rennen nochmals zu gewinnen", gibt Nissen zu."
...
"Jean-Francois Hemroulle hat in seiner Heimat Belgien bislang alles gewonnen, was man gewinnen kann, doch einen Sieg bei den 24 Stunden-Nürburgring würder der 29jährige noch höher einstufen: "Dieses Rennen ist einfach einmalig für Mensch und Material."
...
"Mauro Baldi, der insgesamt 35 Formel 1-Rennen bestritt und sich 1990 die Sportwagen-WM sicherte, fehlt noch ein großer Triumph auf dem altehrwürdigen Nürburgring. "Aber das können wir ja dieses Jahr nachholen", hofft Baldi."

Das ist nur ein kleiner Auszug aus den Sieg-Vorhersagen. Der BMW-Diesel war nicht am Start. Also wer sollte den Bora-Diesel schlagen? - Das war die Einstellung. Und nachdem sich das alle lange selbst eingeredet hatten, waren sie wohl selbst davon überzeugt, ein Gesamtsieg-Auto zu haben. - Träumer! - Aber das hatte Motor-KRITIK bereits alles im März vorhergesagt.

Im Rennen ging es dann Schlag auf Schlag. Schon nach weniger als einer Stunde Renndauer waren die Bora an der Box. Es war die Leistung die (zer-)störte, die unvollkommene Vorausplanung und technische Anpassung. Da mußte man schließlich aus Wolfsburg neue Antriebswellen kommen lassen. Angeblich waren die verwendeten Wellen (natürlich durch einen Zulieferfehler, in diesem Falle von GNK) fehlerhaft. Sie waren mit falschem Fett befüllt.

Wie wäre es denn gewesen, wenn man die Radträger zwangsgekühlt hätte? (Nur so eine Idee, von einem dummen Journalisten.)

Da riß die Motoraufhängung ab, da gab es mit der Lichtmaschine Probleme. Schließlich wurde der Freilauf festgeschweißt. Und das alles war vollkommen unbekannt?

Wieso hatte man denn tausende von Rennkilometern gefahren? Motor-KRITIK wußte schon vor dem Rennen, daß eigentlich gar nichts funktionierte außer: VW konnte die Rennfahrzeuge in diesem Jahr an den Start stellen. 1998 hatte man das noch nicht einmal geschafft. (Man wußte ja auch nur ein Jahr zuvor, wann das Rennen war.)

Dieses Mal war es beim Testen nach Motor-KRITIK-Informationen passiert, daß praktisch die Kurbelwelle unten heraus fiel. VW-Motorentechniker rieten dem Entwicklungschef, doch die Leistung des Motors zurückzunehmen. Aber Herbert Horntrich gegenüber Motor-KRITIK: "Wir fahren mit der vollen Leistung. Ich will Rennen gewinnem."

Motor-KRITIK glaubt aber zu wissen: Die Leistung der Bora Renndiesel war fürs Rennen reduziert. Diese Fahrzeuge hätten auch - selbst wenn sie ohne Probleme durchgefahren wären - gegen einen Zweiliter-BMW-Renndiesel (nach dem 99er-Reglement vorbereitet) keine Chance gehabt.

Da ich zu den wenigen Leuten gehöre, die auf diesem Gebiet überhaupt ein paar Detailkenntnisse haben, erlaube ich mir zu behaupten: ein BMW-Renndiesel wäre hinter der Chrysler Viper auf Platz zwei des Gesamtklassements gefahren. VW war für diesen besten Renndiesel den es bisher auf der Welt gibt, auch in diesem Jahr keine Konkurrenz.

Ich weiß z.B. aus dem VW-Versuchsbetrieb, daß Federbeine "hochkamen", daß... - Egal - nichts war wirklich perfekt gemacht. Mit einer Ausnahme: der Motor war OK. Und wenn man nun den Antriebsstrang perfektioniert hätte, wenn man... - VW hat es in 12 Monaten nicht geschafft.

Und dann die Fahrerbesetzung! Als wäre die (z.B. bei dem italienischen Fahrzeug) von Marketingleuten vorgenommen worden. Was sollte ein Mauro Baldi auf der Nürburgring-Nordschleife? - Und dann diese Sprüche! (s.o. VW-Pressetext).

Denn es kommt erschwerend hinzu, daß auch die große Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, unter Leitung des Chefdirigenten Prof. Dr. Klaus Kocks nicht einen einzigen Mitarbeiter namhaft machen könnte, der etwas im Detail von Motorsport und seiner Vermarktung versteht.

Und so darf man diesem Kindergarten nicht übelnehmen, wenn denen nach der Blamage im Nürburgring, nur folgende Prosadichtung einfiel:

"Vor 88.000 Zuschauern entlang des 25,5 km langen Eifelkurses zeigten die beiden VW Bora zunächst eine gute Figur. Kris Nissen konnte schon nach wenigen runden einige Konkurrenten hinter sich lassen und der Anfang deutete auf einen vielversprechenden Lauf rund um die Uhr hin. Dann traten allerdings einige Defekte auf, die auf Materialfehler schließen ließen. Das Team arbeitete erfolgreich an der Lösung und die beiden Autos konnten zeitweise ganz vorne mitfahren.

Als dann der Sieg in der Klasse S2 für das Team Nissen(Hemmroulle/Baumschlager/Seidel bereits in greifbare Nähe gerückt war, traf die Nachricht ein, daß Jörg Seidel mit dem VW Bora R-TDI im Streckenabschnitt "Metzgesfeld" stehengeblieben war. Nach dem Ausfall des Einsatzautos vom Team VW Motorsport Italia im Morgengrauen, schien es nun, daß auch der zweite Bora von VW-Motorsport aufgeben mußte. Doch dann kam die große Überraschung: Der VW Bora R-TDI kämpfte sich noch die letzten Kilometer vor und erreichte auf dem vierten Platz in der Klasse die Ziellinie."

Es ist einfach unglaublich, was diese VW-Propaganda-Abteilung unter Leitung ihres Chefdichters zustande bringt. - Hat Ferdinand Piech diese Darstellung geglaubt? - Sie ist eine einzige Frechheit.

Zur Erinnerung: Der Gesamtsieger, die Chrysler Viper fuhr mit 143 Runden zum Gesamtsieg.

Die Klasse S 2, "Diesel und alternative Kraftstoffe" bis 2.500 cc endete so:
Plazierung Klasse
Plazierung
Gesamtkl.
Fabrikat
Typ
gefahrene Runden
1.
37.
BMW
320d E 46
121
2.
41.
VW
Golf TDI
120
3.
52.
Audi
A 4 "Gas"
118
4.
75.
VW
Bora TDI
112
5.
126.
Seat
Toledo TDI
93
6.
135.
Citroen
XM TDI
88
7.
137.
Audi
A3 TDI
86

Das VW-Werksteam, das in der Pressemitteilung vom Gesamtsieg geträumt hatte, legte also tatsächlich rund 78 Prozent der Strecke zurück, die der tatsächliche Gesamtsieger innerhalb von 24 Stunden fuhr. Und wenn man einmal sieht, gegen welche Konkurrenz man in der Klasse einen 4. Platz belegte... - Es ist beschämend. Vor allen Dingen dann, wenn man dem Ergebnis den Aufwand gegenüberstellt, der von Volkswagen Motorsport zum Erreichen von Platz 75 im Gesamtklassement getrieben wurde.

Dabei zieht sich das Thema Perfektion durch den gesamten Motorsportbereich. Da werden von leitenden Mitarbeitern Äußerungen vor der Fernsehkamera getan, die einen den Kopf schütteln lassen. Aber für Profis im Öffentlichkeitsbereich hat man kein Geld. So wird z.B. nach eigener Aussage der Lupo-Cup von einer Sekretärin mit einer studentischen Hilfskraft betreut, weil dafür leider im Etat kein Geld vorgesehen war.

Und was im Beetle-Cup passiert, läßt einen ebenfalls die Haare raufen. (So man welche hat.) Da kichert man z.B. bei einem Zulieferer von Leichtmetallfelgen still in sich hinein, wenn von VW Felgen mit falschen Bohrungen für die Radbolzen bestellt werden. Hunderte. Alles zurück, alles überarbeiten.

Aber bei VW klagt man, da man von den Zulieferern nicht im vereinbarten Zeitrahmen beliefert wird. Aber das liegt überwiegend an VW. Da haperte es mit Anbauteilen, die eigentlich von der Nitec (einem Zakowski-Unternehmen) kommen sollten. Sie kamen (in schlechtem Verarbeitungszustand) von einer anderen Firma, an der aber der (jetzt ehemalige) Geschäftsführer des Zakowski-Betriebes beteiligt war. - Und bei VW ist das nicht aufgefallen?

Achten Sie doch einmal bei den nächsten Bildern im Fernsehen darauf, wie das Hinterrad beim Beetle-Cup-Fahrzeug im Radkasten steht. - Man hatte beim Tieferlegen nicht bedacht, daß durch die Kinematik dann das Hinterrad weiter nach vorne rückt.

Was die VW-Öffentlichkeitsarbeiter auch beglücken würde: Versuchen Sie doch einmal etwas über die Gewichtsverteilung beim Cup-Fahrzeug zu erfahren. Wenn sie die Werte kennen, begreifen Sie auch, warum es keinen Audi TT mit Sechszylindermotor gibt. -

Wobei mir zum Audi TT einfällt: beim 24-Stunden-Rennen waren drei Fahrzeuge am Start. Alle drei waren mit einem Heckflügel ausgestattet. - Warum wohl? (Aber auch dazu wurde schon bei Motor-KRITIK geschrieben.) Zur Abrundung: ich habe einmal die Verbrauchswerte beim quattro-TT auf dem Nürburgring beim 24-Stunden-Rennen "kontrolliert". Der folgende Wert stimmt nicht auf's Zehntel, wurde auf 100 km umgerechnet und beträgt (Sie kommen nicht drauf) 48 l/100 km.

Das ist der Wert, den man auch braucht, wenn man mit einem 850er Coupé von BMW mit Zwölfzylindermotor (Gewicht nahe 2 Tonnen fahrfertig) die Nürburgring-Nordschleife im Renntempo umrundet.

Bei VW (und ich meine damit im Konzern) laufen derzeit so um 12 Motorsport-Projekte. Ich habe nicht den Eindruck, daß das mit der Perfektion - und organisatorischen Planung - abläuft, die man eigentlich hier erwarten sollte. Natürlich sollte sich VW auf diesem Gebiet eigene Spezialisten heranziehen. Aber die brauchen zunächst Erzieher.

In der normalen Entwicklung kann man schon einmal einen nicht gelungenen Zwischenschritt verschleiern. Im Motorsport kann so etwas für ein Projekt tödlich sein. Außerdem sollte man für jedes Projekt einen klar abgegrenzten Etat bereitstellen und nicht mit einem Griff in die eine Schatulle, die Leere in einer anderen füllen müssen. Weil die Zeit drängt. Und niemand für den Betrag X geradestehen will.

Motor-KRITIK will nicht weiter in ( uns bekannte) Details einsteigen, weil das Leute erregen könnte, die nicht verstehen, wie ein alter Mann in der Eifel an "geheime Informationen" aus einem großen Konzern kommt.

Lassen Sie mich feststellen: der Motorsport bei VW wird eigentlich in keinem Bereich professionell betrieben. Im Motorenbereich funktioniert alles noch am besten. Aber selbst die Öffentlichkeitsarbeit kann man im Motorsportbereich nicht ernst nehmen. Zu viele Schwätzer, zu wenig Kenner und Könner.

Insgesamt betrachtet wird Ferdinand Piech nicht daran vorbeikommen, recht bald eine "Umorganisation" (oder wie immer man das bezeichnen will) vorzunehmen. Geld alleine genügt nicht.

Am Nürburgring waren die Bora und die Kit-Cars keine Attraktionen. In Le Mans kam man bei den offenen Sportwagen mit einem blauen Auge davon. Die tatsächliche Situation wurde geschönt. Die GTs wurden von "auto motor und sport" als zwei hoffnungslos unausgereifte Wanderbaustellen empfunden. Sie waren etwa auf Bora-Niveau. (Ich meine das der Rennfahrzeuge am Nürburgring.)

Ferdinand Piech möchte die Bora zu einer Konkurrenz zum 3erBMW aufbauen. Aber bitte nicht so! - Nun sollte er einen Strich ziehen und versuchen fürs Jahr 2000 seine Ziele zu erreichen. - Das geht nur auf anderen, auf neuen Wegen.

Bisher ist - gemessen am Chef und seinen Ansprüchen - der VW-Motorsport nur zweitklassig.

MK/Wilhelm Hahne