Über eine (inzwischen behobene?) Fahrwerkschwäche der neuen Mercedes S-Klasse

Der Mitarbeiter der DaimlerChrysler AG war nicht amüsiert, als ich ihn bat, mir doch zur Fahrwerkschwäche der neuen Mercedes S-Klasse eine offizielle Stellungnahme zukommen zu lassen. Seine erste Reaktion: "Die gibt es nicht". - Meine Antwort: "Das genügt mir schon als offizielle Stellungnahme". - Was nun sofort einen Wortschwall auf der Gegenseite auslöste. Das habe er nicht gesagt, gemeint. Und im übrigen wäre es unfair... - Und er antworte nur auf meine Frage, wenn ich ihm detailliert per Fax oder e-mail darlegen würde, was ich wüßte. - Da habe ich wirklich lachen müssen. Allein schon das Wort "unfair" aus Richtung Mercedes zu hören, hat mich amüsiert. Dort ist "fair" - gerade nach Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung - eigentlich nur ein Teil von GEfährLICH. Denn "fair" schreibt man bei Mercedes anders. Wolfgang Inhester jedenfalls. (Aber vielleicht kennt er auch das Wort überhaupt nicht.) - Aber zurück zu seinem Mitarbeiter: Ich habe ihm nicht nur zugesagt, sondern auch per e-mail mitgeteilt, daß ich natürlich mein Wissen schriftlich darstellen würde. Aber im Internet. Und ich habe ihm versprochen, daß ich dann die offizielle Stellungnahme seiner Firma gerne (kostenlos) dazu stelle. Damit alle Leser sich ein Bild machen können.

Wenn die Cola schwappt und man "seekrank" wird.

99-09-14/02. Wie man der Pressemitteilung von DaimlerChrysler entnehmen kann, ist die Luftfederung der neuen S-Klasse ein absolutes Highlight. Da ist zu lesen: "Bei der neuen S-Klasse sorgen die neuentwickelte AIRmatic (Adaptive Intelligent Ridecontrol), die Luftfederung und das adaptives Dämpfungssystem (ADS) für höchsten Komfort und Fahrsicherheit."

Und dann höre ich im Gespräch, dass man in der neuen S-Klasse - anders als in der alten - "schnell seekrank" wird. Außerdem würden die nun auch hinten vorhandenen "Cup-Holder" wenig nutzen, wenn dauernd die Cola überschwappt. - Und ich frage mich: Warum das? - Und lasse mir von DaimlerChrysler zunächst einmal das System erklären:

" Zu der neuentwickelten Luftfederung gehören verschiedene Komponenten, die durch Pneumatik-Leitungen und per CAN-Datenbus (Controller Area Network) miteinander verbunden sind: Luftfederbeine an Vorder- und Hinterachse, Kompressor, Zentralspeicher, Luftfederventile, elektronisches Steuergerät und verschiedene Sensoren.

Das adaptive Dämpfungssystem, das die Stoßdämpferkraft an Vorder- und Hinterachse dem jeweiligen Beladungszustand, der Fahrbahnbeschaffenheit und der Fahrweise anpaßt, gehört zur serienmäßigen Ausstattung. Ein Lenkwinkel-Sensor, drei Beschleunigungs-Sensoren an der Karosserie, der Geschwindigkeits-Sensor des ABS sowie der Bremspedalschalter ermitteln während der Fahrt ständig die Quer- und Längsbeschleunigungen der Karosserie.

Aus diesen Daten errechnet das ADS-Steuergerät für jedes Rad die günstigste Dämpfer-Einstellung. Binnen Sekundenbruchteilen erteilt es den speziellen Schaltventilen an den Gasdruck-Stoßdämpfern entsprechende Befehle."

Aber dann höre ich - auch ganz zufällig - beim Frisör einen älteren Herren erzählen, dass er sich heute so schön machen lasse, weil er hohen Besuch von Mercedes erwarte. Sein Mercedes habe so ein tolles Fahrwerk, das immer das Fahrzeug in der Waage halte. Aber nachdem er nun einmal den Kofferraum mit Material vom Baumarkt vollgeladen habe, sei die Federung plötzlich so hart, dass ihm beim Fahren praktisch "das Gebiß herausfalle".

Und Mercedes habe bisher - nach zwei Werkstattbesuchen - diesen Fehler nicht abstellen können. Er habe den Eindruck, daß man dort gar nicht wisse, wie das überhaupt funktioniert. Und nun komme "ein hohes Tier von Mercedes"... - (Ich lasse hier einmal weg, daß der Besitzer weiter von einem "Montagsauto" sprach, bei dem es noch mehr Macken gab.)

Da habe ich dann später am Schreibtisch schnell noch einmal nachgelesen, was man "bei Mercedes" zu dem neuen System meint. Die Stuttgarter stellen im Untertitel zu ihrer Information über die neue Luftfederung der S-Klasse fest: "Vorbildlicher Fahrkomfort durch ausgereiftes Fahrwerk".

"Ausgereiftes Fahrwerk" und dann schwappt die Cola, wird man "seekrank", tun es schon mal ein paar Sensoren nicht?

Und schon beginnt die Recherche. Aber nicht in der Presseabteilung, sondern bei S-Klasse-Fahrern. Das Ergebnis: je schlechter die Fahrer, desto besser ist das Auto. Gute Fahrer vermelden aber eine "Instabilität", die von hinten kommt. Und je besser der Fahrer ist, desto unangenehmer scheint die Erscheinung zu sein.

Meine Erklärung: Hier ist ein Rechner zu langsam oder er erfaßt nicht alle "Anregungen" die das Fahrzeug von außen erhält. Am besten versucht man hier bei den Ingenieuren nachzufragen, die das System kennen.

Ich frage also einen Mercedes-Mann, ob er von einer Fahrwerkschwäche der S-Klasse, einer Instabilität weiß, die von der Hinterachse auszugehen scheint. Reaktion: "Oh Gott, hat sich das schon bis in die Eifel herumgesprochen?" - Und dann Schweigen - und ein "Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich dazu nichts sagen kann."

Mir hat das eigentlich schon genügt. Aber ich habe weiter recherchiert und bin auf einen Mercedes-Mitarbeiter gestoßen, der "diese Fahrwerkschwäche" als "den Schnee von gestern" bezeichnete. Ab der September-Produktion sei alles in Ordnung. Aber er wollte nicht sagen, was vorher nicht in Ordnung gewesen sei.

Und dann höre ich, daß einzelne Fahrzeuge aus der Produktion schon unauffällig umgerüstet werden. Bei den normalen Inspektionen. Es wird also sicherlich keine offizielle Rückrufaktion geben. Aber trotzdem scheint das Problem nicht ganz beseitigt. Denn es gibt wohl - wie zu hören - einen "Entwicklungsauftrag" von DaimlerChrysler an die Reifenindustrie, für die neue S-Klasse Reifen mit einer ganz speziellen Spezifikation zu entwickeln.

Leider will mir niemand erzählen welche das ist. Aber indem man das ablehnt, gibt man praktisch schon zu, daß hier irgendetwas "faul ist". Und auch das Verhalten der DaimlerChrysler-Presseabteilung spricht nicht dafür, dass das Fahrwerk der neuen S-Klasse "ausgereift" ist. - Vielleicht ist es inzwischen "reifer geworden".

Wenn der Grund für die gerade im Hochgeschwindigkeitsbereich (über 200 km/h) auftretende Instabilität von den Reifen ausgeht, gibt es für mich dafür folgende Erklärung:

Die Serienbereifung der neuen S-Klasse ist 225/60 - 16. Das Fahrzeug hat hinten einen relativ großen Überhang (in Relation zu vorne) und darf insgesamt bis zu einem Gesamtgewicht von 2,4 Tonnen belastet werden. Nun wird sicherlich der Computer die auftretenden Federbewegungen in Sekundenbruchteilen berechnen und ausgleichen können. Aber bei hohen Geschwindigkeiten (und der hohen Belastung) pendelt auch der Reifen ein wenig, läuft nicht so symmetrisch ab, wie er eigentlich montiert ist. Davon ausgehend fließen nun offensichtlich Störkräfte ein, die der Rechner so schnell nicht ausgleichen kann. Denn nach meinen Recherchen sind sie umso deutlicher spürbar, je besser der Fahrer ist. Weil der nämlich versucht die Pendelneigung durch leichte Lenkbewegungen auszugleichen. Und wenn bisher der Rechner zu langsam war - oder einige Komponenten nur ungenau erfaßte - dann schaukelte sich das ganze System besonders stark auf.

Schlechte Autofahrer lassen die S-Klasse schaukeln. Und tatsächlich wird es dann irgendwann besser. -. Wenn man Glück hat. - Wenn bisher davon nichts zu hören war, dann sicherlich auch deshalb, weil die neue S-Klasse - obwohl sie es kann - nicht unbedingt immer im Hochgeschwindigkeitsbereich gefahren wird.

Wenn die Reifenindustrie nun den Reifen ändern soll, so wird das nur unter Hinnahme von Einbußen im Komfortbereich gehen. Das Pendeln wird sich nur vermeiden lassen, wenn man die laterale Bewegung des Reifens durch eine steife Flanke unterdrückt. Darunter leidet dann aber der Komfort. Womit sich dann ein Teil der Vorzüge aufhebt, die die Luftfederung eigentlich bieten soll.

Es gibt allerdings schon seit Jahren für dieses Problem - das ein klassischer Zielkonflikt ist - eine Lösung. Die Hochhornfelge. Bei Mercedes müßte man eigentlich davon wissen. Warum nutzt man diese Technik nicht?

DaimlerChrysler nennt die Luftfederung bei der neuen S-Klasse, "AIRmatic - Ein Luftpolster an allen Rädern". Das ist auch richtig. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß das System auch optimal funktioniert. Und "ausgereift", wie es von den Pressemitarbeitern der Stuttgarter auch bezeichnet wird, ist es noch lange nicht.

Wer sich auf dem Gebiet der Federung für das Beste interessiert, der muß nach meiner Kenntnis auf den neuen 7er BMW warten. Der wird nicht von Luft, sondern durch ein Hydrauliksystem gefedert. Und das soll dann nun wirklich die absolute Spitze auf dem Gebiet der Fahrwerkfederung darstellen.

Aber zunächst müssen wir uns um die Luftfederung von DaimlerChrysler kümmern. Und auf deren Erklärungen warten.

MK/Wilhelm Hahne