Wenn ein paar hunderttausend VW Passat, bis Baujahr 1998, zurückgerufen werden...

...dann macht das schon neugierig. Dann möchte Motor-KRITIK auch noch eine kleine Probe machen, schaltet jemanden ein, der erst seit kurzem "einen 1999er Passat" (wie er beteuert) fährt und - schon kommt es zu einer ganz anderen Geschichte, in der auch die EU-Kommission ermittelt. Und zu der es auch ein OLG-Urteil gibt. - Was sich nachstehend wie erfunden liest, ist Realität. Über die der Besitzer des neuen (?) Passat nicht lachen kann. Ohne Motor-KRITIK wäre er auch gar nicht darauf gekommen, dass... - Aber lesen Sie doch selbst:

Der Kunde ist immer der Dumme

99-09-30/01. Da gab es vor Wochen von VW die Ankündigung einer großen Rückrufaktion für den VW Passat. Sie paßte VW nicht gerade in den Kram, war auch wohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Schließlich mußten erst noch die Werkstätten mit Teilen versorgt sein, und, und, und.

Aber eine Tageszeitung in Emden, wo der Passat u.a. gefertigt wird, war - informiert von Werksangehörigen - ein wenig vorgeprescht, hatte das Medieninteresse ausgelöst. Und nun versucht VW die Dinge "auf kleiner Flamme" zu kochen. Da war der Fehler längst erkannt, betraf nur 1998-Modelle und die auftretenden Schäden waren - natürlich - nicht sicherheitsrelevant.

Da ich durch Zufall hörte, daß es in der Nähe jemanden gab, der vor kurzem einen neuen Passat gekauft hatte, rief ich ihn an, um ihn zu bitten, doch einmal bei VW nachzuhören, ob sein 99er Passat auch unter die betroffenen Fahrzeuge fallen würde. Schließlich hatte VW eine Telefon-Hotline eingerichtet.

Gesagt, getan. Man war sehr freundlich, ließ sich die Ident-Nr. (früher sprach man - glaube ich - von Fahrgestell-Nummer) und der Passat-Besitzer mußte erfahren, dass auch er zum Kreis der Betroffenen gehörte. Mit einem 99er Passat. Das Fahrzeug hatte durch ihn seine Erstzulassung am 6. Juni 1999 erlebt. Und der VW-Verkäufer hatte ihm auf Befragen bei Vertragsabschluß versichert, dass es sich selbstverständlich um ein 99er-Modell handeln würde.

Der Kunde hatte deshalb ein wenig misstrauisch nachgefragt, weil er zu 1) den VW-Vertragshändler nicht genau kannte und zu 2) ihm nach langem Verhandeln ein wirklich hoher Nachlaß auf den Neuwagen eingeräumt worden war. Eigentlich hatte er gar nicht damit gerechnet, dass so viel herauszuholen wäre. Aber unser Passatkäufer hatte keinen Gebrauchtwagen einzutauschen (den hatte er selbst verkauft) und da machte der VW-Händler wohl Super-Sonder-Konditionen. - Dachte sich unser Passat-Käufer.

Bis zu dem Zeitpunkt, da Motor-KRITIK in sein Autofahrerleben trat. Denn nun wollte Motor-KRITIK genau wissen, ob es sich um einen 98er oder einen 99er Passat handeln würde. Ein Blick in den Fahrzeugbrief würde genügen. Aber zunächst genügte schon ein Blick auf die Reifen. Die waren im Mai 1998 gefertigt. Wenn es bei VW von der Zuliefererseite auch just-in-time ging... - Richtig - das zeigte dann auch ein Blick in den "Brief": der Passat war Anfang Juli 1998 vom Band gelaufen. Der Fahrzeugbrief war exakt am 6. Juli 1998 ausgestellt worden.

Die Erstzulassung des Fahrzeuges erfolgte am 17. Juni 1999, also kurz vor dem Zeitpunkt, wo das Fahrzeug eine (für den Händler) kritische Zeitgrenze überschritten hätte. Nach einem Urteil des OLG Koblenz (Az.: 2 U 882/98) darf ein Händler ein Automobil nicht als "fabrikneu" verkaufen, wenn dieses länger als ein Jahr auf Lager gestanden hat. Wird es trotzdem als "fabrikneu" verkauft, so hat der Käufer das Recht, den Kaufvertrag rückgängig zu machen.

Und so verstand unser Passat-Käufer auch, warum ihm beim Kauf ein Nachlaß von 16 Prozent (in Worten: sechzehn Prozent) gewährt wurden. Für den Händler war das immer noch eine gute Sache. Ein paar Wochen später hätte er das Fahrzeug nur noch mit höherem Nachlaß, sozusagen als "neuen Gebrauchtwagen" (s. OLG) verkaufen können.

Dieser Verkauf ist dann auch der Beweis dafür, dass VW-Händler nicht nur 1998 VW Passat mit Nachlaß verkauft haben. "Es gab erheblichen Druck auf die Händler", sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel, "keine Rabatte zu geben". Und er sprach davon, dass trotzdem Händler zwischen 1996 und 1998 Rabatte zwischen sieben und zwölf Prozent gegeben hätten. VW soll dann mit juristischen Schritten gedroht haben.

Und VW soll nun bestraft werden, wenn es nach den EU-Wettbewerbshütern geht. Dabei ist doch der Passat-Verkauf in der Eifel ein Beweis dafür, daß auch noch 1999 VW Passat mit Nachlass verkauft wurden. Immerhin mit 16 Prozent. Und VW hatte bestimmt nichts dagegen, wenn man so die Bestände von alten Lagerfahrzeugen abbaute. - Die man den Händlern zunächst aufgedrängt hatte.

Der betroffene Passat-Kunde kommt sich nicht gerade gut bedient vor. Er wird jetzt seine Lenkung - entsprechend dem Rückruf - richten lassen und bestimmt nicht mehr - zumindest bei dem VW-Händler kaufen, von dem sein jetziger Passat stammt. Denn er hatte immerhin den Verkäufer ausdrücklich gefragt. Aber nichts schriftlich. - Und so ist er schon ein wenig sauer.

Diese Geschichte wirft ein helles Licht auf die derzeitige Situation im deutschen Kraftfahrzeughandel. Und wie es dort zugeht. Und oft endet die Geschichte so, wie auch diese: Der Kunde ist immer der Dumme. Trotz EU-Wettbewerbshüter, trotz OLG-Entscheid, trotz Rückrufaktion.

MK/Wilhelm Hahne