2000-04-20, in Virneburg/Eifel

Guten Tag!

Ist es eigentlich ein Zufall, dass sich gerade alle Borghs, Gauls, Nistls dieser Welt entblättern? - Ist es ein Zufall, dass nun, wo sich das Automobilgeschäft normalisiert, nun alle die Schwächen zeigen, die gerade auch die Großen der automobilen Zunft besonders deutlich werden lassen? - Dem einen fehlen Kleinwagen, dem anderen Diesel, dem nächsten Manager, die auch mit Krisen (wenigstens mit kleinen) fertig werden.

Biedere Handwerker haben sich bisher als Künstler verkaufen können und ihre Galanteriewaren als Kunstwerke. Zu "künstlichen" Preisen. Aber nun fallen nicht nur gerade die Aktienkurse der "neuen Märkte", auch die Hüllen, hinter denen so manche Manager großer Konzerne mit tradionellem Outfit ihre scheinbar visionären Pläne verbargen. Fusionen sollen über (Aktien-) Optionen zu persönlichem Reichtum und Unabhängigkeit führen. Große Angestellte gebärden sich als Unternehmer. Dabei haben sie eigentlich nicht mehr unternommen, als etwas zu wagen, was niemand wagen würde, der die Auswirkungen überblicken kann. Und das Risiko? - Aber was haben diese Leute zu verlieren? - Es ist nicht ihr Geld. - Nur das der Aktionäre.

Und die stimmen nun in Hauptversammlungen über ihr eigenes Schicksal ab. Und in den Pausen gibt es Würstchen und Brot. _ Oder Brot für die Würstchen? - Erst später werden sie den Senf spüren, dann, wenn sie glauben, das Essen längst geschmeckt zu haben. Das (Aktien-) Essen wird einen scharfen Nachgeschmack haben.

Aber warum hat man sich auch auf dieses Terrain begeben? - "Schuster bleib' bei deinen Leisten", war ein Rat der alten Leute. Aber wer hört noch auf alte Leute?

Selbst in Japan geht die dort eigentlich anerzogene Achtung vor der Weisheit des Alters, die eigentlich nur eine Anerkennung der größeren Erfahrung ist, die Jüngere nicht haben können, deutlich zurück. Die Jugend dominiert. Aber nicht mit dem, mit dem die Alten groß geworden sind: Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Es geht darum, auf leichte Art Geld zu verdienen. Fast "nebenbei". Und so lange das passiert, verliert man auch die Achtung vor dem Geld. Und eigentlich auch die Achtung vor sich selbst. Denn indem man sich nach dem Geld reckt, das Geld zum alleinigen Maßstab macht, gibt man auch Grundsätze auf, Ideale, Träume. Man verliert seine Haltung, die Bodenhaftung, den Bezug zur eigentlichen Realität.

Und die Relaität ist der Mensch als "Konstruktion". Fast perfekt, doch nur über eine gewisse "Laufzeit". Da hilft auch aller Ideenreichtum dieser Welt nicht. - Was haben denn ABS, ESP, ASR oder andere technischen "Innovationen" für eine Bedeutung? - Eigentlich keine. Ich habe mir in den letzten Wochen -zig Unfallwagen angesehen und nicht begriffen, nach welchem Zufallsprinzip denn z.B. eigentlich Airbags funktionieren. - Auf dem Papier ist alles toll. Aber in der Praxis?

Aber wen interessiert die Praxis, so lange er selbst nicht davon betroffen ist?

Nein, nicht alles ist kalkulierbar. Gut, dass es so ist. Und man begreift es (vielleicht ein wenig mehr), wenn man so eine Ausstellung wie "Körperwelten" in Köln besucht. Ich habe sie genauso besucht wie z.B. die Musikmesse in Frankfurt oder andere Dinge getan, die man nicht dem Bereich "Motor-Journalistik" zurechnet. Aber ich habe begriffen, dass das (auch) nur ein Teil des Lebens sein kann - ist. Man muss z.B. auch den Faktor "Motor" einordnen, seinen Stellenwert bestimmen, kann ihn nicht isoliert sehen.

Wie auch den Automobilbau. Er soll den Menschen dienen. Aber im Moment bedient er sich nur selber.

Auf der Musikmesse in Frankfurt habe ich gerade einmal wieder erlebt, dass man den Menschen zu einem Teil als "Masse" betrachten muss. Für diese "Masse"  werden die Großserien-Automobile gemacht, die mit einem Image versehen, den Menschen vorgaukeln, damit zu einem Individium zu werden, zu einer Persönlichkeit. So um 60 Prozent der Besucher am ersten Messetag war in Schwarz gekleidet. - Uni. - Von Kopf bis Fuß. - Aber, so sagte mir ein "Schwarzgekleideter" fast im Vertrauen: "Die Mode schwenkt gerade. Wir werden bald Khaki tragen."

Und welches Automobil fährt man dazu passend?

Ich habe mich über einen großen Zeitraum meines Lebens mit Automobilen und Motorrädern beschäftigt. Und weil ich es nicht nur ausschließlich tat, sondern diese automobile Welt nur als "Zugabe" betrachtete, habe ich immer versucht, Zusammenhänge herzustellen. Und zu erfühlen, woher der Wind weht, der plötzlich alle Ähren eines Kornfelds dazu bringt, sich in eine bestimmte Richtung zu neigen.

Warum kauft man überwiegend heute schwarze, dann wieder blaue, dann wieder silbermetallic-farbene Automobile? - Warum liebt man heute gerade eckige, morgen runde Formen? - Und was wird morgen sein?

Es gibt Branchen, die schon weiter sind als die Automobil-Branche. Meine ich. Zum Beispiel die, die ich gerade in Frankfurt besuchte. Computer werden zu Musikinstrumenten. Aber wunderschön auch als Musikinstrument "getarnt". Und mit einer Bedieneroberfläche, die einen den Computer vergessen läßt.

Das ist die eine Richtung. Die andere ist die, das man wieder zur analogen Tonerzeugung zurück findet. Und es gibt Röhrenfilter, mit denen man den "kalten" Computertönen eine "weiche Stimmung" gibt. Die Automobilbranche setzt dagegen noch voll auf "Computer", hat noch nicht begriffen, dass man das eine machen muss, ohne das andere zu lassen.

Und gehen Sie doch bitte einmal in ein "Musikgeschäft", wo man Instrumente verkauft. Dort war es vor einiger Zeit schon so, dass man nicht mehr das Instrument mit all seinen Möglichkeiten, sondern diese technischen Innovationen gestapelt in Kartons über den Preis verkaufte. Eigentlich damit zu einer Ware abwertete. Und sich damit das "Geschäft" selbst erschwerte.

Gehen Sie doch bitte heute einmal in ein Automobilgeschäft. Wer redet da noch begeistert von den Fähigkeiten des Automobils? - Sie werden schon mit nachlassendem Interesse betrachtet, wenn dem Verkäufer klar wird, dass es sich bei Ihnen um einen Barzahler handelt. - Wunderbar sind doch Leasing-Käufer, oder die, die sich inzwischen nicht nur das Automobil, sondern auch noch die Urlaubsreise finanzieren lassen. Man kann doch noch im nächsten Jahr bezahlen, was man heute erlebt. Denn Erleben ist wichtig. Eigentlich müßte man gleichzeitig überall sein. Man könnte ja etwas verpassen.

Leben ist wie Nikotin-Missbrauch geworden. Genauso unsinnig. Wer weiß noch, dass Genuss nichts mit Quantität zu tun hat? Wer weiß noch, dass eine Zigarette eigentlich einmal ein Genussmittel war? Und das ein Automobil auch eins sein kann. Über das man sich bei jedem Fahren freut. Wer ahnt noch, dass nicht der "günstige" Preis eines Automobils entscheidend ist, sondern die Art des Automobils - und ob es zu einem passt. - Ist es besser das "richtige" Automobil zu kaufen - oder das "günstige"?

Aber sind wir eigentlich noch frei in unseren Entscheidungen? - Wir machen uns manches zu einfach. Weil wir keine Schwierigkeiten wollen. - Als ich einem Kollegen eine Top-Meldung anbiete fragt der mich: "Ist das schon über die Agenturen gelaufen?" - Mein NEIN macht ihm Schwierigkeiten. Er müßte meine Geschichte intern verkaufen. Warum sich selbst Schwierigkeiten schaffen?

So ist unsere Welt. Und wir tragen Schwarz, weil viele Schwarz tragen. Und wir wählen die Partei, die gerade der Stimmung der Mehrheit entspricht. Denn wir verstehen eigentlich nichts von Politik. Aber wir wählen. Und wir verstehen nichts von Wirtschaft. Aber wir kaufen Aktien. Wir leben eben so, dass man glaubt mit zu denen zu gehören, die gerade "in" sind. Und vergessen eigentlich dabei, unser Leben zu leben. Weil wir eigentlich nur eins haben. Und jeder Tag ein vertaner Tag ist, den wir für unser Image leben. Um - vielleicht - dafür unsere eigentliche Persönlichkeit aufzugeben.

Aber ich wollte hier kein Mitleid für die Borghs, die Gauls, die Nistls dieser Welt auslösen. Und vielleicht haben Sie - lieber Leser - auch begriffen, dass ich keine Bewunderung für die Hubberts, die Schrempps, die Wiedekings dieser Welt aufbringen kann. - Ich weiss zu viel - und Vieles - von ihnen.  - Einige von ihnen sind nur Darsteller von Persönlichkeiten. Dahinter ist es oft sehr hohl und von einer erschreckenden Primitivität.

Aber es kommt immer mehr darauf an, wie sich die Herren verkaufen, verkauft werden. Von den Borghs, den Gauls, den Nistls dieser Welt. Und da die nun selbst entblättert werden, blättert auch inzwischen die Farbe ihrer Gallionsfiguren. Vorbilder verlieren ihre Funktion genauso, wie auch - manchmal - Airbags nicht funktionieren. - Dann kann ein Crash tödlich sein. Auch beruflich.

Für die Milbergs, die Hubberts, die Paefgens dieser Welt. Die eigentlich eine künstliche ist.

Wir alle sollten uns in die Realität zurückbeamen, weil wir eigentlich nur im Heute wirklich leben können.

Guten Tag - und - Fröhliche Ostern!!

Wilhelm Hahne



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