Volkswagen - Weltrekorde - Zwölfzylinder...

...sind Begriffe die ab sofort genau so zusammen gehören, wie Wolfsburg - Nardo - Tokyo. In seiner langsam ausklingenden Amtszeit rammt Ferdinand Piech, der VW-Oberste, noch einmal Meilensteine an den Rand seiner Erfolgsstraße; und das so, dass seinem Nachfolger keine andere Möglichkeit bleibt, als den "Stab", den Piech am Ende seiner Rennstrecke trägt, im gleichen Tempo bis ins Ziel zu tragen. Wenn er nicht wie ein Verlierer wirken will. Das kann in dem hier geschilderten Fall nur zu der Meldung führen:

VW baut einen Zwölfzylinder-Mittelmotorsportwagen in Serie

01-10-18/01. Am Mittwoch, dem 24. Oktober 2001, lässt Ferdinand Piech in Tokyo die Hüllen fallen. Von einem Sportwagen des Volkswagenwerks, wie er schon  auf verschiedenen Ausstellungen als Studie zu sehen war. Von so manchem Fachmann kopfschüttelnd wahrgenommen und wieder vergessen. Auch wenn die jetzt in Tokyo ausgestellte Version ähnlich wirkt, so ist diese hier in Japan gezeigte Version - von Giugiaro gezeichnet - selbst wenn man es so vorsichtig formuliert, wie es die VW-Presseabteilung in diesem Falle tun wird, mehr als "eine seriennahe Studie". Es ist die Serienversion eines VW Zwölfzylinder-Mittelmotorsportwagens. VW selbst wird wahrscheinlich von einer "Weiterentwicklung" der bisher bekannten Studie sprechen, aber eigentlich ist alles am neuen VW W12-Sportwagen komplett neu. Und das Wichtigste: Alles an ihm funktioniert. Und wie! - Ferdinand Piech hat es "seinen" W 12 auf der italienischen Teststrecke in Nardo beweisen lassen.

Dort fuhr der neue Zwölfzylinder-Supersportwagen der Wolfsburger am Wochenende des 13./14. Oktober insgesamt drei Weltrekorde und sechs Klassenrekorde ein. (Natürlich vorbehaltlich der Bestätigung die die FIA.) Die bisherigen Rekordmarken wurden zum Teil von einer als Rekordfahrzeug konzipierten Konstruktion gehalten, dem Mercedes C 111/III, der - auch in Nardo - im Jahre 1978 mit einem nur 3.0 Liter großen, nur 230 PS leistenden Turbo-Dieselmotor die bisherigen Bestmarken setzte. - Auch so wird deutlich: VW greift Mercedes an. Nicht nur mit der Luxus-Limousine, die heute noch als D1 bekannt ist.

Verglichen mit dem Mercedes-Rekordfahrzeug ist der neue VW-Sportwagen praktisch als Serienfahrzeug zu betrachten, mit einem Motor ausgestattet, der selbst in der hier gefahrenen Weltrekordversion praktisch zu 98 Prozent der Serienversion entsprach.

Um diesen Motor, den neuen W12, darum geht es Ferdinand Piech, dem VW-Vorstandsvorsitzenden, auch eigentlich primär bei seinem geraden durchgeführten Weltrekord-Projekt. Er überrascht damit nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch einen Teil seiner Vorstandskollegen, seinen Aufsichtsrat, seinen Betriebsrat. Dieser W12-Motor wird in Zukunft nicht nur diesen jetzt in Tokyo vorgestellten Sportwagen befeuern, sondern neben der VW-Luxuslimousine D1 auch noch einen künftigen Bentley, der zur Zeit schon seine Erprobungsrunden in der Eifel (auch auf der Nürburgring-Nordschleife!) dreht.

Ferdinand Piech will mit seiner Weltrekordfahrt in Nardo verdeutlichen, dass der neue W12-Motor nicht nur (aufgrund seiner Bauweise) klein, sondern auch ein "Klein"od ist, ein technisches Wunderwerk, tatsächlich so "geschliffen", dass es durchaus in der Lage ist, wie ein wertvoller Edelstein Automobile von bester Herkunft - wie z.B. Bentley - zu schmücken. Ein solcher Motor wird dann aber auch ein nach oben drängendes Premium-Modell wie dem neuen VW D1 gut zu
Gesicht stehen, seine Wertigkeit unterstreichen.

Vorstandskollegen des Ferdinand Piech fragen sich im Stillen ein wenig ungläubig: "Was sollen wir, was soll VW mit einem Zwölfzylinder?" - Und bestimmt weiß auch der VW-Betriebsrat was für VW gut ist. Aber auch ein Zwölfzylinder? - Eigentlich haben all diese hochbezahlten Bedenkenträger keine Ahnung vom Automobilgeschäft. Es sind "Fachleute" auf ganz bestimmten Gebieten, zum Teil wichtigen Teilgebieten des Automobilgeschäfts, aber sie verstehen nicht die Auswirkungen von Details auf das Gesamtgeschäft. Ferdinand Piech hat dagegen das Gespür für Zusammenhänge. Und wenn ihm im Puzzle ein paar Teilstücke fehlen, dann stellt er sie eben einfach her.

So braucht z.B. der VW D1 den Zwölfzylindermotor. Aber dieser (neue) Motor braucht eine Geschichte, ein Image, etwas, das seinen Wert - und damit den des Automobils - verdeutlicht, dass ihn trägt. Und darum lässt Ferdinand Piech dann in Nardo mit diesem Zwölfzylindermotor Weltrekorde "herstellen".

Natürlich geht das nicht ohne jede Vorbereitung. Und so waren dem Chronisten schon in der Vergangenheit Versuchsfahrten auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Nardo aufgefallen, zumal die mit Top-Speed nur an Wochenenden durchgeführt werden können, wenn die Strecke sonst nicht befahren wird. Das jetzt als Rekordstrecke benutzte Oval ist von seiner Anlage her so "leicht schräg", dass es querbeschleunigungsfrei bis zu einem Tempo von 245 km/h umrundet werden kann. Eine höhere Geschwindigkeit, besonders, wenn es über die 300 km/h-Grenz geht, belasten dann die Reifen sehr. Um so mehr dann, wenn das Versuchsfahrzeug - weil der Serie sehr ähnlich - nicht ganz leicht ist..

Und so traten dann bei den ersten Versuchsfahrten schon Reifenprobleme auf. Man fuhr dann auch Versuche mit einem anderen Reifenfabrikat, mit dem man der Konkurrenz verdeutlichen konnte: solche Reifen, wie hier für die Weltrekordversuche benötigt, sich machbar. Und Pirelli setzte sich hin, überarbeite seinen bisherigen Reifen und lieferte schließlich jenes Produkt, mit dem das Volkswagenwerk nun jene Weltrekordversuche fuhr: Pirelli "P Zerro Rosso". (Audi verwendet ihn auch beim RS4, wird ihn auch beim noch nicht vorgestellten RS6 - mit 450 PS - einsetzen.)

Der Chronist war bis zu diesem Zeitpunkt immer davon ausgegangen, dass all diese Versuch dem neuen Bugatti galten, der ja ebenfalls in seiner kommenden Serienversion in neue Geschwindigkeitsbereiche vorstoßen soll. Dass dann in Nardo schließlich ein VW Sportwagen mit Zwölfzylindermotor zu einem Weltrekordversuch antrat, hat ihn auch überrascht, aber immerhin ist er in der Lage, die Gedankengänge eines Herrn Piech nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch zu verstehen.

In der Woche zwischen 8. und 14. Oktober fiel nun die VW-Meute in Nardo ein. Das geht natürlich nicht unauffällig. Aber es ist kein Zufall, dass jemand, der seine italienischen Weine auch aus der Region um Nardo bezieht, dann davon erfährt. Zumal er gerade eine neue Sendung bestellt hat.

Aber es kamen nicht nur Techniker, Monteure, Fahrer und Betreuer nach Nardo, sondern auch eine Mannschaft aus dem VW-Werkschutz. Es müssen nach meiner Schätzung so um 30 Mann gewesen sein. Wenn so eine Truppe auffällig unauffällig in Nardo seine Arbeit aufnimmt, dann ist für einen Journalisten höchste Wachsamkeit angesagt. Im Zeitalter der modernen Kommunikation ist das aber alles keine Zauberei, zumal, wenn einem seit Jahrzehnten die Gesetzmäßigkeiten der Branche vertraut sind.

Am Samstagvormittag, dem 13. Oktober, hoben auf dem Flugplatz in Braunschweig zwei VW-Firmenflieger ab. Eine kleinere und eine größere Düse. Eine davon flog eine Kurve über Stuttgart, um dort drei bedeutende Journalisten aufzunehmen, die das VW-Management zur Verbreitung der (evtl.) freudigen Erfolgsmeldung, als Zeitzeugen sozusagen, ausgeguckt hatte. Man musste die Journalistenzahl klein halten, damit im Falle eines Misserfolgs auch zuverlässig sichergestellt werden konnte, dass nichts nach draußen drang. Weniger ist eben so ein Mehr an Sicherheit.

Gegen Mittag landeten dann die Maschinen in Brindisi, ganz im Süden Italiens, nahe der Versuchs- und Teststrecke Nardo. Ich konnte so am 16. Oktober einen Brief an die VW-Öffentlichkeitsarbeit, unter Leitung des Wortkünstlers Dr. Kocks, mit folgendem Satz einleiten: "Wenn zwei Düsen-Crews, durch Aufnäher deutlich als zu VW gehörend auszumachen, an einem Samstag in Brindisi einfallen, um dann (z.B. am Leihwagenschalter) zu fragen, wo denn hier am Wochenende etwas los sei, dann hat es intern mit der Geheimhaltung hervorragend geklappt. - Gratulation!"

Ja - und dann habe ich nach dem Ergebnis gefragt. Ich glaubte es zwar zu kennen, aber man gibt als Journalist den "Betroffenen" natürlich selbstverständlich Gelegenheit, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Ich war so blauäugig Herrn Dr. Kocks in meinem Brief zuzutrauen: "Wahrscheinlich erhalte ich so die komplette Presseverlautbarung vorab, womit dann die Beantwortung meiner Fragen umfassend - wie man das von Ihrer Abteilung gewohnt ist - erfolgt wäre."
Leider habe ich eine entsprechende Pressemappe bis heute nicht erhalten. (Übrigens auch nicht die Pressemitteilung, die heute in knappen Worten die Welt- und anderen Rekorde vermeldet.) Dabei müssten nun alle Unterlagen - auch Fotos und Filmmaterial - inzwischen in Wolfsburg verarbeitet vorliegen. Ein Mitarbeiter der VW-Öffentlichkeitsarbeit war nämlich von Nardo nach Turin geflogen, um mit dem Material, das der optischen Verdeutlichung der Rekordfahrten in Tokyo dienen soll, am Dienstagabend wieder nach Wolfsburg zurückzukehren.

Ich hatte sowieso schon für Aufregung in Wolfsburg gesorgt, als ich als erster "Außenstehender" direkt nach Beendigung der Testfahrten VW-Chef Ferdinand Piech zu den Weltrekorden gratulierte. (Das Fax ging am 14. Oktober, um 17.45 nach Wolfsburg ab.) Denn VW hatte nicht etwa von etwas nach 15 Uhr am Samstag bis nach Ablauf der 24 Stunden, also nach 15 Uhr am Sonntag seine Rekordfahrt durchgeführt, sondern die lief - was mich dann wieder zum Nachdenken zwang - bis nach 17 Uhr am Sonntag. - Aber wenn man die (bis dahin) aktuelle Rekordliste vor sich liegen hat, war das auch kein Problem: VW versuchte auch noch den Weltrekord über 5.000 Meilen einzufahren. - Es ist gelungen. - Und das ist nach meinen Feststellungen das Ergebnis der VW-Weltrekordfahrten in Nardo. Es wurden nicht nur drei Weltrekorde, sondern auch noch sechs Klassenrekorde eingefahren. Man möge mir nachsehen, wenn ich die erreichten Geschwindigkeiten nicht mit den drei Stellen hinter dem Komma angebe, wie das später die FIA machen wird. Ich möchte da schon noch die FIA-Bestätigung - die auch zum Zeitpunkt der Vorstellung in Tokyo nach ausstehen wird - abwarten:

VW fuhr mit dem W12 folgende Weltrekorde ein:

VW stellte mit dem W12 folgende neuen Klassenrekorde auf:

Als mein Rechercheergebnis, das die Frage nach dem erreichten Top-Speed beantwortet, kann ich 328 km/h vermelden. Nach meiner persönlichen Auffassung wäre hier eigentlich mehr möglich gewesen. Man hat sich aber wohl in dieser Hinsicht ein wenig zurückgehalten, um die Reifen nicht zu arg zu strapazieren und so evtl. den Gesamterfolg in Frage zu stellen.

Wie bereits gesagt: Es ging Ferdinand Piech bei diesen Rekordfahrten in erster Linie darum, die Möglichkeiten seiner eigenwilligen, technisch sehr interessanten Zwölfzylinder-Konstruktion aufzuzeigen, die jetzt zunächst im D1 zum Serieneinsatz kommen wird. So wird eine Zwölfzylinder-Luxuslimousine zum Preis von unter 100.000 DM (unter 50.000 €) möglich. - Nun mit einem Weltrekordmotor.

Ich sprach vor einigen Wochen mit dem Chefeinkäufer eines großen Konzerns im Ruhrgebiet über die Chancen eines D1 als Firmenfahrzeug. Und er machte eine einfache Rechnung auf: "Wenn wir 10 VW D1 anstatt 10 Mercedes der S-Klasse kaufen, dann haben wir nicht nur zehn Zwölfzylinder statt zehn Achtzylinder, sondern auch von den Anschaffungskosten her um 1 Million Mark gespart."

Ich habe dann noch ergänzt: "Und die Verluste beim Wiederverkauf halbiert." - Man sollte nämlich nicht vergessen, dass man niemals in Prozenten - wie von Automobilfirmen gerne dargestellt ("Der Wertverlust unserer Fahrzeuge ist prozentual bedeutend geringer...bla, bla, bla..."), sondern in Mark (oder €) verliert. Und dieser Verlust hat als Ausgangsbasis immer den Grundpreis. An einem 100.000 DM-Fahrzeug werde ich immer weniger verlieren, als an einem, das ich zu 180.000 DM eingekauft habe.

Der Chefeinkäufer vor Wochen: "Sie haben recht. Da spare ich evtl. ja noch mal eine halbe Million."

Aber hier sollte eigentlich nicht von Spar-Rekorden, sondern (anderen) Weltrekorden geschrieben werden. - Lassen Sie mich meine Schilderung der Rekordfahrten mit der Feststellung beenden, dass sich am Montagmorgen nach der Rekordfahrt Nardo so darstellte, als wäre niemals jemand dort gewesen. Dabei waren  um 200 Menschen bei den Rekordfahrten tätig. Am Montagmorgen erinnerte nur noch ein Pirelli-Reifenwagen und ein anderes Versorgungsfahrzeug daran, dass hier etwas passiert war.

Es war etwas, was von seiner Bedeutung her vielen Menschen erst in Jahren klar werden wird. - Aber so ist nun einmal Ferdinand Piech: immer seiner Zeit voraus; manchmal so weit, dass selbst intelligente Menschen ihm nicht zu folgen vermögen. - Aber manches ist eben nicht eine Frage der Intelligenz, sondern der Sensibilität.

MK/Wilhelm Hahne

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