Gedankenbericht. - Exakt 14 Jahre alt. - Und eigentlich immer noch aktuell. - Denke ich.

Es müssen nicht immer Fahrberichte sein. Warum nicht einmal ein Bericht über jene Gedanken, die mir beim Fahren - beim Genießen - eines alten Automobils kamen. Vor 14 Jahren, im Jahre 1988. Warum nicht mal einen "Gedanken-Bericht? - Sie finden ihn nachstehend. Natürlich ist es auch ein Erlebnisbericht. Aber es sind darin (waren!), wie oft in Motor-KRITIK, natürlich auch ein paar exklusive Informationen verborgen. Davon gibt es in einem Falle gerade so viel, wie ich es glaube verantworten zu können. - Ich bitte - auch nach 14 Jahren! - um Verständnis.

Mit dem Auto von gestern - auf den Spuren der Automobile von morgen

02-09-10/03. - Es ist einer jener wunderschönen Spätsommertage in der Eifel, die man nicht gegen einen Hochsommertag in der Toscana eintauschen möchte. Eigentlich ein Tag zum Motorradfahren. Auf den kurvenreichen, schmalen, zum Teil wirklich noch verkehrsarmen Eifelstraßen macht das an einem solchen Tag richtig Spaß. Aber auch mit dem Automobil, mit dem ich jetzt - so um 3.000 Umdrehungen im 5. Gang - durch die Gegend bummle. Der Fahrtwind kann zwar meine wenigen Haare nicht durcheinander bringen, aber er lässt - trotz normaler Brille - meine Augen tränen.

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Kleine Scheiben - kleine Pflichten

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Dabei tut die kleine Scheibe vor mir tatsächlich ihre Pflicht, wie man aus den bunten Flecken, die von zerschlagenen Insektenkörpern stammen, unschwer schließen kann. - Aber es ist halt nur eine kleine Scheibe.

Nein - es ist kein Cabrio, dessen Offenheit ich nun genieße. Man könnte es eher einen Roadster nennen. Obwohl es für diesen Wagen noch nicht einmal ein Verdeck gibt. Er ist so offen wie ein Automobil nur sein kann. Er ist so rot, wie es ein Ferrari nur sein kann. Er ist ein automobiles Meisterwerk, wie es nur aus Italien kommen kann. Und dieses Automobil ist im besten Mannesalter.

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Zum Glück kein bisschen weise

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35 Jahre ist es nun alt und hat nichts hinzu gelernt. Menschen wären beleidigt, wenn man derartiges von ihnen sagen würde.. Dieses Automobil kann stolz darauf sein, dass es durch die Strömungen der Zeit nicht verfälscht wurde, einfach die Technik pur des Jahres 1953 verkörpert.

Das Fahren mit ihm bereitet mir Spaß, vermittelt Fahrfreude, einen Genuss, den das Fahren so mancher der modernen High-Tech-Super-Turbo-GTI-Fortbewegungsmittel gar nicht aufkommen lassen könnte.

Das große Nardi-Holzlenkrad zittert leicht in meinen Händen. Die Ursache sind wohl ein paar kleine Unwuchten an der Vorderachse. Natürlich gibt es keine Servolenkung. - Zum Glück! - Ich spüre noch die Straße. Ich spüre sie, empfinde die gefahrene Geschwindigkeit körperlich, atme den Duft der Landschaft, die ich durchfahre; die Technik des Wagens teilt sich mir nicht nur über den Drehzahlmesser mit.

Wenn ich vom vierten Gang in den fünften schalte, gibt es vielleicht einen Drehzahlsprung von 328 Umdrehungen. - Es können auch 397 sein. - Wenn ich da an so einige "Economy-Abstufungen" moderner Getriebe denke...-

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Beginn des Denk-Berichts

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Ich muss überhaupt an vieles denken. Viele Dinge werden mir beim Fahren mit diesem Automobil viel klarer, deutlicher. Und ich bedaure, dass die Entwicklungschefs deutscher Automobilhersteller immer nur die neuesten Modelle ihrer direkten Konkurrenz fahren. Manchmal wäre es besser, sie würden alte Automobile bewegen.

Die neuesten Automobile sind nicht unbedingt der Maßstab für das, was der Autokäufer eigentlich will, sondern zeigen nur die Absicht der Hersteller auf, was sie unter Einsatz welcher technischen Argumente verkaufen wollen. Der sogenannte "technische Fortschritt" ist doch heute - leider - manchmal in der Praxis nur ein technischer Gag, der aus Marketinggründen durch die Werbeabteilungen der einzelnen Hersteller zum technischen Fortschritt hochstilisiert wird.

In den nächsten Wochen werde ich den neuen BMW Roadster Z1 fahren dürfen. Ich bin gespannt, welchen Eindruck er mir gegenüber diesem 35 Jahre alten Automobil vermitteln wird, das ich gerade fahre.

Der BMW Z1 wird überall als eine besondere Leistung gefeiert. - Warum eigentlich? Weil er sich durch seine technische Konzeption vom automobilen Einerlei abhebt?

Ich habe den Z1 vor vielen Monaten bei seiner Erprobung am Nürburgring beobachtet und kann mich erinnern, dass ich ihn - weil ich nicht darauf eingestellt war ihn hier schon zu sehen - im allerersten Augenblick für einen Lotus Elan gehalten habe. Was war an dem anders als beim Z1?

Natürlich unterscheiden sich die Fahrzeuge in vielen Details, aber nicht von der Grundkonzeption: gerade nur so viel Automobil wie man braucht, um die Aggregate und zwei Personen unterzubringen.

Der BMW Z1 ist so betrachtet sicherlich keine neue Erfindung. Entscheidend ist bei dieser Art von Automobil auch nicht, wie neu oder alt Konzeption oder Technik sind, sondern ob sie in ihrer Zusammensetzung harmonieren, insgesamt den Charakter eindeutig erscheinen lassen. Das Fahrzeug muss in seiner Gesamtheit in der Lage sein, Emotionen zu wecken, beim Fahren Freude, ein gewisses Glücksgefühl empfinden zu lassen.

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Wer versteht heute noch Autos?

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Wenn solche Automobile - wie z.B. der neue BMW Z1 - heute als besonderes Ereignis gelten müssen, dann liegt das leider nur daran, dass es in der Automobilindustrie zu wenig Leute gibt, die das Automobil wirklich begriffen haben, von ihm erfüllt sind, die "mit dem Bauch" in Sachen Automobil die richtigen Entscheidungen zu treffen vermögen.

Es gibt bei uns leider immer mehr "Leiter", die zwar von ihrem Fachgebiet eine Menge verstehen, aber nicht in Bezug auf das Automobil. Sonst gäbe es mehr solcher Automobile wie den Z1. - Auch in anderen Preislagen.

Während ich jetzt beim Ferrari - nur so zum Spaß - ein paar Mal zwischen viertem und fünftem Gang wechsle, um zufrieden den klitzekleinen Drehzahlsprung zu registrieren, fällt mir ein, dass ich schon 1982 - vor BMW - die Idee zu einem, allerdings relativ preiswerten, Roadster hatte.

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Am Anfang war der "Wasserboxer"

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Im September 1982, bei der Vorstellung des neuen "Wasserboxer" für den VW Transporter konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Motor allein für den Einbau in diesen Wagen entwickelt worden war. Herr Konrad wird sich sicherlich noch erinnern, dass ich ihn "ganz unter uns" fragte, was man denn bei VW sonst noch mit dem Motor machen wolle. Und Herr Konrad versicherte mir: "Der Wasserboxer ist wirklich ausschließlich zum Einbau in den Transporter bestimmt."

Das hat mich in den Wochen danach nicht ruhen lassen und ich habe die Idee zu einem VW-Roadster mit eben diesem Wasserboxer-Motor in Mittelmotoranordnung entwickelt. Natürlich habe ich auch Marketinggesichtspunkte berücksichtigt und selbst so Kleinigkeiten wie einen zu diesem Roadster passenden Namen nicht vergessen.

Und dann habe ich dem Herrn Konrad einen Brief geschrieben. Und seine Sekretärin hat geantwortet, dass Herr Konrad sich auf einer Reise befinden und sich sofort nach Rückkehr mit mir in Verbindung setzen würde. - Herr Konrad muss sich derzeit noch auf dieser Reise befinden.

Vor mir, unter der Kühlerhaube des Ferrari, arbeitet ein Zwölfzylindermotor, wie er in einem modernen Automobil der Neuzeit nicht mehr denkbar ist. Jedem der zwölf Zylinder stehen nur 166 Kubikzentimeter Hubraum zur  Verfügung. (Daher übrigens auch die Typenbezeichnung "Ferrari 166 MM") Die Leistung dieses kleinen Uhrwerks: 118 kW (160 PS) bei 7.200 Umdrehungen/min.

Dieser Ferrari-Motor ist nicht leise, man spürt und hört - man muss es nicht ahnen - dass hier grundsolide Mechanik zu der Leistung führt. Trotzdem ist dieser Motor ein Erlebnis. Obwohl man ihn  hört, obwohl er nicht seidenweich läuft. Dieser Motor bestimmt den Charakter des ganzen Fahrzeugs mit. Und der Motor passt zum Fahrzeug. Nichts dürfte hier anders sein.

Aber nun sagen Sie doch bitte mal dem Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Automobilwerks, dass ein Zweiliter-Zwölfzylinder... - Er wird Sie unterbrechen und erklären, dass nach den Untersuchungen seiner volkswirtschaftlichen Abteilung und mehreren Meinungsumfragen... -

Während ich jetzt an diesem schönen September-Nachmittag in der Eifel einen 1953er Ferrari genieße, wird mir ganz klar, dass die Entwicklung des modernen Automobilmotors - zwar nur einer gewissen Klasse von Automobilen - eindeutig in Zukunft in Richtung hubraumkleiner Mehr-als-Vierzylinder gehen wird.

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Ein kleiner V6 gefällig?

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Ich könnte mir z.B. einen Mercedes 190 sehr wohl mit einem 2.0 Liter V6 vorstellen. Und in Richtung Untertürkheim gesagt: Man kann doch nicht die bei einer V6r-Motorenreihe anfallenden höheren Bearbeitungskosten (Zylinderabstände) gegenüber Reihenmotoren zur Basis für eine Ablehnung einer solchen Reihe machen. - Kosten sind sicherlich ein Faktor der berücksichtigt werden muss, aber hat man schon einmal etwas davon gehört, dass es so etwas wie Faszination geben kann, die von einem Motor ausgeht, sich auf das ganze Automobil, eine ganze Modellreihe überträgt? Wäre nicht ein Mercedes 190 mit einem kleinen V6-Motor ein überzeugender Mercedes als der jetzige mit seinem Reihenvierzylinder?

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Es gibt schon schöne Ansätze

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Da fällt mir ein, dass ich in diesen Tagen einen sehr modernen kleinen (2.0 l-) Sechszylinder-V-Motor unter der Motorhaube einer schon bekannten Karosse gehört habe. Ein geschmeidig, weich laufender V6. - Als ich nach schwierigen Recherchen schließlich etwas mehr von ihm wusste, habe ich zunächst gedacht, dass man ihn vielleicht im Hinblick auf einen möglichen Einsatz in Italien ausgerichtet hat. - Aber wegen der paar Stück?

Ich nenne hier einmal keine Firma, weil dieser Motor eigentlich zu dem Geheimsten gehört, was dort gemacht wird. Am Versuchsfahrzeug ist die Motorhaube z.B. mit einem Zählwerk ausgerüstet das exakt zählt, wie oft die Haube geöffnet wurde. Und die Versuchsfahrer müssen jede Haubenöffnung - abseits des Firmengeländes - mit einem "wesentlichen Ereignis" schriftlich begründen.

Zurück zum Ferrari: Der wiegt weniger als eine Tonne, exakt 950 Kilogramm, hat dafür auch keine elektrischen Fensteröffner, keine Zentralverriegelung, keine Armstützen, keinen Aschenbecher und was die "wesentlich Zutaten" bei einem modernen Automobil mehr sind.

Obwohl nicht im Windkanal gestylt und nur mit natürlichem Empfinden geformt, rennt dieser Ferrari 166 MM auch heute noch 220 km/h. Natürlich spielen da die kleine Stirnfläche und die relativ schmalen Reifen eine Rolle. - Und zum Schnellfahren spielt auch der Fahrer noch eine Rolle.

Seit langer Zeit fahre ich übrigens jetzt zum ersten Male nicht angeschnallt in einem Automobil. Es gibt also gegenüber einem 1953er Automobil bei den heutigen Automobilen schon einen Fortschritt.

Aber mit so einem Automobil wie dem Ferrari 166 MM kann ich gut auf den meisten "Fortschritt" moderner Automobile verzichten. Wenn ich diesen Ferrari gefahren bin weiß ich, warum es für eine Firma wie Ferrari trotz weltweit großer Produktions-Überkapazitäten auch in Zukunft niemals Überlebensschwierigkeiten geben wird. - Wenn nicht zukünftig Manager, gute Manager, die aber vielleicht wenig vom Automobil verstehen, dem Ferrari den Reiz nehmen, der bisherige Käufer geradezu süchtig machte.

Sind Sie nach einem "Corrado" süchtig? - Oder vielleicht nach einem neuen Audi V8?

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Vom deutschen Empfinden

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Ich lasse meinen 166 MM langsam ausrollen, bin auch an einer Tankstelle gleich von Auto-Fans mit glänzenden Augen umringt. Keiner empfindet diesen Wagen als alt. Das beweisen die Fragen.

Doch dann kommt ein deutscher "Kenner" von der Dieseltanksäule, wo er gerade seinen Mercedes aufgetankt hat und fragt: "Und was ist, wenn Ihnen mit diesem Automobil etwas passiert. Das ist doch überhaupt nicht zu bezahlen." - Und nach einer kleinen - nachdenklichen - Pause: "Der gehört doch besser ins Museum." - Kopfschüttelnd registriert er, dass dieser Wagen richtig mit schwarzem Kennzeichen zugelassen ist und richtig - zwar nicht jeden Tag, aber doch häufig - im normalen Straßenverkehr läuft.

Was sollte man sich auch heute kaufen, wenn man eine ähnliche Faszination beim Fahren eines Automobil erleben will?

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Über Alter und Abstellgleis

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Gehören Automobile solcher Extraklasse wie der Ferrari 166 MM deshalb ins Museum, weil sie gemessen an den Jahren alt sind? - Gehören im Beruf erfolgreiche Menschen deshalb ins Altersheim, weil sie eine willkürlich festgesetzte Altersgrenze erreicht haben?

Und ich denke an Japan, wo man die Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, die Lebensweisheit der Alten viel konsequenter nutzt; wo die "alten Männer" aber auch eher bereit sind, die Dynamik und Unbekümmertheit der Jugend in Kombination mit ihrer Erfahrung zu nutzen.

Bei "nutzen" denke ich an Nutzfahrzeuge - und daran, dass es eigentlich davon schon zu viele gibt. Und dass man eine neue Gruppe der Spaß-Fahrzeuge schaffen müsste. - Aber muss die eine Eigenschaft eigentlich die andere ausschließen?

Ganz in Gedanken bin ich an die linke Fahrertür des Ferrari getreten, um nach dem Tanken wieder einzusteigen. Doch der ist rechtgelenkt. - Ich stehe auf der falschen Seite. - Wirklich?  

MK/Wilhelm Hahne

Ich muss mit einem Nachsatz noch einmal daran erinnern, dass es sich hier um eine Originalgeschichte aus dem Jahre 1988 handelt. Sie wurde am 17. September 1988 in Motor-KRITIK (die gab es damals schon als ein auf Papier gedruckten Informationsdienst) veröffentlicht. Ich habe sie nicht "passend gemacht", sondern sie so abgeschrieben, wie sie damals veröffentlicht wurde. (Ein paar Tippfehler sind sicher anders.) - Zum Z1: der wurde nach meiner Einschätzung vom BMW-Marketing über den Preis kaputt gemacht. Man war in dieser Abteilung der Auffassung, "dass das der Markt schon hergeben würde." - Irrtum! - Der Kunde hat auch ein Gefühl für Werte. Und nach einem ersten Z1-Boom war das Fahrzeug dann tot. - Und wem der Name Konrad nichts sagt: der war mal der oberste Öffentlichkeitsarbeiter bei VW, ein guter Typ, Journalist ("hobby") mit (sogar!) Motorsporterfahrung (Super-V). - Und zum Mercedes 190 von "damals": erst beim Lesen einer solchen  Geschichte fällt auf (und ein), dass es aus Stuttgart "damals" in dieser Fahrzeugklasse tatsächlich nur Vierzylinder-Aggregate im Angebot gab.


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