Virneburg, den 2. Januar 2004

Kin kao jang?*

Ob man wollte oder nicht: auch die Tage zwischen den Feiertagen des letzten Jahres waren mehr oder weniger eine Ruhepause. Viele Manager haben die Festfolge genutzt, um einen Urlaub einzuschieben. In den Firmen geht es meist erst wieder nach dem 6. Januar so richtig rund. Ausnahme - zumindest für einen Teil der Firma - BMW: dort wird ein Teil der Fertigung "generalüberholt". Und um 5.000 BMW-Werker können ihre Überstunden abfeiern. Eine elegante Möglichkeit, ein eventuelles Minus im Auftragseingang zu kaschieren.

Am Montag vor Heiligabend waren auch die letzten Testfahrten für den neuen Audi A6 RS in Nardo abgeschlossen. An diesem Tag ging der Testwagen zurück ins Werk. In den Tagen davor hatten die Audi-Ingenieure stolz eine Höchstgeschwindigkeit von 298 km/h für ihr Produkt messen können. Man hat dann nicht noch mal an der Elektronik gefummelt, um die 300er Grenze zu überschreiten. Man war auch so mit dem Ergebnis zufrieden. - Kann man bei Audi auch sein!

Und die Nardo-Mitarbeiter waren auch zufrieden. Und gleichzeitig überrascht. Noch niemals zuvor waren so viel Weihnachtsgeschenke von deutschen Automobilherstellern und -Zulieferern eingegangen wie in diesem Jahr. Meist kamen sie per DHL. Es war pro Firma nicht nur ein Karton, sondern oft mehrere, viele Verpackungseinheiten. Gefüllt mit Dingen, die auch in Italien gut und teuer sind. - Natürlich haben sich die Italiener gefreut. - Mich macht diese Geschenkwelle nachdenklich.

Im "Industrie-Pool" ist man nicht gerade mit dem Terminangebot der Nürburgring GmbH zufrieden. Auch nicht mit der Behandlung sonst. Wenn z.B. die DTM anreist, werden die Fahrer und Ingenieure, die viele Wochen im Jahr hier die Hotels auslasten, in die nähere Umgebung ausquartiert. - Weil die Herren der DTM wichtiger sind?

Nein, es gibt nicht wirklich Ärger. Es ist jeweils nur kleiner Ärger. Aber der summiert sich. - Inzwischen!

Das ist so wie mit dem "kleinen Ärger", den Käufer moderner Automobile mit der "innovativen Elektronik" erfahren dürfen. Die werden nicht nur mit notwendiger, sondern auch mit überflüssiger Elektronik belastet. Es fragt sie auch niemand. Den Entscheidungsträgern der Industrie geht es  nur um "qualitatives Wachstum", um Gewinnmaximierung, bessere Selbstdarstellung. Alle präsentieren ihre Fahrzeuge als Premiumprodukte. - Natürlich zu Premiumpreisen. - Dumme Frage: Wo bleibt die Premium-Qualität?

Ob der Kunde das alles so will? - Er wird nicht gefragt. Und wenn der dann Kaufzurückhaltung zeigt, dann gibt sich die Branche überrascht. Sie haben doch nur das Beste gewollt. - Ich habe die Zulassungszahlen von Januar bis November 2003 mal auf meine Art aufbereitet, die "Spreu vom Weizen getrennt". Dann sieht das Bild für einige Firmen, die sich selbst zu den Besten zählen, gar nicht so toll aus. Dabei kann man doch lesen, dass die schon wieder die Kosten senken (zu Lasten der Zulieferer), dass sie noch weiter Personalabbau betreiben. - Als wenn das die Lösung wäre. Auch die kommende "Produktoffensive"... -

"Der Fisch stinkt vom Kopf her", sagt man oft in einer solchen Situation. Auch hier stimmt das. - Oft stehen die falschen Leute bestimmten Firmen vor, die falschen Ingenieure geben in der Entwicklung den Ton an, die wirkliche Bedeutung der "Konstrukteure" wird unterschätzt. (Lesen Sie dazu den Beitrag eines "Wissenden" - auch jetzt auf diesen Seiten.) Schauen Sie sich doch einmal an, wie in 2003 die echten, "gewachsenen" Premium-Marken Jaguar und Volvo abgerutscht sind. Auch hier mangelt es an wirklicher Führung. Man muss sich nur das "Entschuldigungsgeplapper" leitender Mitarbeiter dieser Firmen anhören. (Ich habe dazu in meiner "Lagebeschreibung" noch ein paar Takte geschrieben.)

Wenn man einen Blick auf die sich abzeichnende Entwicklung in der Automobilindustrie insgesamt wirft... - Da müsste es auch den Gewerkschaftsbossen schlecht werden. Oder will man in Zukunft für jeden Computer und Roboter, der Menschen, Arbeiter ersetzt, auch eine Beitragszahlung fordern? (Eine Besteuerung war ja schon im Gespräch.)

In Sindelfingen gibt es z.B. eine Halle, die - nach meiner Kenntnis - in den letzten Wochen des Jahres zum ersten Male komplett lief. Eigentlich waren die Roboter in dieser Halle nur so um drei Stunden wirklich aktiv. Und jetzt überprüft man penibel, ob die in diesen Stunden alle Fertigungsarbeiten, alle Anbauten und Hinzufügungen richtig vorgenommen haben. Das ist wichtig für die Automobilproduktion der Zukunft. Denn die Arbeiten in  dieser Halle in Sindelfingen erfolgten ohne jede menschliche Hilfe. Einmal richtig programmiert, kommen diese Roboter und Computer ohne jede weitere menschliche Hilfe aus - und das bei Arbeiten, die bisher noch menschliches Zugreifen erforderte. - Wenn alles klappt... - der Automobilhersteller könnte in Zukunft auf eine Menge Mitarbeiter verzichten. - Nicht nur der, sondern alle

Ich habe in der letzten Ausgabe von "auto motor und sport" des Jahres 2003 einen wunderschönen Satz gelesen, der eigentlich unsere gesamte Situation verdeutlicht. Es ist praktisch der erste Satz im Lauftext der ersten redaktionellen Seite. Auf Seite drei beginnt Chefredakteur Bernd Ostmann seine Anmerkungen "Zur Sache" mit der Beschreibung: "Im Endspurt wird noch einmal voll durchgestartet."

Können Sie Herrn Ostmann geistig folgen? - Im Endspurt wird voll durchgestartet. - ??? - Als wenn das funktionieren könnte. - Ein Flugzeug kann vor einer Bauchlandung (weil sich z.B. das Fahrwerk nicht ausfahren ließ) noch einmal voll durchstarten. Aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn bei einer Boing 747 z.B., dauert die Umsetzung des Befehls durch den Flugkapitän an die Triebwerke zwischen 7 und 10 Sekunden. Er hat zwar die Hebel auf "Full Power" geschoben, aber die Umsetzung dauert. - Und wenn man nach dem Durchstarten das Fahrwerk nicht heraus bekommt, kann man sich zwar seinen Landeplatz gezielt aussuchen, ihn auch vom Bodenpersonal vorbereiten lassen, aber - Bauchlandung bleibt Bauchlandung.

Der Deutschland-Vertriebschef eines Stuttgarter Konzerns erwartet aber schon  in 2004 Zuwachsraten bei den Inlandzulassungen um 5 Prozent. Er ist kein Flieger. Er ist auch kein Wahrsager. Hoffentlich beherrscht er das Metier Vertrieb.

Wenn Sie mal einen Blick auf die derzeitigen leitenden Manager der Automobilindustrie und ihr Denken und Handeln werfen... - da sollte man schon etwas ändern. Schauen Sie mal - nur so zum Vergleich - rüber zu den Musikern. Ein Bassist hat nur Erfolg, wenn er als Bassist gut ist. Ein Pianist, ein Klarinettist, ein Gittarist - ja, ja - da ist es genau so. Und alle bescheiden sich in ihrer, auf ihre "Funktion", die sie beherrschen. - Ein Dirigent sollte schon Musik studiert haben, ein Jurastudium wird ihm wenig nutzen. Ein Orchesterleiter leitet ein  Orchester, weil er dazu die Fähigkeiten besitzt. Als "Dünnbrettbohrer" kommt man nicht an die Spitze eines Orchesters. Aber bei der Automobilindustrie kommt man evtl. mit so einer Grundeinstellung ganz schön "nach oben".

Übrigens auch im Umgang mit der Industrie. Beifall wird immer gerne registriert. - Tut mir leid, dass ich (auch) heute keinen spenden konnte und kann. Aber vielleicht hat ja irgend jemand an der Spitze der Firmen schon vor einiger Zeit die Hebel auf "voll Schub" gestellt und ich habe das nur übersehen. Ich zähle in diesen Tagen gerne mit: ...sieben, acht, neun... - Diese Zahlen beherrsche ich auch noch.

Lassen Sie mich hier einen Leserbrief einschieben, der mich vor Weihnachten erreichte. Er kommt von einem Fachmann, einem Ingenieur, bei einem der großen Automobilhersteller unseres Landes. Ich habe nur da kleine Korrekturen vorgenommen, wenn man sonst "auf die Herkunft" des Briefes schließen konnte. Der Pabst hat seine Weihnachtsbotschaft verlesen, unser Bundespräsident hat verdeutlicht, dass die Lage gar nicht so schlecht ist, dass nur die Stimmung... - Hier schreibt jemand, der weiß wovon er spricht; jemand "von der Basis", aus der Sicht der "Basis" - und er schildert die Realität, ungeschminkt:

Hallo Herr Hahne,

vor einiger Zeit bin ich bei meinen Streifzügen durch die automobile Welt des Web auf Ihre Seite gestoßen. Zuerst nur neugierig, dann fasziniert von Ihrer Art zu schreiben, warte ich immer voller Ungeduld auf neue Beiträge und Infos - erstaunlich, was Sie immer wieder berichten können.

Vor allem Ihre Erlebnisse und Kommentare rund um die deutsche Automobilindustrie und die manchmal hanebüchenen Verhaltensweisen bestimmter Öffentlichkeitsverantwortlicher und Pressefuzzis lösen bei mir Emotionen aus, die von laut Auflachen bis zur manchmal gewünschter Anwendung körperlicher Gewalt reichen.

Es tut gut, zwischen dem ganzen Geschreibsel diverser Autozeitungen, den Hochglanzprospekten der Hersteller und allgegenwärtiger Selbstbeweihräucherung von Industrie und Politik eine Stimme zu hören, die Klartext spricht. Das ist heute nicht selbstverständlich und man muss sich diese Unabhängigkeit auch leisten können...

Da ich selber seit ... Jahren in der Entwicklung eines bekannten Herstellers arbeite, kann ich viele Ihrer Kommentare zum Design, Konzept und mangelnder Serienreife nur unterschreiben. Mittlerweile ist der Kosten- und Termindruck so stark geworden, dass einfach viele Innovationen - oder das, was man dafür hält - nicht serienreif auf die Kundschaft losgelassen werden. Immer mehr geht man dazu über, nur noch ein Lastenheft zu schreiben, es dem Lieferanten in die Hand zu drücken und ihm den Serieneinsatztermin und die benötigte Stückzahl mitzuteilen.

Preise und Beanstandungsquoten (ppm) werden vereinbart, um später von der rauen Wirklichkeit überholt zu werden. Dann stellt man plötzlich fest, dass die ausgelagerte Fertigung des Lieferanten nach ... doch nicht in der Lage ist, das geforderte Qualitätsniveau zu halten. Leider hat man wegen Singlesourcing jetzt keine Alternative und muss - will man die laufende Serie nicht stoppen - den angelieferten Mist verbauen. Natürlich arbeitet man mit Hochdruck an einer Lösung - die aber möglichst nichts kosten darf. - That's Life....

Ich denke aber, dass es allen Automobilproduzenten so geht, schließlich haben alle auch die gleichen Lieferanten.

Was mir nur Sorgen macht ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren immer mehr Kernkompetenz (...) bei den Herstellern verloren geht. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem ein Lieferant die Macht hat und wir nur noch montieren dürfen... eine zugegebener Maßen extreme Einschätzung aber nicht unmöglich. Man denke nur an Zulieferfirmen wie A..., B..., C..., D, E...,F... und, und, und. Solche Firmen wären in der Lage, einen Automobilhersteller mit wenig Aufwand komplett lahm zu legen und in den Ruin zu treiben, sollten sie es darauf anlegen. (...)

Solange aber der Rubel rollt - und das tut er ja wohl, wie die Geschäftsberichte der Nobelhersteller zeigen - wird sich nichts ändern. Was hat man denn verkehrt gemacht bei Renditen vor Steuer von fast 10 Prozent? Doch wohl nichts. Solange sich das Produkt fast von alleine verkauft, spielt die Fähigkeit des Managements nur eine untergeordnete Rolle. Visionen beschränken sich auf aufgeblasene 12- u. 16-Zylinder, die in den ersten drei Gängen drehmomentreduziert sind wegen zu schwachem Antriebsstrang und in den letzten beiden Gängen wegen Abregelung der Vmax.... - Wirklich sinnvoll.

Immer mehr Elektronik lässt die fahrerischen Fähigkeiten verkümmern, wobei ich mir bei manchen Zeitgenossen nicht mehr sicher bin, ob sie jemals welche hatten oder je erlernt hätten. Viele, viele Airbags, ABS, ESP, Sensoren, intelligente Tempomaten, in Bälde auch Kameraerkennung von Fahrbahnen und Verkehrszeichen, miteinander kommunizierende Autos usw. lassen viele glauben, der eingeschlagene Weg sei der Richtige, weil ja die Unfallzahlen und die Anzahl der Verkehrstoten permanent sinken. Ich glaube manchmal, das liegt viel eher daran, dass man heute überwiegend im Verkehr mitschwimmt und die Geschwindigkeitsunterschiede wegen der enormen Verkehrsdichte immer kleiner werden. Meistens bleibt es ja bei Blechschäden. Das lässt dann nur die Folgerung zu: Möglichst noch mehr Lastwagen auf die Strasse, um den Verkehr in dieser Richtung weiter zu beeinflussen.... irgendwann schafft man dann auf der BAB über 700 km eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h - was soll da noch passieren?

Aber man soll ja nicht alles so schwarzsehen - es gibt ja auch noch angenehme und schöne Sachen. Und vielleicht kommt ja alles ganz anders, als ich befürchte....

Ich wünsche Ihnen u. Ihrer Familie eine frohe Weihnacht und ein gutes neues Jahr, schreiben Sie weiterhin Ihre wundervoll-sarkastisch-ironisch-kritischen Beiträge und aktualisieren Sie Ihre Website recht häufig...

Viele Grüße

Deprimierend? - Wenn man die Situation hin nimmt. Aber es gibt nichts, was sich nicht hin zum Positiven verändern ließe. Aber da müssen wir "am Kopf" (s.o.) beginnen. Im nächsten Jahr (um diese Zeit) wissen wir mehr. Bis dahin könnte zumindest einer seine Chancen nicht nur erkannt, sondern auch genutzt haben: Herr Demel an der Spitze von Fiat. Ich denke: der konnte nicht nur Audi, der kann auch Auto. -

Sogar bei DaimlerChrysler hat man schon begriffen, dass man einen anderen Weg einschlagen muss als bisher. Man arbeitet an einem Automobil, das preislich (!!!) die Konkurrenz in der "Unteren Mittelklasse" (VW, Opel, Ford, Fiat, Peugeot usw.) angreifen soll. - Man hat spät zu diesem Ansatz gefunden. Ob es nicht zum "Durchstarten" (s.o.) fast zu spät ist? - Bauchlandung bleibt Bauchlandung.

Und Herr Pischetsrieder (VW) forciert den Start des 16-Zylinder-Bugatti? - Hoffentlich nicht nur.

Mit den besten Wünschen für ein gutes, erfolgreiches 2004

- bleiben Sie gesund -

Wilhelm Hahne

*das heißt: "Hast du schon gegessen?" und ist ein asiatischer Gruß, das Pendant zu "Guten Tag", wie bisher von mir verwendet. Und ich werde diesen Gruß auch weiter verwenden. Ich wollte mit der heutigen "Änderung" nur einmal daran erinnern, dass mein Gruß am Anfang einer solchen Geschichte immer bewusst ausgesprochen wird, etwas ist, was ich meinen Lesern wirklich wünsche. Die heutige asiatische Version kommt  aus Thailand. Dieser Gruß bedeutet nichts anderes, als dass man sich wünscht, den Tag, nachdem man in angenehmer Atmosphäre gegessen und getrunken hat, gut gestärkt überstehen zu können. - Andere Länder, andere Wünsche. Hauptsache, sie sind ehrlich gemeint. - Sie sagen jedenfalls mehr aus als das heute immer öfter verwendete kurze "Hallo". - Aber was man dabei an Zeit spart! - Eine weitere "Verkürzung" wird angestrebt: Roboter braucht man nicht zu grüßen!


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