Der neue 1er BMW: "Akzente in der Kompaktklasse" - lt. Pressemappe, erhalten am 16. Juni 2004

Immer wenn ich eine Pressemappe zu einem neuen Automodell erhalte, fahre ich zum nächsten Zeitungs-Kiosk. (Der ist übrigens neun Kilometer entfernt.) Wer hat denn in diesem aktuellen Fall des 1er BMW das Vergnügen - und den daraus resultierenden Verkaufsvorteil für sein Blatt - der Erstberichterstattung.  - Ich finde den ersten Fahrbericht in der "Auto Zeitung". Erscheinungstermin: 16. Juni 2004. - Das ist aber auch ein Zufall! - Und ich lese in der "Auto Zeitung". Und ich lese in der Pressemappe. Toll, toll, toll! - Und ich mache mir ein paar Gedanken. Und ich rufe auch mal in München an, weil ich etwas nicht verstehe. Und dann die ganzen Innovationen. Toll, toll, toll! - Voll geil, äh! - Da versteht man schon, dass ein solches Automobil nicht zu einem erklärbaren Preis verkauft werden kann. Das ist eben Premium. Und da muss der Preis auch Premium sein. Woran sollte der Kunde sonst merken, dass er ein Premium-Automobil fährt? - Diese Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie "krank" unsere Gesellschaft ist. Dass der 1er BMW als Beispiel dient ist Zufall.

"Eine Revolution für die Kompaktklasse"

04-07-07/01. - Dieser Titel oben ist die Wiedergabe eines BMW-Versprechens aus der Pressemappe. Für die "Auto Zeitung" ist dieser 1er BMW "Das pure Vergnügen" und schreibt weiter: "Was den Fahrspaß anbelangt, so verdient sich der BMW 1er auf Anhieb Bestnoten."

Aus der Beschreibung in der BMW-Pressemappe ist mir das nicht klar geworden. Da gibt es eine "Produktbeschreibung auf einen Blick". Da sind die "Akzente" stichwortartig aufgeführt, die das Fahrzeug so außergewöhnlich machen sollen. Unter "Bauform" habe ich mir da "längster Radstand im Segment" angestrichen. Aber: Was soll das dem Kunden bringen? - Eine höhere Zahl? - Oder geht es beim Automobilbau darum, wer den Längsten hat?

Bei "Antrieb" habe ich markiert: "Einziges Fahrzeug seiner Klasse mit längs eingebautem Frontmotor und Hinterradantrieb." - Das hebt den 1er tatsächlich aus der Masse des Angebots heraus.

Bei "Fahrwerk und aktive Sicherheit" habe ich viele Notizen gemacht, bei der BMW-Behauptung z.B., man biete mit dem 1er  "Komfort ... auf für Kompaktklasse ungewöhnlich hohem Niveau" ein Fragezeichen gesetzt. Denn ich weiß, dass  BMW beim 1er serienmäßig Reifen mit Notlaufeigenschaften, sogenannte "Runflat"-Reifen verbaut. Und die können nicht Komfort vermitteln, auch nicht den etwa vorhandenen verstärken. Eher das Gegenteil. - Aus meiner ganz persönlichen  Sicht sind diese Reifen einer vorüber gehenden Modeerscheinung zuzurechnen. - Auslöser: die Industrie, die gerne spart. Wobei, wie ein Blick in die "Auto Zeitung" zeigt, dass deren Testwagen nicht etwa mit der sicherlich noch etwas mehr Komfort vermittelnden, eigentlich serienmäßigen Rad/Reifen-Kombination 195/55 R 16 V ausgerüstet war, sondern mit der "rennmäßigeren" 205/50 R 17 Y. Und "Auto Zeitung" hat kein Wort von Komfort oder Nicht-Komfort geschrieben. - Auch nicht die Mehrkosten der genutzten Rad/Reifen-Kombination erwähnt.

BMW schwärmt in der Pressemappe von der "optimalen Traktion dank ausgewogener Gewichtsverteilung" und kommt zu der Feststellung: "Die Tendenz zum Untersteuern, wie sie bei Frontantriebskonzepten vorherrscht, besteht im BMW 1er auch in engen Kurven und bei höheren Geschwindigkeiten nicht...". - In dem ersten Fahrbericht der "Auto Zeitung" ist dagegen zu lesen: "Wird's dem 1er zu viel, schiebt er sanft über die Vorderräder." - Vielleicht weiß man bei BMW in München nicht, dass man ein solches Fahrverhalten Untersteuern nennt.

Ein solches "Schieben über die Vorderräder" habe ich übrigens auch im Versuchsbetrieb beobachten können. Wie mir ein Münchner Ingenieur erklärte, entspricht ein solches Fahrverhalten (das man übrigens auch beim neuen 5er, auch beim kommenden 3er findet) der neuen Sicherheits-Philosophie des BMW-Vorstandes. - Warum man Hecktrieblern ein Frontantriebsfahrverhalten anerzieht? - Weil das mit Sicherheit mehr Sicherheit verspricht. Warum man dann nicht gleich Fronttriebler baut? - Weil das nicht Premium ist. (Die Antworten auf die letzten Fragen sind übrigens nicht von einem BMW-Mitarbeiter, sondern von mir.)

BMW hat etwas gegen Fronttriebler. Außer, man baut sie (wie den MINI) selber. Dann sind sie auch Premium. Was schon über den Preis beweisbar ist. In der BMW-Pressemappe ist sogar am Beispiel Motorsport dargestellt, dass sicherlich hier der "eindrucksvollste Beleg für die prinzipielle Überlegenheit des Hinterradantriebs" zu finden ist. Und man setzt noch eins drauf: "In Einzelfällen gehen Hersteller von frontgetriebenen Fahrzeuge sogar dazu über, die Rennversionen ihrer Serienmodelle auf Hinterradantrieb umzurüsten."

Natürlich nennt man keine Namen. Wer würde Ihnen denn als Beispiel - z.B. aus der DTM einfallen?

Klar, die Verteilung von Antrieb und Lenkung auf unterschiedliche Achsen hat unbestreitbar Vorteile. Leider auch kostenmäßig Nachteile. So ist ein mit dem BMW 120i (fahrleistungsmäßig) vergleichbarer Audi A3 um 1.300 Euro billiger. - Schreibt die "Auto Zeitung". - Und der Audi ist schon Frontantriebs-Premium. - Oder anders ausgedrückt: eigentlich zu teuer.

Im BMW-Pressetext wird immer wieder die "breite Spur" des 1er BMW betont. Beim Auswerten der technischen Daten fällt mir dann auf, dass die Spurweiten der leistungsschwachen Modelle (116i, 118d) größer sind, als die der leistungsstarken Brüder (120i, 120d). Ein Druckfehler? Immerhin sind es 10 Millimeter vorne und hinten, um die die Spur bei den "Kraftpaketen" schmaler ist. Also habe ich in München angerufen und mir erklären lassen, dass das tatsächlich so ist, wie ich es auch gedruckt lesen kann. Das ergab sich lt. BMW einfach so, weil man für die leistungsstarken Modelle eine andere Bremsanlage mit anderen Radnaben verbauen musste. Und dabei schrumpfte die Spur. - Wahrscheinlich eine neue BMW-Spur-Elemente-Innovation, eine BSEI.

Davon gibt es beim 1er genug. Ich habe nachstehend einfach mal zusammengeschrieben, was dem Käufer eines neuen 1er BMW alles für den wohlfeilen Basis-Preis von 19.800 Euro für die Basisversion geboten wird. - Ach, sie empfinden den Preis als zu hoch? - Na ja, ich auch. Wenn ich mir vorstelle, dass ich vor einigen Jahren einen Peugeot 205 GTI mit 1,6 Liter-Motor und 104 PS gefahren bin, der in seinen Beschleunigungswerten mit denen des BMW 120i vergleichbar war... - Natürlich wog der auch nur 850 Kilogramm (der BMW 1.335 kg) und kostete (damals) 19.800 DM und damit exakt die Hälfte von dem, was der 1er BMW (als Basisversion!) heute kostet. - Aber der Peugeot war auch nicht Premium, kein Innovationsträger, sondern einfach nur ein Auto, diente nur der Fortbewegung, machte sogar beim Fahren Freude. (Womit wir wieder beim Thema wären):

Der 1er BMW wird mit LCM, DSC, DTC, ASC, ABS, DBC, CBC, EBV, RPS, IBS, CBS und wenn Sie Aufpreis zahlen auch mit PDC geliefert. Und das alles für einen Basispreis von 19.800 Euro im KOVP.

Zugegeben, das habe ich mir aus der BMW-Pressemappe zusammen geschrieben. (Diese Kürzel werden dort wirklich alle genannt.) Der 1er BMW bietet tatsächlich all diese Elektronik-Innovationen - oder so. Alles auf einen Blick verdeutlicht - macht das doch "einen schlanken Fuß", eben ESF.

Und wenn man sich dann noch erinnert, dass schon der Vor-Vor-Vor-Vorgänger vom jetzigen Technikvorstand vor Jahrzehnten den "Einsatz von hochfesten Stählen" als den letzten Schrei proklamierte (jetzt wieder!), dass Opel schon bei der Einführung des Opel Omega (lang, lang ist's her!) den "Einbau eines separat vormontierten Cockpit-Moduls per Roboter" als die Fertigungs-Innovation schlechthin darstellte (BMW jetzt aktuell), der begreift, was heute alles möglich ist. Denn die aktuellen Vorstände wissen nichts von den Taten ihrer Vorgänger, die aktuelle Journalistenriege weiß nicht was, wo im Archiv liegt. Und im Kopf können die das alles nicht haben. Woher? - Jung und dynamisch. - Wie die Zielgruppe, die BMW nun mit dem 1er erreichen will:

"Der BMW 1er wurde für Autofahrer konzipiert, die sich bewusst für ein handliches und funktionales Fahrzeug entscheiden, dabei jedoch auf sportliche Fahreigenschaften und Perfektion bis ins Detail nicht verzichten wollen. Für sie bedeutet der BMW 1er die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Denn er ist ein typischer BMW - und kommt obendrein mit allen Vorzügen, die in seinem Segment erwartet werden. Mit der Erweiterung des Modellangebots reagiert BMW auf die Bedürfnisse einer jungen, aktiven und anspruchsvollen Generation."

Vor vielen Jahren, als der 3er BMW nach dem 2002 erschienen war, da kaufte die (damals) "junge, aktive und anspruchsvolle Generation" gebrauchte 2002 und verunsicherte damit unsere Straßen. Und Eberhard von Kuenheim raufte sich (bildlich gesprochen) die Haare. "Ich bin froh", sagte er mir damals, "wenn diese Autos von der Straße sind. Sie verderben mit ihren Fahrern und deren Verhalten das Image von BMW." - Die junge Generation von damals fuhr auch gerne BMW, hatte aber nur das Geld für BMW-Gebrauchtwagen. - BMW möchte mit dem neuen 1er sicher nicht eine mit "damals" vergleichbare Käuferschicht erreichen. Darum ist wohl auch der Preis für den 1er entsprechend hoch - eben Premium.

BMW denkt mit der Platzierung des neuen 1er im Markt wohl an die Generation der "jungen, aktiven und anspruchsvollen" Erben. Auch so'ne Art Kompaktklasse. Wenn die die Zubehörpreisliste zum 1er BMW richtig nutzt, wird man leicht auf 25.000 Euro (und mehr) kommen. Da beginnt eben das gehobene Niveau. Mit LCM, DSC, DTC... - Aber das kennen Sie ja inzwischen.

Und ein freundlicher BMW-Verkäufer wird Ihnen die Kürzel sicherlich gerne übersetzen. Zunächst in ein Gobale Player-English, dann in ins Western-Germany. - Verzichten Sie aber bitte nicht darauf, sich die einzelnen Funktionen - auch in ihrer Vernetzung - erläutern zu lassen. -. Wenn der Verkäufer so viel Zeit hat.

Aber das wird er lieber machen, als Ihnen teure Prospekte auszuhändigen. Die muss nämlich der Händler bezahlen. Und gewünschte Probefahrten soll der Kunde in Zukunft auch bezahlen müssen. Weil das für den Händler zu teuer wird. Aber die Probefahrtosten - die Sie dann bezahlen müssen - sollen beim Kauf eines Autos angerechnet werden. - Da sind tatsächlich aktuelle Überlegungen beim Händlerverband.

Aber der Verkäufer will schließlich auch leben. - Vielleicht lässt der Sie ja schwarzfahren.

Da wird der Ihnen die Bedienung des "iDrive" (beim 1er gibt es eine abgespeckte Leichtlernversion für Langzeit-Studenten) wohl auch noch beibringen. Geht beim 1er richtig schnell.  - Bei der Auslieferung eines neuen 7er rechnet ein guter BMW-Verkäufer inzwischen für die Übergabe des Fahrzeugs und der notwendigen Zeit für die Erklärung der Elektronik-Innovationen mit einem Zeitrahmen von vier Stunden.

Vielleicht müssen wir uns als Käufer von modernen Automobilen in Zukunft überlegen, wie wir den Automobilherstellern die Zeit für das notwendige (!) Lesen der umfangreichen Betriebsanleitungen (z.T. mehrere hundert Seiten!) in Rechnung stellen. Die Vereinbarung der Stundensätze wäre doch eine Aufgabe für die Verbraucherverbände.

Und wer bezahlt die Zeit- und Wegekosten, die uns als betroffene Kunden beim "Abarbeiten" von werkseitig veranlassten Rückrufaktionen  entstehen?

Wir sind auf dem richtigen Weg! - Beim Automobilbau, beim Autokauf. - "Revolution" ist (bald) notwendig! -

Aber in der Kompaktklasse?

MK/Wilhelm Hahne


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