Auch ein IAA-Thema: Wer hat den Höchsten, Längsten, Teuersten, Seltensten

Manchmal hat man den Eindruck, dass Entwickler, Marketingleute, Vorstände, ihre neuen Modelle nicht für den Verkauf, sondern für die Entwickler, Marketingleute, Vorstände der Konkurrenz entwickeln. Meiner ist drei Zentimeter größer! - Das kennt man schon aus der Grundschulzeit: Wer hat den Größten? - Einmal primitiv, immer primitiv. Und wer so ist, schätzt auch die anderen so ein. Abgesehen vom Druck der Fachpresse: die möchte in einem Automobil - auch hinten - bequemer sitzen, als in der selbst benutzten Mietwohnung. - Schließlich hat man noch Träume. - Und so werden die Automobile immer größer. Weil die Öffentlichkeit das fordert. Sagt der Manager. Weil die Fachpresse das schreibt. Sagt der Konstrukteur. Weil die Menschen immer größer werden. Sagt der Marketingmann. Und schiebt statistisches Material nach. Und so ist es denn auch kein Wunder, wenn auf der diesjährigen IAA wieder Automobile stehen, die eigentlich - mit Vernunft betrachtet - um einiges zu groß sind. Aber die werden den Beifall der Öffentlichkeit bekommen. Denn wer gibt schon gerne zu, dass er große Automobile nicht liebt, weil sie im Großstadtdverkehr... - weil sie im Parkhaus... - weil sie bei der Parkplatzsuche... - Und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Auf der diesjährigen IAA können wir ein wunderschönes Beispiel für den "Größenwahn" unserer Zeit sehen. Und so handelt die folgende Geschichte:

Von den Leiden der jungen S-Klasse

05-09-12/04. - Nein, es hat nichts mit Sechs zu tun. Fünf muss genügen. Vielleicht ein Hauch mehr. - Aber ein wenig Sechs muss sein. Vielleicht Mercedes S 600? - Sehr schön! - Warum 600? - Weil der Motor 5.513 ccm hat. Aber immerhin mit Zwölfzylinder. Die Hälfte davon ist Sechs. Und alle Zwölf haben 517 PS. - Wieder nichts mit Sechs. - Und der Wagen ist für fünf Personen zugelassen. - Toll! - Und wie lang ist dieser Mercedes-Star? - Oh, nur 5.07 Meter.

Da habe ich ja einen guten Grund meinem Nachbarn zu erzählen, warum ich mir die neue S-Klasse nicht gekauft habe: Sie ist zu lang für meine Garage. Auf den Parkplatz des nächsten Golfclubs würde sie passen. Und dort könnte ich auch gut über sie erzählen. Immerhin entspricht der Entwicklungsprozess der neuen S-Klasse der international anerkannten ISO-Norm 14062. - Die kennen Sie nicht? - Kennen Sie nicht "Design for Environment"?

Sie merken, mit der neuen S-Klasse lässt sich gut brüsten. Reden wir doch mal über die Integration von Umweltaspekten, der Öko-Blianz. Wussten Sie, dass die neue S-Klasse im Vergleich zum Vorgängermodell einen geringeren Gesamtenergiebedarf von 85 Gigajoule hat? - Das ist doch echt geil! - Das ist geradezu megacool!

In Energie umrechnet, also ... warten Sie mal ... das sind ... also Wahnsinn! - das entspricht einem Energiegehalt von 2478 Litern Kraftstoff. - Na ja, es können auch ein paar Liter mehr oder weniger sein. Und wenn ich dann noch das Eutrophierungspotential bedenke, also die Wirkungskategorie, die das Potential zur Übersättigung eines biologischen Systems mit essenziellen Nährstoffen ausdrückt... - Sie wissen was ich damit sagen will? -  Ich eigentlich auch nicht.

Aber in Verbindung mit der neuen S-Klasse fällt mir noch das GWP 100 ein, das die Wirkungskategorie, den möglichen Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt beschreibt. 100 ist nicht so 'ne Art von Geschwindigkeitsbeschränkung, sondern nennt den Zeithorizont mit 100 Jahren. - Ich wusste doch, dass ich mich mit Ihnen über das photochemisches Oxidantienbildungspotential, also die Wirkungskategorie unterhalten kann, das die Bildung von Photooxidantien beschreibt. - Also ich habe einen Nachbarn -  also wirklich ganz unter uns -  der nennt das einfach Sommersmog.

Man kennt ja diese Leute, die um jeden Preis auffallen möchten. - Sommersmog! - Ach! - Und dabei würde ich mich so gerne mal mit ihm (keiner wohnt näher als er bei mir) über die Summenparameter der chemischen Analytik in Verbindung mit der neuen S-Klasse unterhalten.

Aber meine Frau fragt: "Wie lang ist die neue S-Klasse?" - Exakt 5.070 Millimeter", sage ich, die Winzigkeit dieses Fahrzeugs durch die entsprechende Maßeinheit betonend. - "Was?", ruft meine Frau, "über fünf Meter!" - Und: "Wo soll ich denn damit im Parkhaus in Mayen parken?"

Diese Frau macht mir alles kaputt. Dabei hatte ich schon im Vorfeld der IAA von einem Dauertestwagen geträumt, den ich - anders als "Auto-Bild" in diesem berühmten USA-Vergleich - mal nach NEFZ überprüfen könnte. Und da kommt mir meine Frau mit so einem simplen "über fünf Meter"-Einwurf.

Also so ein Mercedes S 600 hat Radar, ein Nachtsichtgerät; tolle Farbbildschirme lösen meinen Blick von der öden Fahrbahn. Ich lese dort Fahrwerkeinstellungen, die Art der aktuellen Klimatisierung ab, sehe auch, wo ich gerade bin (wenn das Navigationsgerät Recht hat), verlasse mich auf meinen Tempomaten, der  mich im Stau automatisch abbremst und wieder beschleunigt. - Endlich kann man mal im Stau in Ruhe die BILD lesen.

Und dann kommt meine Frau mit dem Einwand, dieses automobile Kunstwerk, geschaffen für... - Also mal ehrlich: Für wen wurde das eigentlich geschaffen?

Meine Frau nimmt mich mit ins Parkhaus nach Mayen. Wo es da überall Farbe gibt. - An Pfeilern, da wo man um die Ecken fährt. Und die Bordsteine... - "Was denkst du, woher die ganzen Kratzer kommen?", fragt meine Frau. Und sie macht mir klar, dass solche "Eindrücke" nur mit Automobilen entstanden sind, die von Männern gekauft wurden. Wegen der Länge. Und die Frauen nicht mögen. Wegen der Länge.

Darum... - Warum? - Länge? - Und ich beschließe zu recherchieren. Kann es sein, dass Mercedes mit der neuen S-Klasse einen Fehler gemacht hat?

Also, mich interessiert die optimale Länge eines Automobils wirklich, weil es tatsächlich eine Reihe von scheinbar nebensächlichen Dingen gibt, die den Verkauf eines Automobils behindern können, obwohl auch von der Kundenseite im direkten Verkaufsgespräch solche "Ablehnungsgründe" niemals erwähnt werden. Ich weiß das aus eigener (Verkaufs-) Erfahrung. Wer wird denn z.B. die Kaufablehnung für ein Automobil damit begründen, dass er über keine genügend große Garage verfügt?

Wird heute ein Architekt mit dem Bau eines Eigenheims beauftragt, so wird er – wenn nicht eine andere Anweisung erfolgt - eine Garage in der Größenordnung von 6 x 3 Metern vorsehen. Daraus ergibt sich eine innere (nutzbare) Länge von 5,50 Metern. Die Garagen in älteren Häusern, weisen oft kleinere Abmessungen auf. Nun fahren Sie da mal eine neue S-Klasse mit Anhängerkupplung rein. Und sie wollen noch die Türen öffnen, nicht nur selbst aussteigen können, sondern auch noch anderen Mitfahrern die Möglichkeit zum Aussteigen geben.

Das Argument vom Marketing für repräsentativ große Automobile ist oft: wer sich solche (gemeint sind große) Automobile kauft, verfügt auch über entsprechend große Garagen. Das ist richtig. Aber es beschränkt das Angebot auf nur solche Garagen-Besitzer, während es die anderen (eine Mehrheit) ausschließt. Die würden aber (von kleinen Ausnahmen abgesehen) nicht auf die Idee kommen, für ein neues Automobil eine Garagenvergrößerung vorzunehmen oder gar eine neue Garage zu bauen.

Nun wird ein Oberklasse-Automobil immer im normalen Verkehrsraum bewegt, dessen Verkehrsflächen beschränkt sind. Das betrifft nicht nur Straßen, sondern auch Stellflächen – z.B. in Parkhäusern. Entsprechend der Bauordnung wird die Stellflächengröße dort von der Breite der Fahrspur bestimmt. Normal ist da eine Fahrspurbreite von sechs Metern. (Weil auch hier ein „Mehr“ weniger Stellflächen, d.h. geringere Einnahmen bei gleichen Investitionskosten bedeuten; also eine geringere Verzinsung des Eigenkapitals.)

Aus der Fahrspurbreite von 6 m in einem Parkhaus resultiert eine markierte Stellfläche von 2,30 m Breite und 5,00 m Länge, wenn die Parkflächen im Winkel von 90 Grad zur Fahrspur angelegt sind. Vielleicht wird in Kenntnis dieser Realität auch die spürbare Abneigung von Frauen verständlich, sich mit wirklich großen Automobilen durch Großstädte zu bewegen, Parkhäuser zu nutzen. Diese Frauen werden ihren Männern (und den Autoverkäufern) nicht unbedingt erklären, warum sie gegen den Kauf eines bestimmten Automobils sind, aber sie werden ihn zu verhindern wissen.

Und sie werden immer mehr dem Kauf eines Viertürers zuneigen, als dem Kauf eines Zweitürers, weil dessen Türen oftmals deutlich größer sind und darum beim Öffnen auf Parkplätzen (und in Parkhäusern) Probleme bereiten. Aber darüber wird niemals gesprochen.

Meine Gespräche mit Fertiggaragen-Herstellern ergaben, dass zwar aktuell der Trend zu größeren Garagen geht, aber in der Vergangenheit eher Garagen der Standardgröße 5,60 lang, 3.00 m breit geordert wurden. Daraus ergibt sich dann eine innere Nutzgröße von 5,36 m x 2,76 m.

Die oft bei Garagen (auch Anbaugaragen bei Eigenheimen) zu findende (Außen-) Breite von drei Metern ergibt sich aus der (in diesem Falle deutschen) Bauordnung, nach der der Abstand des Hauses zum Nachbargrundstück drei Meter betragen muss. Dieser Abstand kann aber für den Anbau einer Garage genutzt werden, so dass dann auch nur eine zusätzliche Außenmauer erforderlich ist. Das ergibt dann auch eine innere Nutzbreite, die bei 2,70 m liegt.

Fahrzeuglänge und -Breite entscheiden aber auch darüber, ob die Fahrzeugbenutzer überhaupt die Vorteile eines Auto-Reisezuges zu nutzen bereit sind, abgesehen davon, dass z.B. die Fahrzeuglänge auch über die Manöverierfähigkeit eines Automobils – nicht nur im Verkehr – sondern auch beim Parken (und Befahren von Parkhäusern) – beeinflusst. Man schaue sich nur einmal in Parkhäusern die Mauern und Säulen in Auffahrkehren (u. a.) an. Meine Frau hat Recht: Alles voller Farbmarkierungen durch Karosserieteile.

Auch bei Mercedes sollte man sich von der Primitiv-Argumentation lösen, dass Größe mit Format zu tun hat, Länge mit Bedeutung und dass Gewicht ein Hinweis auf Qualität ist.

Und weil mich nun interessiert, was man sich eigentlich bei Mercedes gedacht hat, wenn man die neue S-Klasse auf eine Gesamtlänge von 5,07 Meter anwachsen ließ, da spreche ich auch mit Mercedes-Mitarbeitern. Aber ganz privat. Und ich höre zu meinem Erstaunen, dass jetzt gerade vor der IAA die Länge der neuen S-Klasse intern in Stuttgart erregt diskutiert wird. Und eigentlich meint man inzwischen auch - so wird mir das vermittelt - dass die neue S-Klasse zu groß ist. - Und nicht nur die. - Inzwischen macht sich Mercedes-intern die Auffassung breit, dass alle Modelle ein wenig schrumpfen könnten. Weil sie dann auch leichter würden. Und man könnte schmalere Reifen nutzen, weil das den Benzinverbrauch... - (Aber bitte, das bleibt unter uns. Das ist ganz geheim!)

Also hat meine Frau schon das richtige Gefühl. Und mich im richtigen Moment auf das richtige Thema gebracht. Zu der übrigens ein Automobil-Manager, der eigentlich immer weiß wovon er spricht, den Einwurf macht: "Man muss natürlich auch das Potential der jeweiligen Klassen sehen, sowohl in Volumen als auch in (möglichen) Erträgen. Und wo muss eine Marke hin, um in einer bestimmten Form akzeptiert zu werden."

Also doch 5,07 Meter, weil von einer deutschen Premium-Marke "fette" Automobile verlangt werden? Schließlich muss auch Norbert Haug in seinen Dienstwagen hinein passen. - Aber wenn man inzwischen schon bei DaimlerChrysler einsieht, dass Automobile in Zukunft nicht mehr ungebremst wachsen dürfen... -

Obwohl... - so 'ne S-Klasse... - Aber meine Frau meint, ich würde den deutlich geringeren Energiebedarf (gegenüber dem Vorgängermodell) im gesamten Lebenszyklus der neuen S-Klasse sowieso nicht erleben können. - Na, denn... -

Dann denke ich eben an einen Peugeot 107. - Wenn da nicht der Preis für die Radmuttern wäre!

  • MK/Wilhelm Hahne


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