10-03-10/06
- Es
macht nicht immer Sinn, mit dem Anfang zu beginnen. Manchmal dient es
dem Verständnis mehr, wenn man in der Gegenwart beginnt, um dann zu
einer Rückblende zu finden, im "Damals" zu argumentieren. Würde ich
aber die Geschichte so schreiben, wie ich sie erlebt habe, würde man
Rückschlüsse auf die "handelnden Personen" ziehen können. Darum werde
ich eine Story um die Fakten weben, die (natürlich nicht die Fakten)
meiner Phantasie entsprungen ist, die aber gleichzeitig verdeutlicht,
was man sich heute als Hersteller alles leisten kann. - Als Hersteller
würde man sagen: Was ich alles machen muss, um Verluste und unangenehme
Rechtsprozesse zu vermeiden. - Aber beginnen wir mit den Auswirkungen
auf den "Verbraucher". - In diesem (erfundenen) Fall mit
den Auswirkungen auf einen Motorradfahrer. - Einen BMW-Motorradfahrer.:
Es ist Samstag.
Heinz und Mona gedenken einen kleinen Ausflug in die nächste
größere Stadt zu machen. "Wir gehen mal in Ruhe bumnmeln", sagt Heinz,
"und dann richtig schön und gemütlich essen." Während sie im Auto
unterwegs sind, meint Heinz: "Ach ja - und weil wir ja praktisch dran
vorbei kommen, könnte ich eben bei meinem BMW-Händler vorbeispringen
und einen kleinen Halter für einen Handprotektor kaufen, der mir - als
ich vorige Tage die Maschine für die erste Frühjahrsausfahrt fertig
machen wollte - leider kaputt gegangen ist." - Auf Monas fragenden
Blick fügt er hinzu: "Du, mir ist das Motorrad umgefallen. Aber es ist
wirklich nur der Halter gebrochen. Eine Kleinigkeit."
Eine halbe
Stunde später halten Sie vor dem BMW-Kundendienstbetrieb. Alles
BMW-like, alles blinkt. Vor dem Eingang zum Ersatzteillager ist sogar
ein Parkplatz frei. "Bin gleich wieder da", sagt Heinz und verschwindet
hinter der Tür.
Nach zehn Minuten ist Heinz zurück, setzt sich
tief atmend ins Auto, zieht die Tür zu und sagt: "Scheiße. - Den Halter
gibt es nicht mehr. Nun muss ich neue Handprotektoren kaufen und die
passenden Halter dazu. Der Spaß kostet nun 110 Euro." - Und nach einer
kleinen Pause: "Müssen wir eigentlich Essen gehen? - Könnten wir nicht
auch zu Hause..." - Mona unterbricht ihn: "Nein. Jetzt habe ich mich
auf das Essen gefreut - und auch den kleinen Bummel. Und du machst nun
mal wieder mit deinem Motorrad alles kaputt." - Schweigen.
Bevor
Heinz den Wagen starten kann, sagt Mona: "Meinst du nicht, dass ich es
noch einmal versuchen sollte?" - Heinz lächelnd: "Meinst du vielleicht,
dass du als Frau beim Ersatzteilkauf mehr erreichen kannst als ich? -
Du wirst doch garnicht ernst genommen."
Mona schweigt ein wenig
verärgert und steigt dann kurz entschlossen aus. Sie geht im
Kundendienstbereich an die Ersatzteillager-Theke, wo es eine Klingel
gibt, wie man sie auch an Hotel-Rezeptionen findet. - Niemand da? -
Mona klingelt. Und aus den Tiefen des Ersatzteillagers kommt ein
Mitarbeiter des BMW-Betriebs im blauen Kittel. - "Bitte sehr?" - Mona:
"Meinem Mann ist das Motorrad beim Putzen umgefallen" - und mit einem
Schulterzucken "Männer eben!" - Der Lagermann guckt fragend und Mona
ergänzt: "Da ist ihm dann der Halter von dem Handprotektor kaputt
gegangen. Jetzt braucht der einen neuen. - Haben Sie den vorrätig?"
Der
Mann hinter der Theke lächelt: "Ich denke schon. Aber es kommt darauf
an, was Ihr Mann für eine BMW fährt. Noch ein älteres Modell? - Und
welches?" - Mona sagt: "Ich kenn' mich da nicht so aus. Das ist so ein
Gelände-Ding." - Der Ersatzteil-Fachverkäufer: "Vielleicht eine HP2?" -
Mona: "Kann sein. Haben Sie denn dafür einen Halter?" - "Natürlich",
sagt der freundliche BMW-Mitarbeiter, geht nach hinten und ist Minuten
später mit dem Halter wieder da. - Er hält ihn Mona vor's Gesicht und
fragt: "Könnte der das sein?" - Mona strahlt: "Ich glaube, genauso
sieht der aus." - Der BMW-Mann nickt zufrieden, schreibt einen
Kassenzettel und sagt: "Fünffünfzig, bitte".
Mona schluckt, zahlt - und stürmt ins Auto. "Fahr los", strahlt sie Heinz an. "Wir können Essen gehen!"
Eine
schöne Geschichte. - Wenn man sie so liest. Man könnte sie auch anders
schreiben. Aber dann müsste man im Jahr 2008 beginnen, wo z.B. das
Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg zum ersten Mal über einen
Verkehrsunfall informiert wurde, der als so genannter "Fulda-Fall" dann
Eingang in einen Ordner fand, der inzwischen stark, sehr stark
angewachsen ist. Nicht nur beim Kraftfahrt-Bundesamt, sondern auch bei
BMW.
Das Unfall-Motorrad war nämlich eine BMW R 1200 GS.
Für das KBA (Abkürzung für Kraftfahrt-Bundesamt) stellt sich der
(Un-)Fall - und der Anlass dazu - so dar:
"Unsachgemäßer
Gebrauch, wie Verzurren, Anstoßen gegen Hindernisse beim Rangieren und
Parken oder auch das Umfallen des Motorrades können dazu geführt haben,
dass einer oder beide Handprotektoren an der Lenkerarmatur verdrehen
und dadurch der Handbrems- oder Kupplungshebel leicht betätigt wird. In
ungünstigen Fällen können Funktionsstörungen an der Bremse oder
Kupplung auftreten."
Nun ist mir
das alles nicht neu. Ich habe im Jahre 2008 in unterschiedlichen
Geschichten über eigentlich unverständliche Reaktionen von BMW
berichtet. Diese Geschichten sind auch heute noch auf diesen Seiten
nachzulesen:
"BMW und seine 'TA's'", vom 13. April 2008
"BMW ein 'Papiertiger'?", vom 28. Juni 2008
"Traurig machende Zugabe", vom 28. Juni 2008
Da
ist natürlich kein Grund, die Geschehnisse um so genannte
Handprotektoren im Jahre 2010 zu vergessen. Also habe ich auch mal BMW
angeschrieben. Nach angemessener Pause erhalte ich dann - in
diesem Fall am 3. März - folgende Antwort:
"...vielen Dank für Ihre Anfrage.
Wir haben Ihre E-Mail an den zuständigen Fachsprecher weitergeleitet.
Dieser kontaktiert Sie dann direkt zu Ihrem Thema.
Mit freundlichen Grüßen
BMW Group
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit"
Danach
war Stille. Nun wird der entsprechende "Fachsprecher" der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit in der "BMW Group" einen "Fall" Handprotektoren
kaum kennen. Denn der ist eigentlich negativ. Für BMW. Also wird es ihn
nicht geben. Die BMW-Presseabteilung ist zu einem Multiplikator von
Erfolgsmeldungen verkommen. Da es davon immer weniger gibt, vermeldet
man eben Ereignisse wie die Reden von Vorständen, Sponsorunerstützungen
von kulturellen Veranstaltungen und ähnliches. Man wird versuchen
die Anfrage zum Thema Handprotektoren auszusitzen. - Schließlich hat
die BMW-Motorradabteilung das bis heute auch getan.
Man hat
natürlich in der Serie einen neuen Handprotektor eingeführt. Mit neuen
Halterungen. Nun alles verdrehfest. - Aber die "alten" Motorräder, die
Modelle R 1200 GS, Typ 0307 und Typ 317, sowie R 1200 GS Adventure, Typ
0382 und Typ 0397, mit den Bremssystemen:
- I-ABS 1 (FTE) - wie im "Fulda-Fall"
- I-ABS 2 (Conti Teves)
- ohne ABS
die
sind z.T. immer noch mit den alten Handprotektoren unterwegs, die sich aus
den unterschiedlichsten Gründen (s.o.) verdrehen können.
Das KBA stellt dazu aktuell - jetzt im Jahre 2010 - fest:
"Die
Bremssysteme mit I-ABS 2 (Conti Teves) oder ohne ABS geben dem
Fahrzeugführer keine Warnung mittels optischer oder akustischer
Warnsignale, wenn durch einen verdrehten Handprotektor der
Handbremshebel leicht betätigt wird. Im Falle des I-ABS 2 kommt es
nicht zum Blockieren des Vorderrades, sondern zu einer 'geregelten
Vollbremsung'. Bei Fahrzeugen mit I-ABS 1 (FTE) ist es durch den
Systemselbstcheck möglich, dass der 'Fehler' beim Bremssystem mittels
Warnleuchte angezeigt wird und vom Fahrer wahrgenommen werden kann. Ist
die Wahrnehmung nicht gegeben, kann es genauso zum Blockieren des
Vorderrades kommen wie bei dem Bremssystem ohne ABS-Ausstattung."
Das ist alles wenig beruhigend. Beim KBA hat man das auch erkannt und stellt fest:
"Hinsichtlich
der für den Fahrer möglichen Reaktionen auf das vollständige Schließen
der Bremse bedarf es keiner Differenzierung zwischen den drei
Bremsanlagen, da die plötzliche 'geregelte Vollbremsung' für den
Normalfahrer genauso wenig beherrschbar erscheint, wie ein Blockieren
des Vorderrades bei Motorrädern ohne ABS."
Das KBA sieht auch eine gewisse Gefahr in den genannten Sachverhalten und beurteilt die so:
"Der
herstellerbedingte Mangel stellt eine ernste Gefahr dar und die mit den
genannten Protektoren ausgestatteten Motorräder genügen nicht den
Anforderungen an die Gesundheit und Sicherheit nach § 4 Geräte- und
Produktsicherheitsgesetzt (GPSG). Diese Beurteilung bezieht sich auf
die unbeabsichtigte Betätigung des Hebels der Handbremse bei allen drei
betroffenen Bremsenausstattungen."
Man muss jedoch berücksichtigen, was vom KBA so formuliert wird:
"Der
in Rede stehende Handschutz wurde nicht serienmäßig an allen Maschinen
verbaut, war jedoch als Sonderzubehör nachrüstbar, so dass
möglicherweise alle im Verkehr befindlichen Maschinen der o.a. Modelle
betroffen sein könnten."
Nach
Absprache mit dem KBA wurden von BMW folgende Maßnahmen direkt
durchgeführt, die auch vom KBA als "ausreichend und geeignet" erachtet
wurden. In einer KBA-Darstelung aus 2010 liest sich das so:
"Die
BMW AG hat insofern aufgrund der bekannten Vorfälle in einer Ergänzung
zur Bedienungsanleitung aufgenommen, dass die Position der
Handprotektoren und die möglichen Folgen einer Verdrehung regelmäßig zu
überprüfen sind. Des Weiteren wird der Ergänzung der
Bedienungsanleitung ein Aufkleber beigelegt, der auf die Freigängigkeit
des Handbrems- und Kupplungshebels hinweist und nach Anleitung im
Handschutz zu verkleben ist."
Natürlich
betrifft das "nur" die "alten" BMW-Motorräder. Bei den seit diesen
Vorfällen in Serie hergestellten Neumaschinen wurde ein neuer,
aufwändig gestalteter Handprotektor verbaut, der auch andere Halter
aufweist. Dieser Handprotektor kann sich nicht mehr verdrehen. Damit kann nicht mehr
passieren, was bei "alten" Modellen (wie oben dargestellt) noch aktuell
immer der Fall sein kann. Aber auch hier möchte sich BMW durch
eine entsprechende Gestaltung des Ersatzteilkatalogs keine Vorwürfe
machen lassen: Für die "alten" Modelle gibt es keine "alten" Teile
mehr. Wenn also eine "alte Maschine" (wie oben beschrieben) verunfallt,
umfällt, dessen Handprotektoren beschädigt werden, dann muss man die
neuen Teile verbauen. Mit neuen Haltern. Und das kostet nun mal - wie
in meiner erfundenen Geschichte dargestellt - wirklich 110 Euro ohne
Montage. Die alten Halterungen sind lt. Katalog für die alten
GS-Modelle nicht mehr lieferbar.
Nun
wird aber an der HP2 ein
anderer Handschutz (den BMW Handprotektor nennt) verbaut. Der ist das
"Ende offen". Dafür gibt es auch den passenden Halter, exakt den,
der jetzt an den alten
GS-Modellen "verboten" ist. Wenn man also als Fahrer einer alten GS...
- Na ja, ich habe die Möglichkeiten ja in meiner Eingangsgeschichte
beschrieben. Wer also dem BMW-Ersatzteilmann sagt, dass er einen Halter
für die HP2 braucht, bekommt so den alten Halter für das alte
GS-Modell.
Wenn man aber sagt, dass man einen Halter für die alte GS benötigt,
dann wird einem der BMW-Fachmann erklären (müssen!), dass es den nicht
mehr gibt.
Aber wer weiß das schon? - Nur BMW-Mitarbeiter und
die Leser von Motor-KRITIK. - Auch die Mitarbeiter des KBA sind
ahnungslos. Immerhin ist man dort (in Flensburg) der Meinung:
"Da
trotz dieser vom KBA als ausreichend und geeignet erachteten Maßnahmen
ein Restrisiko nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, ist es
zwingend, dass die BMW AG im Rahmen der ihr ohnehin obliegenden
Produktbeobachtungspflicht einen Verdacht eines möglicherweise von
Hndprotektoren verursachten weiteren Schadensereignisses unverzüglich
gegenüber dem KBA zu melden hat."
Wie ernst die BMW AG -
Entschuldigung, natürlich muss es "BMW Group" heißen - diese
Verpflichtung im Falle der Handprojektoren nimmt, kann man z.B. auch
dem zeitlichen Verzug schließen, mit dem die "Group" dann ihre
"Groupies" die Anfrage eine Journalisten beantworten lässt: Bis zu
diesem Moment, da denn - am 10. März 2010 - diese Geschichte auf meinen
Internetseiten veröffentlich wird, hat sich kein "Fachsprecher" bei mir
gemeldet.
Man versucht wohl, "den Ball flach zu halten", wenn es
um ein kritisches Thema wie Handprotektoren an BMW-Motorrädern geht. -
Aber vielleicht gibt es in der BMW Group auch keinen wirklichen
"Fachsprecher" mehr.
Darum lassen Sie mich mit der Pointe enden, die oben in meiner "erfundenen" Eingangsgeschichte noch fehlt:
Heinz
fährt eine alte R 1200 GS. Gut, dass Mona eine HP 2 nicht von der GS
unterscheiden kann. So kann man zusammen Essen gehen. Für 104,50 Euro
einschließlich Getränke - wenn es denn sein muss.
Und Heinz muss
so auch nicht auf eine "geregelte Vollbremsung" verzichten. -
Eventuell! - Aber ein bißchen Risiko ist schließlich überall.
MK/Wilhelm Hahne