10-04-25-01
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Am 6. April 2010 sagt der BMW-Finanzvorstand in Seattle (USA):
"Heute ist ein wichtiger Tag für die Zukunft, genauer gesagt für die
Zukunft derMobilität." - Er muss es wissen.
Ich
hatte Monate vorher die BMW-Presseabteilung nach dem Verbleib des
Dienstwagens von Herrn Dr. Kafitz, ehemals Hauptgeschäftsführer der
Nürburgring GmbH gefragt. Er fuhr einen BMW M 5, der in München
zugelassen war und regelmäßig gegen ein neues Fahrzeug getauscht wurde,
wenn eine bestimmte Kilometerleistung erreicht war. Antwort der
BMW-Presseabteilung: Man habe meine Anfrage an die entsprechende
Fachabteilung weiter gereicht.
Ich hatte Monate vorher in Sachen
Handschützer für Motorräder die BMW-Presseabteilung um eine Auskunft
gebeten. Antwort der BMW-Presseabteilung: Man habe meine Anfrage an die
entsprechende Fachabteilung weiter gereicht.
Ich hatte - auch
vor Monaten - darum gebeten, für mich einen BMW X1 als Testwagen
(Diesel in Basisausstattung) einzuplanen. Antwort der
BMW-Presseabteilung: Das Fahrzeug wäre erst ab Frühjahr 2010 lieferbar.
Man würde ... -
Aber in allen drei Fällen hat sich niemand bei
mir gemeldet. Vielleicht gibt es bei BMW inzwischen keine
Fachabteilungen mehr. - Die Zeit ist vorbei, wo man bei BMW stolz
darauf war, Presseanfragen in kürzerer Zeit bearbeitet zu haben als
Konkurrenzunternehmen. Nun wusste "damals" ein Richard Gaul (als
gelernter Journalist) auch, was für einen Journalisten wichtig ist. Und
er verstand sich als Dienstleister. - Vorbei.
Ich stoße bei
meinen Recherchen zu Details bei BMW immer öfter auf Anzeichen, die
nach meiner Erfahrung typisch für eine Organisation im Niedergang sind.
Bürokratisierung, Entfremdung von der Basis, Kritikempfindlichkeit, Entscheidungsschwäche, Abschottung der Fachbereiche. Und man kämpft intern um profilierungsträchtige Projekte.
Am
12. April 2010 war man bei BMW stolz vermelden zu können: "Mit grüner
Kraft durch die Grüne Hölle." - Man hatte als "der erste
Automobilhersteller" mit einem MINI E Race, einer modifizierten
Rennversion (!) des serienmäßigen (?) MINI E die berühmte
Nürburgring-Nordschleife in einer Zeit von 9:51,45 min umrundet und
ergänzt diese Tatsache stolz: "Die maximale Geschwindigkeit des MIN E
Race lag bei 187 km/h."
Ein Ex-DTM-Profi, Thomas Jäger (München)
hatte diese Leistung (?) nach "umfangreichen Vorbereitungen"
realisiert. In der BMW-Pressemitteilung ist zu lesen: "So wurde der
MINI E Race mit einer speziellen Leichtbau-Karosserie sowie einem
Überrollkäfig ausgestattet, um auf der Rennstrecke optimale Performance
und Sicherheit zu garantieren. Einzelne Komponenten wie Fahrwerk,
Bremsen oder Bereifung stammen ebenfalls aus dem Motorsport. ... Für
die Nordschleifenfahrt wurden die Steuerelektronik und die Software so
umprogrammiert, dass sich eine für die Nordschleife optimale
Fahrleistung ergibt. Die Motorkraft wird emissionsfrei über ein
einstufiges Stirnradgetriebe, bei dem die Übersetzung verlängert wurde,
an die Vorderräder übertragen."
Mehr nicht? - Was nicht
geschrieben wurde: Mehr als eine schnelle Runde hat dieser MIN E Race
nicht zurückgelegt. - Zurücklegen können? - Das Herzstück des E-Racers war - genauso wie
beim E-Serien-Schwesterchen - ein 150 kW/204 PS starker Elektromotor.
Nur
als Anregung zum Nachdenken: Würde man in diesen Renn-MINI statt des
E-Motors einen gleichstarken Dieselmotor verbauen (das sollte mit einem
Zweiliter-Aggregat möglich sein), dann würde man die Nordschleife
wahrscheinlich nicht nur rd. 1 Minute schneller umrunden können. Und
das dann auch noch - mit dem serienmäßigen 50 Liter-Tank - gleich ein
Dutzend Mal. - Was sollte also der ganze Aufwand?
Der
verantwortliche Projektleiter der BMW Group, Peter Krams, sagt dazu:
"Ziel dieser einmaligen Aktion war, das große Potential des MINI E und
seiner umweltfreundlichen Antriebsart eindrucksvoll zu veranschaulichen."
Und es gibt auch Werk-Fotos von dieser tollen Demonstration:
Diese
tolle MINI E Racer-Demonstration hat mich wieder in schnellem
Gedankenflug (emissionsfrei und nachhaltig!) zurück nach Seattle (USA) gebracht. Hören
wir doch dort noch einmal dem BMW-Finanzvorstand ein wenig zu:
Moses
Lake im Staat Washington wird eine wesentliche Keimzelle für eine
technologische Innovation werden, die das Automobil, so wie wir es
kennen, grundlegend verändern wird.
Ich
danke allen Beteiligten für ihren Beitrag an diesem bahnbrechenden
Projekt. Unter anderem auch der Congress-Delegation, der Stadt Moses
Lake und der Leitung des Grant County Washington.
Ihnen,
Governor Gregoire, danke ich für Ihre stete Hilfsbereitschaft und
Unterstützung. Sie haben sich wesentlich dafür eingesetzt, dass wir das
Faserwerk in Moses Lake bauen werden. Damit sind Investitionen in Höhe
von 100 Mio. USD verbunden. In der ersten Ausbaustufe des Werkes werden
dort mehr als 80 Arbeitsplätze entstehen. Weitere Investitionen und
auch weitere Arbeitsplätze sind bereits konkret geplant.
Ihr
persönlicher Einsatz, Governor Gregoire, hat uns gezeigt, dass unsere
Produktionsstätte in Moses Lake willkommen ist. Wir freuen uns darauf,
hier in Kürze starten zu können.
Moses
Lake ist für SGL Automotive Carbon Fibers (LLC) tatsächlich der ideale
Ort. Wir haben hier qualifizierte Arbeitskräfte und eine ausgezeichnete
Infrastruktur vorgefunden. Die Umweltbedingungen sind bestens. Die
notwendige Energie für unsere Produktion wird umweltfreundlich durch
Wasserkraft erzeugt.
Das
war eine unserer Standort-Bedingungen. Die BMW Group verfolgt seit
mehreren Jahren eine konsequente Nachhaltigkeits-Strategie. Mit unserer
Produktion unter ökologischen Kriterien stehen wir im
Industrievergleich an der Spitze. Wir stellen umweltfreundliche,
emissionsarme Fahrzeuge her. Wir recyceln einen Großteil der in der
Produktion angefallenen Materialien.
Wer ist eigentlich SGL Automotive Carbon Fibers (LLC)? - Wer ist "WIR"? -
Hören wir doch, liebe Leser, dem Finanzvorstand der BMW Group noch eine kleine Weile zu:
Carbonfaser-Komponenten
sind ein wesentliches Element automobilen Leichtbaus. Ein Beispiel für
unsere CFK-Serienfertigung sehen Sie hier: Das Dach des BMW M3 Coupé
wird seit 2003 aus CFK gefertigt.
Aus
unserer Sicht sind Kohlefaserverstärkte Kunststoffe ein idealer
Werkstoff für den Automobilbau. Carbonfasern sind sehr viel leichter
als die bisher verwendeten Materialien Stahl und Aluminium.
CFK-Komponenten sind zudem wesentlich fester, ermüdungsresistenter und
zeigen keine Korrosion.
Als
einziger Automobilhersteller weltweit hat unser Unternehmen langjährige
Erfahrung bei der Verwendung von CFK-Komponenten in größerer Serie.
Seit mehr als zehn Jahren fertigen wir Leichtbau-Komponenten aus CFK.
Bisher
hatten Kohlefasern einen entscheidenden Nachteil: Sie waren schlicht zu
teuer, um im Automobilbau in der Serie eingesetzt zu werden.
Die
Materialeigenschaften von Kohlefaserverstärkten Kunststoffen sprechen
für sich. Bei geringeren Produktionskosten hat CFK daher gute Chancen,
sich auf Dauer als Material im automobilen Leichtbau zu etablieren.
Durch innovative Prozesse können wir das erreichen.
Was
weiß ein Finanzvorstand von Carbonfaser-Komponenten? - Wo gibt es da
einen Zusammenhang? - Das ist dann der Moment, wo mich meine
journalistische Neugier zu Recherchen anregt. Ich lasse Sie, meine
Leser, an dem Ergebnis teilhaben. Es war für genauso eine Überraschung,
wie der Versuch der BMW Group, die Schwächen des E-Antriebs zu
verdeutlichen. (So habe ich das empfunden.)
Da finde ich im
"Handelsblatt" eine Meldung, die mir sonst vielleicht endgültig
entgangen wäre. Schließlich ist sie bereits vom 17. März 2010. Da lese
ich u.a.:
"Eine
klassische 'Win-Win-Situation'", jubelt BMW-Chef Reithofer hinterher.
"Wir sichern uns wegweisende Zukunftstechnologien und Rohstoffe zu
wettbewerbsfähigen Konditionen." Partner Koehler ist ähnlich
euphorisch: "Dieses Joint Venture ist ein Meilenstein für den Einsatz
von Karbonfasern im industriellen Maßstab in der Automobilindustrie. In
fünf bis zehn Jahren haben wir Karbonteile in der Serienfertigung für
Autos."
Ich
kann es nicht fassen. Was lässt den BMW-Chef so jubeln? - Wer ist
"Partner Koehler"? - Und ist stoße darauf, dass sich BMW gerade am
Leichtbau verhebt. Zwar ist BMW-Chef Reithofer kein Banker, aber bei
seinem Gefühl für ein realistisches Abwägen von Kosten und Gegenwert,
scheint er auch über Anlagen zu verfügen, die gleich eine ganze Bankenkrise auslösen
könnten. - Lässt er darum seinen Finanzchef zum Thema Technik
(natürlich innovativer) und Leichtbaukomponenten vortragen? - Betreiben
wir einmal Ursachenforschung:
Susanne
Klatten, zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter die
Hautptaktionärin von BMW, hält auch die Mehrheit am Chemiekonzern Altan,
hält 22 Prozent am Windanlagenbauer Nordex und 22 Prozent am
Chemiekonzern SGL Carbon. Mit diesen Beteiligungen sichert sie sich
ihren Anteil an der gesamten Wertschöpfungskette des Werkstoffs
Kohlefaser: Von der Herstellung über die Verarbeitung bis zum Einsatz
im Endprodukt. Eine perfekte Strategie, allerdings nur unter der
Voraussetzung, dass die optimistischen Prognosen über die zukünftige
Verbreitung des Wunderwerkstoffs sich auch bewahrheiten. Und da sind
erhebliche Zweifel angebracht.
Nun
muss ihr "Untergebener", Dr. Reithofer, das Kohlefasergeschäft mit ankurbeln
und von den Vorteilen dieses Werkstoffs für den Automobilbau schwärmen.
Da überlässt der dann schon mal gerne Herrn Friedrich Eichiner das
Wort, der als Finanzchef der BMW Group dazu u.a. ausführt:
„Carbonfasern
sind ein innovativer Werkstoff für die Automobilindustrie. Unsere
gemeinsamen Entwicklungen werden nachhaltige Mobilität im urbanen
Umfeld ermöglichen. Das Thema Nachhaltigkeit ist fest in unserer
Unternehmensstrategie verankert. Wir behalten dabei die gesamte
Wertschöpfungskette im Blick. Die für die Produktion der Carbonfasern
benötigte Energie wird deshalb aus umweltfreundlicher Wasserkraft
gewonnen. Leichtbau ist ein Kernelement für nachhaltige Mobilität zur
Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs sowie der CO2-Emissionen, beides
Kernaspekte unserer EfficientDynamics Strategie. Die Nutzung
carbonfaserbasierter Verbundwerkstoffkomponenten im Megacity Vehicle
ist ein Meilenstein in der nachhaltigen Mobilität. Durch die Verbindung
der Expertise der SGL Group und unseres Know-hows in der
Großserienfertigung von CFK-Komponenten können wir carbonfaserbasierte
Bauteile in hoher Stückzahl zu wettbewerbsfähigen Kosten herstellen.
Besonders für Fahrzeuge mit Elektroantrieb, wie das Megacity Vehicle,
ist dies von hoher Relevanz.“
Da passt ein "Win-Win" nicht, da gibt es die Steigerung: Wow-Wow-Wow!!!
- Ob solch sprachlicher
Urgewalt bleibt einem erst einmal die Luft weg. Politiker und
Werbetexter können vor Neid erblassen. Friedrich Eichiner hat es
verstanden, alle derzeit wichtigen Schlüsselbegriffe (oder sagt man
besser: Worthülsen) in seiner Aussage
unterzubringen, einige sogar mehrfach. Leider erinnert der Text an
das krampfhafte aber vergebliche Bemühen von BMW, Synergieeffekte aus
der
Formel 1 für die Serie abzuleiten. Die Formel 1 wurde für BMW zum
Desaster. Man hatte u.a. - um sich besonders hervor zu tun - das Thema
KERS favorisiert. Und ist gescheitert. Mit KERS und der Formel 1. -
Kann das Carbonabenteuer einen ähnlichen Verlauf nehmen?
Unter diesem Aspekt kann es sich ein kritischer Journalist (man sagt, ich wäre einer) natürlich
nicht
entgehen lassen, das Statement von Friedrich Eichiner Punkt für Punkt
unter die Lupe zu nehmen.
"Carbonfasern sind ein innovativer Werkstoff":Der
Werkstoff Kohlefaser ist alles andere als innovativ. Nebenbei bemerkt
kann ein Werkstoff nicht innovativ sein, sondern höchstens der
Anwender. Was aber hier nicht der Fall ist. Schon seit Jahrzehnten
werden Rennfahrzeuge, Fahrräder und Tennisschläger aus Carbonfaser
hergestellt. Bis auf einige wenige Bauteile (solche ohne mechanische
Beanspruchung in exotischen Fahrzeugen) ist das Material noch nicht in
der rauen automobilen Alltagswelt angekommen. Statt "innovativ" müsste
es deshalb wahrheitsgemäß heißen "neuartig in der automobilen
Großserienanwendung". Das klingt natürlich bei weitem unspektakulärer
und passt schlecht zum BMW-Selbstverständnis.
"Nachhaltige Mobilität":Das nächste Schlagwort aus dem Mund des BMW-Finanzexperten ist "Nachhaltigkeit". Bei BMW ist das "Thema
Nachhaltigkeit" fest in der (neuen) Unternehmensstrategie verankert.
Wohlgemerkt das Thema, nicht die Nachhaltigkeit selbst. Das wäre auch
ein uneinlösbares Versprechen. Was soll Nachhaltigkeit im Automobilbau
überhaupt bedeuten? Man kann höchstens spekulieren, was BMW unter
Nachhaltigkeit versteht. Vermutlich den Bau und den Betrieb von
Automobilen mit Hilfe regenerativer Energien.
Im Falle der
Kohlefasern wird der enorme Energiebedarf zur Herstellung und
Verarbeitung (3000 Grad Verarbeitungstemperatur!) mit Wasserkraft
erzeugt. Frage: Welchen anderen Verbrauchern wird diese Energie
weggenommen, die dann mit "unsauberer" Energie vorlieb nehmen müssen?
Nebenbei kann man dieser Aussage entnehmen (für den Fall, dass man
es noch nicht weiß), dass zur Herstellung der Kohlefaserkomponenten ein
enormer Energieaufwand erforderlich ist.
Und die mit sauberer
Energie betriebenen Fahrzeuge? Friedrich Eichiner - und mit ihm vemutlich
der gesamte BMW-Vorstand - hat als primären Anwendungsfall für
Carbonfaserbauelemente das Elektrofahrzeug im Auge. Elektrofahrzeuge
sind "nachhaltig", weil sie keine Schadstoffe ausstoßen und mit sauber
erzeugter Energie betrieben werden können – so einfach ist das.
Natürlich geht man bei einem nachhaltigen Betrieb von Elektrofahrzeugen
davon aus, dass der Strom aus regenerativen Quellen kommt. Auch wenn es
auf die Dauer langweilt, aber auch hier stellt sich die gleiche Frage
wie oben. Welchen wesentlich sinnvolleren Anwendungen für saubere
Energie wird sie aber bei dieser Gelegenheit entzogen?
Bei sauberer Energie denkt man
neben Wasserkraft und nachwachsenden Rohstoffen natürlich auch an
Windkrafträder. Praktischerweise kommen diese (auch) aus dem Hause Nordex. Im Falle BMW: Eine
perfekte Strategie, denn so bleibt das Geld in der Familie.
"Leichtbau":Kohlefasern
sind bei BMW das Schlüsselelement für Leichtbau, und damit für die
Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen. Oder um
Friedrich Eichiner zu zitieren:
"Die Nutzung carbonfaserbasierter
Verbundwerkstoffkomponenten im Megacity Vehicle ist ein Meilenstein in
der nachhaltigen Mobilität."
In einfaches Deutsch übersetzt heißt
das nichts anderes, als dass Carbonfasern das Gewicht und damit den
Verbrauch signifikant absenken sollen. Leider beruht diese Hoffnung auf
zwei fundamentalen Irrtümern. Aber woher soll das ein Finanzvorstand auch wissen? Denn erstens wird das
Gewichtseinsparpotential gewaltig überschätzt, und zweitens dessen
Einfluss auf den Verbrauch. Selbst wenn es durch massiven Einsatz der
Kohlefasern gelingt, das Gewicht eines Elektrofahrzeuges um 100
Kilogramm abzusenken, so sind das z.B. bei einem Elektro-Mini lediglich
sechs bis sieben Prozent des Leergewichts. - Aber kann man einem Finanzexperten da böse sein?
Toll
wäre es aber, wenn
sich diese sechs bis sieben Prozent wenigstens im Verbrauch
niederschlagen würden. Die Anwendung des entsprechenden Dreisatzes hat
aber schon viele Entwickler und Ingenieure in die Irre geführt. Nicht
einmal auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor trifft diese Analogie zu,
auf Elektrofahrzeuge schon zweimal nicht. - Wieso? Benötigt denn das
leichtere Fahrzeug nicht wesentlich weniger Beschleunigungsenergie?
Vollkommen richtig! - Aber sogar im Stadtverkehr überwiegt der
Energieanteil für die Konstantfahrt, und dieser ist weitgehend
gewichtsunabhängig. Bei Elektrofahrzeugen kommt noch hinzu, dass ein
Teil der Beschleunigungsenergie durch Rekuperation (Sie wissen
sicherlich, dass beim Bremsen...) wiedergewonnen
werden kann. Doch logisch ist: Je schwerer das Fahrzeug, desto größer
ist die Möglichkeit der Energie-Rückgewinnung. - Wo mehr (Gewicht) ist,
ist auch mehr zu holen. (Das gilt übrigens auch
für Hybridfahrzeuge.)
100 Kilogramm Gewichtsreduzierung
bedeuten
bei Kompaktfahrzeugen mit Verbrennungsmotor eine Verbrauchsreduzierung
von ca. drei Prozent. Bei Elektrofahrzeugen vom Typ MINI-E verlängert
sich die Reichweite grob geschätzt um zwei Prozent, d. heißt, von 160
Kilometer auf 164 Kilometer. - Ist das "ein Meilenstein"? - Selbst
einem Finanzvorstand sollte man nicht alles abnehmen. Ich jedenfalls
kann Herrn Friedrich Eichiner hier nicht geistig folgen.
Fairerweise sollte ich aber den einzigen Aspekt, auf den sich ein niedrigeres Gewicht
uneingeschränkt positiv auswirkt, nicht unterschlagen: Die
Beschleunigung. - Diesen Punkt darf man aber bei Elektrofahrzeugen übersehen. Es besteht absolut kein
Handlungsbedarf. Ein MINI-E beschleunigt z.B. in nur 8,5 Sekunden von Null
auf 100 km/h. Mit 100 Kilogramm weniger schafft er es dann in 8,0 Sekunden. - Schon wieder ein "Meilenstein"?
"Herstellung in hohen Stückzahlen zu wettbewerbsfähigen Kosten":Automobilentwickler
und –hersteller scheinen unbelehrbar zu sein. Sie glauben immer noch an
die
"Top-Down"-Einführung von neuartigen Technologien. Dabei hat diese
Strategie außer bei ABS und ESP noch nirgends funktioniert. Und das ESP
verdankt seine großflächige Verbreitung ausschließlich einer nordischen
Kuh, dem Elch, und
war somit in Wirklichkeit eine "Bottom-Up"-Geschichte. Es gibt
inzwischen
genug Beispiele, wo Hochtechnologien wieder von der Bildfläche
verschwunden sind, weil sie in Relation zu Aufwand und Kosten keinen
vernünftigen Kundennutzen aufweisen konnten. - Warum sollte das
plötzlich bei
Kohlefaser anders sein?
Dabei hat BMW durchaus schon
einschlägige Erfahrung mit Materialleichtbau. Beim Serienanlauf des
jetzt auslaufenden Fünfers pries der damalige Entwicklungsvorstand,
Burkhard Göschel, "intelligent" eingesetztes Aluminium als den
BMW-Königsweg. Der Vorderbau bestand aus Alu, ebenso die Achsen. - Und? - So werden meine Leser jetzt fragen. - Dass
der aktuelle (und schönere) Nachfolger wieder an den gleichen Stellen mit schnödem Stahl vorlieb nehmen muss wird
natürlich schamhaft verschwiegen. (Und der Fachpresse fällt es nicht auf.) Die Lehre, die man daraus ziehen muss
lautet: Rendite schlägt Leichtbau. - Denn der neue 5er ist verglichen mit dem alten um 150 Kilogramm schwerer. - Grob gerechnet.
Die
Reaktion der Medien auf das Technik-Bla-bla eines Finanzchefs ist
interessant, aber - noch interessanter ist die Feststellung: Wenn
die Multimilliardärin Susanne Klatten sich herablässt, den Medien ihre
unternehmerische Strategie höchstpersönlich zu erklären, geraten die
völlig aus dem Häuschen. So (oder ähnlich) liest sich dann der Vorgang
in den Blättern
und Kolumnen der Wirtschaftsmedien:
Es ist totenstill im Saal,
als Klatten ihre Bühne betritt. "Ich wünsche mir Mut zum
Unternehmertum", sagt sie. Ideen habe Deutschland genug. Es gehe darum,
Unternehmertum in eine "sichtbare volkswirtschaftliche Relevanz"
umzumünzen. Sie selbst will mutig vorangehen.
Werden Sie, liebe Leser, da nicht auch von einem Geist erfüllt... - Oder anders: Da verblasst sogar
das Pfingstwunder zu einer Randerscheinung und man spürt, dass das
Finanzwesen die wahre Religion der heutigen Zeit ist. Da ist dann viel
die Rede von Pioniergeist, unternehmerischer Weitsicht, einer
klassischen Win-Win-Situation (oder war es eine Win-Win-Win-Stuation?), und was dergleichen nichtssagende
Worthülsen mehr sind. - Einfach "suppi"!
Zum Thema Arbeitsplätze:Die SGL Group und die BMW Group haben am 6. April 2006 (s.o.) auf einer
gemeinsamen Veranstaltung bekannt gegeben, dass ihr Joint Venture SGL
Automotive Carbon Fibers LLC in Moses Lake, Washington State (USA) ein
neues, hochmodernes Carbonfaserwerk errichten wird. Für die erste
Ausbaustufe werden 100 Millionen US-Dollar investiert und es entstehen
am Standort 80 neue Arbeitsplätze.
Unternehmerische
Entscheidungen von dieser Tragweite werden gerne mit dem Hinweis auf
den Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen untermauert. So war in
der Vergangenheit die Gründung neuer Werke im Ausland immer von der
Beteuerung begleitet, dass dies nur dem Erhalt der Arbeitsplätze in
Deutschland dient. Genauso muss man das Engagement von BMW auch in
diesem Fall sehen. Hier soll nicht dem defizitären Unternehmen
SGL-Group hilfreich unter die Arme gegriffen werden, wie vorschnelle
Kritiker vielleicht glauben könnten. Weit gefehlt. In Wirklichkeit ist
es ein mutiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der deutschen
Automobilbranche ganz allgemein und zur Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit von BMW im Besonderen – heißt es.
100
Millionen sind selbst für BMW kein Pappenstiel. Hat BMW wie alle
anderen Automobilhersteller nicht bis vor kurzem noch mit Kurzarbeit
(aus der Staatskasse mit fianziert!) drohende Verluste abwenden und den Abbau von
Arbeitsplätzen in Deutschland verhindern können? Mit diesem Geld werden
jetzt 80 neue Arbeitsplätze in Seattle finanziert. Und das ist erst der
Anfang. Warum kann dieses hochmoderne Werk nicht in Deutschland
errichtet werden? Vermutlich sprechen steuerliche Gründe dagegen. Man
weiß ja mittlerweile, dass sich das Kapital gerne dort niederlässt, wo
es am besten geschützt ist. Der deutsche Steuerzahler ist gleich
mehrfach betrogen: Finanzierung der Kurzarbeit, Verlagerung von
qualifizierten Arbeitsplätzen ins Ausland, entgangene Steuereinnahmen
von SGL, BMW und den Beschäftigten. - Für den Leichtbau müssen eben Opfer gebracht werden!
Thema: Standort Deutschland:Eine
Interpretation der Ereignisse um den Leichtbau bei BMW aus der
Froschperspektive ist natürlich viel zu
kurzsichtig und kleinkariert. Unsere Konzernlenker müssen da wesentlich
weiter in die Zukunft sehen. (Wenn´s schiefgeht "fahren sie halt wieder
auf Sicht" und entlassen ein paar tausend Leute.) Es
geht hier um den Erhalt des Standortes Deutschland.
Was dachten Sie denn? - Ich denke: Wenn so der Erhalt des Standortes
Deutschland aussieht,
muss einem Angst und Bange werden. Wer glaubt denn ernsthaft daran,
dass die spätere Massenproduktion der Carbonfaserkomponenten mal in
Deutschland stattfinden wird? (Wenn denn mal dieses Wunder geschehen
sollte.) Deutsche sollen zwar die "innovativen" Produkte kaufen,
die entscheidende Wertschöpfung findet aber in China oder Indien statt.
Das gilt für Carbonfasern genauso wie für die wichtigsten
Bestandteile von Elektrofahrzeugen wie Batterien, Motoren und
Steuerungselektroniken. - Nachhaltig!
Deutsches Kapital und deutscher
Ingenieursgeist sind als Motor für global operierende Firmenkonsortien immer
hochwillkommen. Anschließend jedoch heißt es: Der Mohr hat seine Schuldigkeit
getan …! - Das Kapital verlässt das sinkende Schiff Deutschland. Obwohl
unsere Politiker unsere Steuergelder Milliardenweise in Banken,
Konzerne und die Wirtschaft pumpen, nimmt die Abwanderung beängstigende
Formen an. Eine zweite Wirtschaftskrise wird der deutsche Staat nicht
überleben. Da kann man es den Großkonzernen nicht verdenken, wenn sie
sich mit deutschem Geld woanders niederlassen. Das Zauberwort heißt derzeit
China. Deutschland als Produktionsstandort ist nur solange von
Bedeutung, wie man damit Druck auf die Politik ausüben kann Zum Beispiel im Falle
einer Wirtschaftsflaute.
Von Rechenkünstlern:Politiker
können
nicht rechnen, wollen es nicht, haben keine Gefühl für Werte. Susanne
Klatten kann rechnen. Norbert Reithofer beherrscht es auch - das
Rechnen mit Euro und Dollar. Zumindest wenn es um das Vermögen von
Susanne Klatten geht, bekommt Letzterer für seine Rechenkünste
sicherlich eine "Eins plus". Genau dafür wird er schließlich
fürstlich entlohnt, und nicht für das deutsche Allgemeinwohl. Das lässt
der böse, böse Wettbewerb auch gar nicht zu. Für den deutschen
Steuerzahler geht die Rechnung auch auf. Zwar so oder so als
Verlustrechnung, aber - es ist doch einfach egal, ob die hochfliegenden
Pläne von Klatten und Co. mit der Carbonfaser
in Erfüllung gehen oder nicht. - Aber es ist gut, dass wir
darüber gesprochen haben.
Damit sind wir nur scheinbar vom eigentlichen Thema abgekommen. Denn bei all' diesen Entscheidungen spielt der
Kampf
um Planstellen, Kampf um Budgets, Kampf um profilierungsträchtige
Projekte, spielt Hierarchie-Ergebenheit und Hofstaatbildung eine Rolle.
Diese Themen beherrschen auch den "Flur-Funk" bei BMW. Da ist man
risikoscheu, aber um Bestandssicherung bemüht, bildet einerseits
Seilschaften, beschwert sich andererseits über Intrigen. Das derzeitige BMW-Problem ist
vielseitig, vielschichtig. Es arbeiten inzwischen in München zu viele
Leute, die zwar an ihre perfekte Ausbildung glauben, aber weder über
Lebenserfahrung noch eine Bindung an die Marke verfügen. - Meine ich.
BMW
war mal im Motorsport tonangebend. Man betrieb aber damals nicht
Motorsport, weil man ihn sich leisten konnte, sondern weil man kein
Geld für Werbung hatte. So gab man im Motorsport dann weniger Geld
effektiver aus. Motorsporterfolge waren die beste Werbung, zumal sie
durch die von-Mund-zu-Mund-Weitergabe multipliziert wurde. - Und heute?
Formel
1 ... - na ja, wir sprachen schon drüber. In der Tourenwagen-WM ist man
von drei Fabrikaten Dritter, für den Motorsport geeignetes
Basis-Material baut man nicht mehr. Man ist mit dem Premium-Gedanken im
Motorsport ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Der neue GT 3 ist
ein Fahrzeug, das - trotz inzwischen erfolgten Umbaus - kaum jemals
homologiert werden wird. Es hat - außer vom Namen her - keinen
Serienbezug mehr.
Aber man gibt im Segelsport Unsummen (in
Millionen) aus, verplempert sein Geld auf Golplätzen. Weil Golf für
BMW-Fahrer "in" ist? - Dabei böckelt inzwischen das Image des Namens
BMW. Man hat es mit falschen Entscheidungen überstrapaziert. Hinzu
kommt, dass sich der Automobilmarkt im Wandel befindet, dass sich die
Einstellung der Öffentlichkeit verändert hat und weiter verändert. Aber
der High-Tech-Wahn bei BMW intern scheint genauso ansteckend zu sein,
wie bei den Rindviechern. Und Premiun ist für die Münchner ein Gott. -
Aber das Klima ist rauer geworden, die Sitten verrohen.
Was
hat
BMW der Wasserstoff gebracht? Das war mehr ein Profilierungsversuch des
Herrn Göschel, eines eigentlich vom Kern her guten Mannes, als er noch
Jeans und die Haare zu einem Zopf zusammen gebunden trug. Aber dann
wurde er Professor, war Entwicklungsvorstand. Da fällt mir dann das
Hybridabenteuer ein, oder der
elektromechanische Ventiltrieb. Und passt das Hochdrehzahlkonzept
nicht wunderbar in die Zeit? - Was ist mit dem
Magerkonzept? Oder der Formel 1? Gibt es eigentlich etwas, was BMW
nicht versucht hat? - Drive by Wire óder die
Fahrerassistenzsysteme. Oder denken Sie mal an die "zwangsweise"
Einführung der Runflatreifen in die Serie. - Alles Beispiele für
Entwicklungen, mit denen
man
versucht hat den Mainstream noch zu toppen. Leider immer erst zu einem
Zeitpunkt, wenn
schon ein Abwärtstrend erkennbar war. Wieviele solcher Milliardengräber
hält eine Firma wie BMW noch aus?
Nun gibt es neue Ansätze
bei Elektrofahrzeugen und Leichtbau. Oder sollte ich gleich von der
Carbonfaser sprechen? - Da fährt man mit einem MINI E Racer eine Runde
(eine Runde!) unter zehn Minuten. Man hat alles (s.o.) im Werksfoto
sehr schön präsentiert. Danach wurde das neben dem MINI E Racer
stehende Fahrzeug dann wieder nach Hause gefahren. Dazu benötigte man
einen Zug-Transporter und einen Hänger.
Oder wären Sie mit einem E-MINI anders zurück in die heimische Garage gefahren? - Auch ein E-MINI sollte als Auto mobil sein.
Schade!
- BMW war mal eine richtige gute Firma. Auch als man in München
Kochtöpfe fertigte oder die Isetta baute. Man beschäftigte an der
Spitze auch wirklich Manager-Persönlichkeiten. - Aber wer möchte
ernsthaft einen Herrn von Kuenheim mit einem Herrn Reithofer
vergleichen? - Oder einen Herrn Göschel mit einem Herrn Reitzle?
Zumindest
Frau Klatten (geborene Quandt) versucht - dank ihrem BMW-Anteil von
12,5 Prozent - das Beste aus der derzeitigen Konstelation zu machen.
Und ein Vorstandsmitglied für Finanzen kommentiert den Versuch
fachmännisch aus der Sicht des Technikers. -
Wie wird wohl der
Käufer die ganzen BMW-Bemühungen um Nachhaltigkeit, Innovation und
Premium honorieren? - Indem er sich vielleicht ein Peugeot Sportcoupé
RCZ mit dem Turbomotor kauft, den man auch ähnlich im MINI finden kann?
Von Peugeot produziert. Weil es die BMW-Rendite verbessert. Genauso wie
die Verwendung von Stahl an den Stellen des neuen 5er BMW, an denen
vorher Alu verbaut war. Hat man sich auch beim Leichtbau verhoben?
Ein Peugeot RCZ Sport-Coupé ist übrigens
knapp 50 Zentimeter länger als ein MINI Cooper S, wiegt aber nur 123
Kilogramm mehr. (Die Preise können Sie bitte selber vergleichen.)
Wenn
man später einmal von BMW spricht, wird die Geschichte beginnen: Es war
einmal... - Schade! - Denn BMW war einmal ein richtig innovativer
Laden, mit einer Reihe von verrückten Technikern. Heute scheinen alle
verbeamtet, man verwaltet Technik. -
Aber das natürlich zu
Premium-Preisen. - Und da man im normalen Motorsport keine Erfolge mehr
erzielen kann, wird man es demnächst vielleicht mal in der DTM
versuchen. Weil es bei BMW wohl Leute gibt, die das für Motorsport
halten.
MK/Wilhelm Hahne