10-04-25/07
- In
der Zeit, in der ich groß geworden bin, kannte man das Wort "Stress"
nicht. - Weil es das Wort nicht gab, gab es den auch nicht. - Ich habe
ihn immer vermieden, indem ich mich auf das konzentrierte, was als
nächstes gemacht werden musste. Ich habe auch nicht versucht die
jeweils unabwendbare Arbeit - und den damit verbundenen zeitlichen
Aufwand - in einen Achtstundentag zu pressen. Noch heute verteile ich
alles - ganz ungestresst - auf 16 Stunden am Tag. Und meine Leser
wissen, ich habe immer Zeit für ein Gespräch. Sie werden mich niemals
sagen hören: "Rufen Sie doch später noch mal an, ich muss gerade...". -
Ich muss garnichts. - Ich habe also keinen Stress - weil ich mir keinen
mache.
Außerdem
weiß ich, dass man im richtigen Umfeld auch kaum
noch Aufmerksamkeit findet, wenn man vorgibt, von Stress belasstet zu
sein. - Heute muss man schon einen "Burnout" haben, um als
"Arbeitstier" ernst genommen zu werden. Wenn man gar sagt - was
ich aus Überzeugung tue - dass mir meine Arbeit Spaß macht, dann
erntet
man nur ein müdes Lächeln. - Arme Leute!
Natürlich hätte ich
noch die eine oder andere Geschichte... - Dazu ist immer noch Zeit.
Aber die Gelegenheit zu diesem Zusammentreffen - wie hier im
"Siebengebirge" geplant - die würde so schnell nicht wieder kommen. Man
muss eben auch Akzente setzen.
So habe ich oben im
"Siebengebirge" mit meiner Frau den dort schon fliegenden
Schmetterlingen zugeschaut, habe mit alten Bekannten wunderschön
gefrühstückt, einen wunderbaren Tag erlebt. - Zumindest bis zu meiner
Ankunft in Virneburg.
Natürlich war ich neugierig, was einer
meiner kleinen Brüder bei der "tour auto" in Frankreich gemacht hatte.
So habe ich dann ins Internet geschaut. Am Nachmittag war gerade ein
Rennen in "Paul Ricard" als einer der vielen Sonderprüfungen im Verlauf
der Wochentage vor diesem Samstag gelaufen. Mein Bruder fuhr dort einen
1600er Alfa GTA.
War das Ergebnis von "Paul Ricard" schon verfügbar? - Es war:
1. AC Cobra
2. Jaguar E-Typ
3. Ford Mustang
4. Alfa Romeo 1600 GTA
5. Ferrari 275 GTB/C
6. Porsche 911
7. AC Cobra
8. Ferrari 250 GT
9. Jaguar E-Type
usw.
Sie
ahnen es schon. Auf Platz vier, der "kleine" Alfa, der wurde auf diesem
Kurs von meinem kleinen Bruder (inzwischen etwas über 60 Jahre alt)
pilotiert. Ich habe mich richtig gefreut. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich
noch nicht, was er und der Fahrzeugbesitzer, die den Wagen abwechseln
pilotierten, im Gesamtklassement über die ganzen Tage (einer Woche)
gemacht haben. - Aber mein Bruder gehört wirklich zu den
talentiertesten in unserer Familie, die von einem guten Freund als "die
größte Rennsportfamilie der Welt" bezeichnet wird. - Und er hat sogar
Recht.
Erwähnenswert - aus meiner Sicht - ist noch die Leistung
des Porsche 911, auf Platz 6. Dieser Porsche wird von einer Dame
pilotiert, der man - wie ich bei anderer Gelegenheit beobachten konnte,
die "Freude am Fahren" richtig ansehen kann. Sie hat in vielen
Fahrerlehrgängen (und Privatstunden) eine Menge gelernt. Ihr Name: Gaby
von Oppenheim.
Insgesamt waren bei der "tour auto" bei dieser
Veranstaltung iin Frankreich 246 Teams am Start. Alles Oldtimer. Der
Alfa, der Hermann von Wildenburg gehört, ist genauso Baujahr 1965 wie
der Porsche 911 der Gaby von Oppenheim. Nur ganz wenige Deutsche
trauten sich (auch) in diesem Jahr unter die vielen "verrückten"
Franzosen. Ich mag sie. Schon in den 60ern bin ich als "Zuschauer" die
"Tour de France für Automobile" (so hieß die Veranstaltung damals)
mitgefahren, habe die Bergrennen, die Rundstreckenrennen, die
Zwischenetappen miterlebt. Und die Begeisterung der französischen
Zuschauer.
Was ich nicht verschweigen sollte: So ein Alfa hat
zwar nur 160 PS, aber wiegt auch nur 650 Kilogramm. Er ist eben ein
"altes" Auto, ein Automobil aus einer Zeit, als man noch Automobile zu
bauen verstand, Autos, mit denen man heute noch moderne
Hochleistungsautomobile (Hochdrehzahl- und Hochgewicht-) ärgern kann.
Auf einer Rennstrecke wie z.B. der Nürburgring-Nordschleife - und bei
Regen sowieso. - Aber die Nordschleife ist eben auch eine alte
Rennstrecke. - Und wenn dann der Fahrer noch so alt ist wie mein
"kleiner Bruder" Bernd... -
Nicht so alt ist mein Bruder Armin.
Der ist mehr als 20 Jahre jünger als ich. Also doch schon über
Fünfzig. Der wollte eigentlich beim Langstreckenpokal auf der
Nordschleife auf einem Porsche starten. Also schnell mal nachgeschaut:
OK! - Platz Vier im Gesamtklassement. Er lief hinter zwei BMW GT 2 ein,
die von einem guten Team per elektrisch hochfahrbaren Telemetriemasten
ferngesteuert wurden. Aus einem F1-Motorhome. - Versteht sich!
Ein
BMW hatte sich zunächst abgesetzt, wurde dann aber wohl
zurückgepfiffen. Es geht schließlich darum, das 24-Stunden-Rennen zu
gewinnen, nicht irgendein Rennen um die VLN-Meisterschaft. - Das hat
sogar ein Müller verstanden. - So siegte dann ein GT 3 vor zwei GT 2,
dem wieder ein GT 3 - von meinem Bruder Armin gefahren - folgte. -
Trotzdem: Bei BMW versteht man heute auch den Motorsport nicht mehr.
Ein Rennen muss man dann gewinnen, wenn man ein Rennen gewinnen kann.
Wenn man ein Rennen gewinnen will... - Na ja, warten wir das
24-Stunden-Rennen ab.
Ich lehne mich entspannt zurück: Ein
schönes Wochende. - Bis mir auffällt, dass das VLN-Rennen nach 22
Runden abgebrochen wurde. - Ich suche. - Ein Unfall in der
"Bergwerks"-Kurve. - Aber warum Abbruch?
Meine Frau hat
Verständnis dafür, dass ich nun "noch mal eben" zum Ring fahren will.
Ich weiß wen ich da alles ansprechen muss. Und bin schon ein wenig
geschockt, als ich erfahre, dass jemand - den ich zwar noch niemals
gesprochen habe, aber trotzdem gut kenne - nun tot ist. - Einfach so. -
Man fasst das im Moment gar nicht. - Wieso?
So bin ich dann auch
noch am Sonntag unterwegs. Spreche mit vielen Leuten, um Hintergründe
auszuleuchten. Natürlich hat die Ehefrau des tödlich verunglückten
Fahrers immer schon... - Ich kann ihre Einstellung verstehen. Aber ihr
Mann hatte auch eine Einstellung. Es war sein Leben. Wenn man darüber
nachdenkt... - nun sind vier Kinder ohne Vater. Und hätte der auf seine
Frau gehört... -
Ein netter Mann, schon lange im
Langstreckenpokal unterwegs. Er war nicht der Schnellste und litt
manchmal darunter, wenn er in einem Team nicht der Schnellste war. Nun
fuhr er in einem "Gentleman-Team" einen Aston Martin Vantage. Das ist
ein Fahrzeug, mit dem man mit einem leichten Druck aufs Gaspedal
dann schnell den Außenrand einer Kurve erreichen kann, wenn die
Eingangsgeschwindigkeit mal nicht gestimmt hat. Und sein Mitfahrer... -
Nun es war eigentlich kein Druck auf ihn vorhanden. - Alles gut und
schön. Jedes Wochenende im Aston Martin wurde so ein Stück Erholung vom
Alltag. - Ich kann es verstehen. - Seine Frau nicht.
Lassen Sie
mich den Ablauf des Unfalls schildern, so wie ich ihn in einer Reihe
von Gesprächen für mich nachvollziehbar machen konnte.
Da
fahren drei Fahrzeuge in unterschiedlichen Abständen in Richtung
"Bergwerk"-Kurve. Vorne ist ein "kleiner" BMW, dahinter kommt ein
schnellerer Lexus IS F. - Der Streckenposten am rechten Fahrbahnrand,
hier etwas höher platziert und - natürlich - durch einen FIA-Zaun (mit
entsprechenden "Zugaben") geschützt, schwenkt die "Blaue Fahne". -
Platz machen zum Überholen. Der Lexus scheint das auf sich zu beziehen
und schert aus, während von hinten der deutlich schnellere Aston Martin
kommt. - Das alles scheint ein großes Missverständnis gewesen zu sein.
- Denn der Aston Martin hat die "Blaue Fahne" wohl zu seinen Gunsten
geschwenkt empfunden. Und trifft so auf den Lexus, wird nach rechts
geschleudert, hebt über den Fahrbahnrand ab, fliegt in den FIA-Zaun,
überschlägt sich, trifft rückwärts so unglücklich auf, dass wohl der
Tank beschädigt wird. Es hat gerade kurz vorher einen Fahrerwechsel
gegeben, so dass der Tank voll ist. Wenn Eisen auf Eisen trifft gibt es
Funken. Wenn dazu Benzin ausläuft, gibt es Feuer, weil austretendes
Benzin - mit Sauerstoff vermnischt - zu einem idealen Gasgemisch wird.
Der
Aston Martin brennt schon, bevor er endgültig auf der Strecke
auftrifft. Der Fahrer hat - in den Sicherheitsgurten hängend - jetzt
kaum noch eine Chance das Fahrzeug rechtzeitig zu verlassen. Zwar ist
der Unfallort nur kurz hinter dem Punkt in "Breidscheid", wo ein
Feuerwehr-Fahrzeug postiert ist, doch die geringe Anfahrzeit genügt, um
den Aston Martin zu einem Feuerball werden zu lassen. Die
Feuerwehrleute tun zwar mehr als ihre Pflicht, so dass auch sie
hinterher zu einer Untersuchung ins Krankenhaus müssen. Zwar sind auch
die hier gemessenen Werte nicht ideal, aber sie lehnen ein Verbleiben
im Krankenhaus ab. - Sie sollten über Nacht zur Beobachtung dort
bleiben.
Es wurde schnell und gut gelöscht. Man hat den Fahrer
auch aus dem Fahrzeug befreien können. Er schien äußerlich unverletzt.
Der Veranstalter spricht von Gasen, ich denke aber, dass es auch die
Temperatur der Luft die er einatmen musste war... -
Ich kann das
alles nicht genau wissen. Ich habe auf meine Art recherchiert. Das
Ergebnis meiner Recherchen scheint mir schlüssig. - Leider bestätigt es
den Ausspruch eines guten Freundes von mir, der schon früher - als wir
beide noch (für viele unserer Freunde unverständlich) - im Rennsport
unterwegs waren sagte: "...Wenn du dran bist, bist du dran." - Das hört
sich brutal an, ist aber eigentlich selbstverständlich, normal. Wir
alle bestimmen nicht den Zeitpunkt unseres Todes. Erinnern wird uns
doch mal, was manchmal alles per Zufall passieren musste, damit wir
nicht tot geblieben sind.
Das Risiko im Rennsport tödlich zu
verunglücken wird immer bestehen. Da helfen weder FIA-Zäune noch
Leitplanken. Da helfen weder HANS noch Sicherheitsgurte. Manchmal
können die sogar im zufälligen Zusammenspiel erst tödlich sein. - "Wenn
du dran bist, bist du dran."
Die Möglichkeiten im Haushalt oder
im Straßenverkehr zu verunglücken, sind eigentlich größer als im
Rennsport. Dort ist man sich der Gefahr bewusst, in die man sich
begibt, ist in jeder Phase konzentriert. - Anders als im normalen
Straßenverkehr.
Das ändert nichts an der Situation, in der sich
nun eine Ehefrau mit vier Kindern befindet. Da kann man nicht trösten.
- Das Leben kann grausam sein. - Ich kann nachfühlen, was sie
empfindet. - Warum habe ich sonst "mal schnell" nachgeschaut, was meine
Brüder an diesem Wochenende gemacht haben? Ich habe vor
Jahrzehnten auch schon meinen Bruder Hubert (mal BMW-Werksfahrer) im
Krankenhaus besucht. - Aber es ist immer gut gegangen. - "Ich war noch
nicht dran", hat Hubert gelacht. - Und ist weiter gefahren.
Nicht
weiter gefahren sind die Audi R8 nach ihren Reifenschäden. Und ein
Fahrzeug dieses Typs das noch unterwegs war, hat man aus dem Rennen
genommen. - Das ist verantwortungsvoll. - Dabei wusste man schon Wochen
vorher, was mit den Reifen auf diesem Typ passiert. Eigentlich war man
gewarnt. - Wird es nun überhaupt einen Einsatz beim 24-Stunden-Rennen
geben? - Die Rennteams wissen es nicht. - "Ganz oben" werden die
Entscheidungen getroffen, so hört man. - Aber da sitzen die Dummen, die
sowieso keine Ahnung haben.
Vorfälle, wie hier die Reifenschäden
unter bestimmten Umständen, hat es zu allen Zeiten gegeben. Sie sind im
"Labor" nicht nachzuvollziehen. Auch nicht mit Computerrechnungen. -
Aber ich denke, dass man die Fahrwerkeinstellung ändern kann. Nein, ich
meine nicht die Sturzwerte. Es gibt noch andere Parameter, die bei der
Beanspruchung eines Reifens eine besondere Bedeutung haben. Alle Jahre
wieder führt man zu diesem Thema die gleichen Diskussionen. Eigentlich
müsste man die Schwachpunkte kennen.
Aber Menschen lernen
immer nur in einer bestimmten Phase. Dann werden die "Ausgelernten"
durch "Neue" ersetzt. Und dort beginnt man dann wieder bei "Null". -
Eigentlich überflüssig. - Aber so ist nun mal das Leben. Alles hat
einmal ein Ende. Und es gibt einen Neuanfang.
Zunächst gilt es
aber mal zu diesem Prozess eine Einstellung zu finden. Dazu braucht man
Abstand. Den findet man nur über die Zeit.
Und Trost vielleicht
in dem Gedanken, dass dieser Mann, der an diesem Wochenende tödlich
verunglückte, im Moment seines Todes eigentlich sein Leben in der
glücklichsten Phase für ihn abschloss.
Das ist keine Phrase. -
Aber leider nur von dem zu verstehen, der sie selbst schon mal - aber
nicht bis "zur bitteren Neige" - erlebt hat. - Ich bin da nicht
"trotzdem" weiter gefahren, sondern weil ich nicht für den Rest meines
Lebens unglücklich sein wollte.
Jetzt bin ich es ein wenig, weil
ich mich wahrscheinlich nicht überzeugend verständlich machen kann. -
Denn eigentlich war das ein ganz normales Wochenende. Alles war so
normal wie immer. - Nur anders.
Wer lernt denn etwas daraus? MK/Wilhelm Hahne