80 Pkw und vier Lkw, 84 Autos krachen ineinander. Ein Sandsturm hatte in Sekunden jede Sicht genommen. War die Katastrophe unausweichlich? - Ich sage ja, weil die Bremsen der Automobile von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlicher Erfahrung bedient wurden. - Was macht man eigentlich am besten, wenn die Sicht - auch durch Nebel - plötzlich gegen Null tendiert?

Schon vor der Wiedervereinigung bin ich öfter in den Osten unseres Landes unterwegs gewesen. Überwiegend per Flugzeug. Mich nervte das Warten an der Zonengrenze. (Oder ich musste in einem Lamborghini unterwegs sein!) Ich erinnere mich noch deutlich an meine Eindrücke vom Flugzeug aus. War die Sicht gut, konnte ich deutlich und fehlerfrei feststellen, ob wir noch im Westteil unseres Landes oder schon im Osten unterwegs waren.  Der Westen, das war ein bunter Flickerl-Teppich von vielen bunten kleinen Feldern, manchmal so, als hätte man Briefmarken nebeneinander gelegt. Über dem Osten hatte man den Eindruck von einer großzügigen Aufteilung des Landbesitzes. Verglichen mit den "Briefmarken" blickte man hier auf DIN A4-Bögen. Und zog gerade ein Traktor über die Felder, so zog der vielleicht eine Staubfahne hinter sich her, wenn das Wetter trocken war. So ist bei mir bei der ersten Meldung von diesem unglaublichen Vorfall schon ein Bild vor meinen Augen erschienen und ich habe mich noch einmal mit Fachleuten in Verbindung gesetzt, um über die Möglichkeiten zu sprechen, die man in einer solchen Situation - vielleicht - als Fahrer hat.

Sandsturm auf der A 19

11-04-15/08 - Was da am 8. April vermeldet wurd, das war einer der ungewöhnlichsten und größten Massenunfälle die mir in Deutschland bekannt wurden. Acht Tote, 131 Verletzte, davon 22 schwer.

Wo ist der Unterschied zu einem Schlachtfeld? - Unsäglichges Leid geht davon aus, betrifft viele Familien in einer unvorstellbaren Weise. Hätte...? - Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Ich habe mal mit Fachleuten die Frage untersucht, ob es in einer solchen Situation für den normalen Autofahrer eine Chance gibt. - Nein. - Zumindest keine berechenbare. Entweder man hat Glück oder nicht.

Wie konnte es zu einem Sandsturm in Mecklenburg-Vorpommern kommen? Ähnliches kennt man nur aus der Sahara oder aus den 30er-Jahren in den USA, als Sandstürme aus dem mittleren Westen mehrfach den Himmel über New York verdunkelten. Die Ursache dort waren Monokulturen mit riesigen, abgeernteten und brach liegenden Feldern. In Folge wurden die Farmer dazu verpflichtet, Zwischenfrüchte z.B. Luzerne anzubauen, um der Austrocknung und der nachfolgenden Winderosion vorzubeugen. Lässt sich ähnliches auch in Mecklenburg-Vorpommern beobachten? Auch hier sind riesige Schlaggrößen die Regel. Sie sind Anfang April noch nicht bestellt, denn der Maisanbau beginnt frühestens Mitte des Monats.

Der Bauernverband, seines Zeichens der mächtigste Befürworter der Agrarindustrie, weist natürlich eine Mitverantwortung der Landwirtschaft entrüstet zurück. Bekommen wir hier einen kleinen Vorgeschmack davon, wie es sein wird, wenn sich die gesamte landwirtschaftliche Produktion in den Händen einiger weniger Investoren befindet, die nur noch Mais und Weizen für die nachwachsenden Rohstoffe produzieren? Wenn die fruchtbare Bodenkrume rücksichtslos ausgebeutet wird, bis nur noch trockener Sand übrigbleibt? Wenn aufgrund des Klimawandels sich lang anhaltende Trockenperioden mit sintflutartigen Regenfällen abwechseln, und den letzten Rest von Fruchtbarkeit auch noch davontragen oder wegschwemmen? "Jedem Landwirt muss das Herz bluten, wenn er sieht, wie die Ackerkrume davonweht", meint der Professor für Landschaftsarchitektur Mathias Grünwald. Man darf nicht vergessen, Investoren sind keine Landwirte und haben demzufolge andere Interessen als die langfristige Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit.

An dieser Stelle der A 19 gibt es rechts und links neben der Autobahn endlos wirkende Felder. Die Situation hat sich aber nach der Wiedervereinigung darum geändert, weil man die Büsche und Sträucher am Rande der Felder (zur A 19 hin) vor einiger Zeit alle entfernt hat, weil man die AUtobahn verbreitern wollte. Da können die Landwirte nur mit den Schultern zucken. Sie trifft keine Schuld. Sie bewirtschaften ihre FElder wie seit Jahrzehnten mit einer ähnlichen Fruchtfolge. - Aber nun fehlen Hecken und Büsche. - Ist das ihre Schuld?

Wir wollen - und können - diese Frage nicht beantworten, sie soll aber auch nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Vielmehr wollen wir uns näher mit der Mechanik von Massenkarambolagen beschäftigen.

Der Sicherheitsabstand

Wie groß müsste der Abstand zum Vordermann bzw. zur Vorderfrau sein um zu vermeiden, dass man bei einem plötzlichen Hindernis auf ihn aufprallt? Kommt ganz darauf an, ob man den Bremsweg des Vordermannes berücksichtigt oder nicht, wie schnell und heftig man in die Eisen steigt, und welche Verzögerung Fahrbahn und Fahrsituation zulassen. Der landläufig als Bremsweg bezeichnete Weg ist lediglich ein Teil des Anhalteweges. Dieser setzt sich vereinfacht aus drei Einzelkomponenten zusammen, als da sind
Der Reaktionsweg

Er ereignet sich innerhalb der Zeitspanne die man benötigt, um eine Situation zu erfassen, zu interpretieren und die Bremsung einzuleiten. Je nach Komplexität der Situation und der Routine des Fahrers vergehen dafür zwischen 0,5 und 2 Sekunden. In dieser Zeit rollt das Fahrzeug ungebremst dahin. Eine geringfügige Verzögerung findet allenfalls durch das Motorschleppmoment und durch Luft- und Rollwiderstand statt.

Der Schwellweg

Er beschreibt die Zeitspanne bis der volle Bremsdruck aufgebaut ist. Er hängt davon ab, wie beherzt der Fahrer das Bremspedal betätigt, und wie schnell die Bremsanlage den Fahrerwunsch dann umsetzt. Mit modernen Bremsanlagen ergeben sich Zeitspannen von ca. 0,2 bis 0,5 Sekunden. In dieser Zeitspanne kann man mit durchschnittlich halber Endverzögerung rechnen.

Der Bremsweg

In allen heutigen Fahrzeugen sind die Bremsen in der Lage, eine Verzögerung von ca. 0,8 bis 1 g umzusetzen (entsprechend 8 bis 10 m/s²). Er hängt lediglich davon ab, wie kräftig der Fahrer in die "Eisen steigt", und was der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn hergibt. Bei Nässe, Laub, Schnee und Eis und in der Kurve ist es entsprechend weniger. Im o.g. Fall muss man sicherlich gleichmäßig über die Fahrbahn verteilten Sand berücksichtigen. Die Schwankungsbreite der Verzögerung reicht erfahrungsgemäß von vier bis acht m/s².

Der Anhalteweg

Setzt man nun die erwähnten Grenzwerte für Zeit und Verzögerung für die einzelnen Phasen in die Formeln zur Berechnung des Anhalteweges ein, so erhält man die Ergebnisse für den günstigsten und den ungünstigsten Fall, im Technik-Jargon spricht man von  Best Case und Worst Case. genannt. Von besonderem Interesse ist natürlich der Worst Case, denn dieser tritt im Straßenverkehr wesentlich häufiger auf als der Best Case. Es lohnt sich deshalb, sich diesen Punkt näher anzuschauen, um evtl. Verbesserungsansätze daraus abzuleiten.

Zusammensetzung des Worst Case Anhalteweges bis 100 km/h

Im unteren Geschwindigkeitsbereich bis 80 km/h wird der Anhalteweg deutlich von der Fahrerreaktion beeinflusst. Oberhalb dieser Geschwindigkeit dominiert der reine Bremsweg. Daraus ergeben sich folgende Schlüsse: Im Stadtbereich ist die Reaktionszeit von enormer Bedeutung. Den in diesem Geschwindigkeitsspektrum durch eine "lange Leitung" verschenkten Weg macht auch ein noch so heftiger Tritt auf das Bremspedal nicht mehr wett. Was verursacht eine lange Reaktionszeit? Es ist vor allem der Überraschungseffekt durch Unaufmerksamkeit. Gründe für Ablenkungen gibt es in unseren modernen Automobilen, von elektronischen "Innovationen“ bestimmten Fahrzeugen reichlich.

Anhalteweg bei hoher Geschwindigkeit:

Der Vergleich der Anhaltewege im Geschwindigkeitsbereich oberhalb 100 km/h zeigt zwei Phänomene überdeutlich:
Zusammensetzung des Worst Case Anhalteweges bis 200 km/h

Hier wird der Unterschied zwischen Best Case und Worst Case deutlich von der Erfahrung und dem Können des Fahrers bestimmt.

Welcher Abstand?

Als Richtlinie für den Abstand zum Vordermann gilt allgemein "halber Tacho". Auch der Bußgeldkatalog orientiert sich an dieser Marke.

Kollisionsfreier Sicherheitsabstand

Leider sieht die Lage nur dann so günstig aus, wenn der "Verfolger" mindestens gleich gut bremst wie sein Vordermann, d.h. die gleiche oder eine höhere Verzögerung erreichen kann. Leider gibt es große Unterschiede. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass die wenigsten Fahrer das Bremspedal  kräftig genug für eine Vollverzögerung betätigen. Meistens reicht es gerade für die Hälfte. Unter der Annahme, dass eine Vollverzögerung 8 m/s² bedeutet, dann wäre die Hälfte lediglich 4 m/s².

Ein Gedankenexperiment:

Angenommen auf der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h fährt die Kolonne gleichmäßig dahin. Plötzlich erschrickt ein Fahrer, aus welchen Gründen auch immer, und tritt ohne ersichtlichen Grund auf die Bremse, nehmen wir an mit 4 m/s². Der Hintermann verarbeitet geistig gerade ein unangenehmes Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Seine Reaktionszeit auf die Bremsleuchten des Vordermannes beträgt so um 1 Sekunde. Als Verzögerung erreicht er den guten Wert von 8 m/s². 120 km/h entsprechen 33 m/s. In einer Sekunde bremst der Vordermann auf 29 m/s² ab und legt dabei 31 m zurück.

Frage: Wie groß muss also der Sicherheitsabstand sein, wenn keine Kollision erfolgen soll? - Antwort: 2 Meter.

Diese Antwort mag vielleicht überraschen. Sie ist aber nur deshalb so spektakulär, weil der Vorausfahrende mit 4 m/s² nur sehr verhalten bremst, im Gegensatz zum Verfolger mit 8 m/s².
Setzen wir das Gedankenexperiment weiter fort und überlegen uns, wie die Lage beim übernächsten Fahrzeug aussieht. Auch dessen Reaktionszeit betrage 1 Sekunde, weil der Fahrer soeben eine Nummer am Handy wählt oder anderweitig beschäftigt ist. Ablenkungsmöglichkeiten gibt es ja in modernen Fahrzeugen mehr als genug. Im Gegensatz zu seinem Vordermann schafft er aber gerade einmal eine Verzögerung von 4 m/s².

Bei dieser Konstellation lautet die Antwort auf die gleiche Frage wie oben:  65 Meter.

Was ist der Grund für diesen gewaltigen Unterschied? Es ist der bei höheren Geschwindigkeiten extrem hohe Einfluss der Verzögerung auf den Bremsweg und damit auf den Anhalteweg.

Problemfall Bremsassistent

Extrem kritisch spitzt sich die Situation zu, wenn in unserem Gedankenexperiment das Fahrzeug Nr. 1 über den sog. Bremsassistenten verfügt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn der Bremsassistent ist integraler Bestandteil des ESP. Fahrer Nr. 1 schreckt beispielsweise aus dem Sekundenschlaf hoch und betätigt reflexartig das Bremspedal. Nicht kräftig, aber sehr schnell. Damit hat er die Bedingungen für das Auslösen des Bremsassistenten erfüllt und das Fahrzeug legt eine Vollbremsung hin. Egal wie lange diese Vollbremsung anhält, um den Auffahrunfall zu vermeiden muss Fahrer Nr. 2 ebenfalls voll in die Eisen, ebenso wie alle nachfolgenden Fahrer. Bei mäßiger Verkehrsdichte kann die Sache noch glimpflich verlaufen und es kommt lediglich zum Ziehharmonikaeffekt und zu einem Phantomstau. Bei hoher Verkehrsdichte lässt der erste Unfall nicht lange auf sich warten, und aus dem Phantomstau wird ein echter, unfallbedingter Stau.

Das Abstandsverhalten

Die Empfehlung "halber Tacho" scheint in vielen Fällen zu funktionieren, wenn auch mehr schlecht als recht. Aber wer hält sich daran? Fast niemand. Die meisten Kolonnenfahrer halten auf der linken Spur einen wesentlich kleineren Abstand ein, aus verschiedenen Gründen.
Spielen wir das Spielchen noch einmal durch, diesmal mit verschärften Rahmenbedingungen. Angenommen Fahrer Nr. 3 hält statt 60 Metern nur einen Abstand von 30 Metern ein. (Im Bußgeldkatalog die niedrigste Stufe.) Bei sonst identischen Rahmenbedingungen kommt es unweigerlich zur Kollision zwischen Nr. 2 und Nr. 3. Die beiden blockieren die Autobahn. Alle nachfolgenden Fahrzeuge desselben Pulks kollidieren ebenfalls mehr oder minder heftig. Je nachdem, wie hoch der jeweilige Aufmerksamkeitslevel und die Verzögerungsleistung sind.

Die Lage kann sich sogar noch weiter zuspitzen. Angenommen ein Fahrer "pennt" und fährt ungebremst in die bereits stehenden Fahrzeuge. Dann  fehlt den Hintermännern die Bremslichtinformation, und sie haben nicht den Hauch einer Chance, den Unfall zu verhindern. Zumal ein bei schlechter Sicht stehendes Automobil ohne Bremslichtinformation den Eindruck eines fahrenden Autombobils vermittelt. Die Kollisionen nehmen an Heftigkeit dramatisch zu. - Man sollte den Rückwärtsgang einlegen, wenn man in einem Stau rechtzeitig zum Stehen kommt, weil das beim Nachfolgenden sozusagen reflexartig die richtige Information vermittelt.

Problemfälle SUVs, VANs und Kleintransporter

Der routinierte Fahrer beobachtet nicht nur das Fahrzeug unmittelbar vor ihm, sondern auch die davor befindlichen. Sobald irgendwo weiter vorne ein Bremslicht aufleuchtet, ist er gewarnt und sofort bremsbereit. Sitzt er in einer Limousine und fährt vor ihm ein SUV, ein VAN oder ein Kleintransporter, so ist er in seiner Vorausschau stark behindert. Eigentlich müsste man zu diesen Fahrzeugen einen besonders großen Abstand halten, was bei dichtem Verkehr aus den genannten Gründen schwierig ist. Die höhere Sitzposition verschafft den Fahrern der drei genannten Fahrzeugkategorien selbst einen guten Überblick – auf Kosten der meisten anderen Verkehrsteilnehmer. Hier sollte sich der Gesetzgeber überlegen, ob es nicht im Interesse der Verkehrssicherheit angebracht wäre, diesen Fahrzeugtypen einen größeren Sicherheitsabstand vorzuschreiben.

Nebel

Bereits ohne witterungsbedingte Einflüsse ist das Kolonnenfahren auf der Autobahn kritisch genug. Kommen aber noch Nebel oder wie im obigen Fall Sandstürme dazu, nimmt die Unfallgefahr dramatisch zu. Das Tückische z.B. an Nebelbänken ist, dass man ihnen die Gefahr nicht ansieht. Von weitem sehen sie gar nicht gefährlich aus. Erst wenn man drin ist stellt man mit Erschrecken fest, wie drastisch die Sichtweite urplötzlich eingeschränkt ist. Sichtweiten unter 50 Meter sind völlig normal, in besonders kritischen Fällen gehen sie runter bis auf 10 Meter.

Bremsen oder nicht bremsen?

Was tut man, wenn man in so eine Nebelbank eintaucht? Auf jeden Fall Bremsen, fragt sich nur wie heftig. Das kommt darauf an was einem lieber ist, auf den Vordermann aufzufahren oder den Hintermann auflaufen zu lassen. Im ersten Fall darf man nur sehr moderat bremsen. Wenn man Glück hat, bremst der vor einem Fahrende ebenfalls nur schwach, und der davor Fahrende hat ebenfalls nur sehr schwach gebremst usw. usw. Wenn man dann mit der Geschwindigkeit auf 50 km/h herunten ist, und die Schlusslichter des Vordermannes sieht, der mit der gleichen Geschwindigkeit dahinschleicht, kann sich der Puls wieder beruhigen. Das Schlimmste scheint überstanden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Fahrer pennt und einen Auffahrunfall verursacht ist natürlich riesengroß. Die einzige Hoffnung ist, dass dieses Ereignis weit genug von der Nebelgrenze entfernt ist, so dass man auch mit einer moderater Bremsung bereits genügend Geschwindigkeit abgebaut hat, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen.

Stehende Fahrzeuge

Besonders kritisch wird die Angelegenheit, wenn  sich das stehende Hindernis nicht durch Bremsleuchten bemerkbar macht, weil der Fahrer nicht mehr auf der Bremse steht oder weil wegen des Unfalls die Batterie vom Bordnetz getrennt wurde. Dann fällt das wichtigste Warnsignal weg und das bedeutet, man nimmt das stehende Hindernis erst nach einer bestimmten Reaktionszeit als solches wahr. Unsere Wahrnehmung spielt uns hierbei einen Streich, denn Fahrzeuge ohne Bremsleuchten interpretieren wir automatisch als bewegte Objekte. (Wie oben schon erwähnt)

Andererseits hat der Fahrer den Fuß bereits auf der Bremse. Die Reaktionszeit entfällt zumindest teilweise. Er muss "nur" kräftig genug Nachtreten. Angenommen die Verzögerung betrug 3 m/s². Dann muss so schnell wie möglich der Bremsdruck gesteigert werden auf eine Verzögerung von 8 bis 9 m/s². Das erfordert die dreifache Fußkraft! Sind dazu alle Fahrer in der Lage? - Aus bei der Funktion des Bremsassistenten weiß man, dass die allerwenigsten diesen Sprung in der Fußkraft schaffen. Und wenn eine Bremsung bereits stattfindet, kann man den Bremsassistenten kaum noch aktivieren, denn seine Auslöseparameter sind auf den Beginn des Bremsvorgangs ausgelegt.

Kettenreaktion

Angenommen, wir konnten mit viel Können und noch mehr Glück einen Auffahrunfall gerade noch vermeiden. Wir sind also wenige Meter hinter dem Unfall bzw. dem stehenden Objekt selbst zum Stehen gekommen. Was passiert jetzt? Mit großer Wahrscheinlichkeit scheppert es hinter einem. Wenn man Glück hat nur leicht, wenn man Pech hat, wird man auf den Vordermann katapultiert. Für die Versicherungen stellt sich dann die fast unlösbare Aufgabe abzuschätzen, wie hoch der selbstverschuldete Schadensanteil ist, und wieviel davon durch Fremdeinwirkung zustande kam. Denn meistens bleibt es nicht bei einem Crash, sondern auf den jeweils Letzten prallen im Sekundentakt weitere Fahrzeuge auf und führen zu einer weiteren Verdichtung.

Vorhin wurde festgestellt, dass es im Falle eines Unfalls für die nachfolgenden Fahrzeuge günstig ist, wenn dieser möglichst weit von der Nebelgrenze entfernt stattfindet. Angenommen, das erste Fahrzeug und alle Weiteren kommen im Abstand von 5 Metern zum Vordermann zum Stehen. Bei einer Fahrzeuglänge von ebenfalls 5 Metern wandert diese Grenze pro Fahrzeug um 10 Meter nach hinten in Richtung Nebelgrenze. Bei nur 10 Fahrzeugen sind das bereits 100 Meter. Man kann leicht ausrechnen, ab wie vielen Fahrzeugen für die Nachfolgenden ein Unfall praktisch unvermeidlich ist. Der Bremspunkt wandert immer weiter nach hinten, die erforderlichen Verzögerungen werden immer härter. Schließlich kann es sogar zu Auffahrunfällen schon vor der Nebelbank kommen.

Verhaltenshinweise

Was wäre also die bessere Alternative bei Auftauchen einer Nebelbank? Am günstigsten für alle Beteiligten wäre es, mit unverminderter Geschwindigkeit weiterzufahren, oder nur vom Gas zu gehen. Nur müsste man sich darauf verlassen können, dass sich alle daran halten. Der erste der bremst, stempelt die übrigen zu potentiellen Unfallverursachern. Auf diese Option darf man also nicht setzen.

Also doch so heftig wie möglich bremsen, auch auf die Gefahr hin, dadurch eine Kettenreaktion auszulösen und eine Massenkarambolage zu verursachen? Für einen selbst scheint es das Beste zu sein. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt, diese Vollbremsung einzuleiten? Wenn beim Vordermann die Bremslichter aufleuchten? Zu diesem Zeitpunkt hat man die Dramatik der Situation noch nicht durchschaut. Zwar geht der Fuß automatisch zur Bremse, aber von einer Vollbremsung ist man noch weit entfernt.
Erst wenn man selbst im Nebel steckt wird es spannend. Spätestens wenn man die Bremsleuchten des Vordermannes nicht mehr sieht wird es höchste Zeit für den kräftigen Tritt auf das Pedal. Das Ausgehen der Bremsleuchten kann nämlich zweierlei bedeuten. Entweder der Nebel ist so dicht geworden, dass man nicht mehr so weit sehen kann oder es hat bereits geknallt. - Hoffentlich springt der Bremsassistent an und bewirkt eine Vollverzögerung, was aber wegen der spezifischen Auslösefunktion unwahrscheinlich ist.

Prävention

Gibt es überhaupt eine Chance, einen Nebelunfall zu vermeiden und wie müssten die Autofahrer sich verhalten? Die drei wichtigsten Regeln lauten Abstand, Abstand, Abstand. Die nächste wichtige Botschaft heißt, runter mit der Geschwindigkeit bereits beim geringsten Verdacht. Und zwar deutlich weiter, als es gefühlsmäßig angebracht ist. Befindet man sich erst einmal im Nebel, unterschätzt man die eigene Geschwindigkeit dramatisch. Unser eigener, subjektiver Geschwindigkeitsmesser orientiert sich an Häufigkeit und Frequenz von Objekten auf der Fahrbahn und am Straßenrand, und beide Informationen sind plötzlich stark reduziert.

Assistenzsysteme

Existieren Sicherheits- und Assistenzsysteme, die in diesen Situationen helfen können? Ein Bremsassistent ist in bestimmten Situationen hilfreich, aber in einigen kritischen Fällen aber nicht mehr aktivierbar. Es sei denn, das Fahrzeug verfügt über einen Radarsensor, der den Abstand zum Vordermann permanent überwacht. Damit kann man den Fahrer warnen, die Auslöseschwellen des Bremsassistenten herabsetzen und die Bremsanlage zur Verminderung der Ansprechzeit vorkonditionieren. Im Extremfall kann man sogar eine automatische Vollbremsung einleiten, wenn sich ein Auffahrunfall anders nicht mehr vermeiden lässt. - Aber bei dieser Darstellung ist viel Theorie im Spiel.

Ein Tempomat mit Abstandsradar gewährleistet, wenn er eingeschaltet ist, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann. Wobei man im Falle von Nebel unterscheiden muss zwischen Radarsystemen und lasergestützten Systemen. Radarsysteme durchdringen den Nebel und können feststellen, was sich vorne abspielt. Für Laserstrahlen ist der Nebel undurchdringlich, was aber den Vorteil hat, dass man damit die Sichtweite bestimmen und entsprechend reagieren bzw. den Fahrer warnen kann. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Ideal ist eine Kombination beider Systeme. Problematisch sind aber nach wie vor die Erkennung stehender Objekte und die Stärke autonomer Bremseneingriffe.

Eine weitere Möglichkeit, solche Systeme zu nutzen wäre ein automatisches Nebelrücklicht, in der Signalwirkung verstärkt durch Blinken oder gesteigerte Strahlungsintensität. Bei bereits ereignetem Unfall kann man, sofern das Bordnetz noch aktiv ist, den Rückfahrscheinwerfer aktivieren (wie oben schon erwähnt) und dessen Signalwirkung für den nachfolgenden Verkehr nutzen. Zukunftsmusik sind die Ansätze von Car to Car Communication. Bis diese Systeme reibungslos funktionieren und alle Fahrzeuge darüber verfügen, werden noch einige Jahrzehnte ins Land gehen. Und es müssten alle über das System verfügen.
 
Unfallgegner LKW

Besonders dramatisch verlaufen die Unfälle immer dann, wenn LKW im Spiel sind. Die dort am Steuer tätigen Kraftfahrer sind ständig in Eile und fahren wenn möglich permanent mit der automatisch begrenzten Geschwindigkeit von 90 km/h. Von ihrer erhöhten Warte aus haben sie alles bestens im Griff. Deshalb fahren sie auch möglichst dicht auf den Vordermann auf, denn auf diese Weise kann man auch Kraftstoff sparen. Außerdem soll sich tunlichst kein PKW zwischen die LKW verirren, denn dann müsste der Fahrer ja vom Gas gehen, um den nötigen Sicherheitsabstand wieder herzustellen.

Eine Abschwächung des von Lkw´s ausgehenden permanenten Gefahrenmoments könnte man durch drei Maßnahmen erreichen:
Das Überholverbot ist längst überfällig, die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h schon länger in Diskussion. Und die Kosten für ein Abstandswarnsystem sind im Verhältnis zu den Unfallschäden und zum Wert eine LKW nur "Peanuts". Wobei denkbar ist, je nach Abstand ein mehr oder weniger lautes, nervendes akustisches Signal im Führerhaus ertönen zu lassen.

Woran also scheitern diese lebensrettenden Maßnahmen? Am Widerstand der Transportlobby? Am ADAC? Bricht etwa unser Just in Time Logistik-System zusammen? Nicht vergessen darf man das Versicherungsgewerbe. Die Angst vor Unfällen ernährt einen ganzen Industriezweig. Wenn plötzlich die Unfallzahlen stark zurückgehen würden, wie viele Arbeitsplätze wären dann in Gefahr? Wie kann man das offensichtliche Desinteresse der Versicherungsbranche in diesem Punkt an mehr Sicherheit sonst erklären?

Zusammenfassung

Wenn all' dieseÜberlegungen angestellt hat kann man sich nur wundern, warum auf unseren Straßen nicht noch wesentlich mehr Unfälle passieren. Das dicht gedrängte Kolonnenfahren bei höherer Geschwindigkeit birgt erhebliche Risiken, bedingt teils durch die technischen Unterschiede der einzelnen Fahrzeuge, teils durch die stark differierende Routine der Verkehrsteilnehmer.

Ziehharmonikaeffekte, Phantomstaus, Auffahrunfälle, Massenkarambolagen – so lauten die Eskalationsstufen auf der Autobahn, die trotzdem zu unseren sichersten Straßen gehören. Bei einer plötzlich auftauchenden Nebelbank oder „Sandbank“ ist bei dichtem Verkehr ein Massenunfall nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht zu verhindern.

Auch die gerade in jüngster Zeit vor allem werbetechnisch hoch gepriesenen Sicherheitssysteme können daran nichts ändern. Sie verschärfen höchstens die Lage für diejenigen, die nicht über derartige Systeme verfügen. Außerdem verführen sie den Fahrer zu noch sorgloserer Fahrweise – dieses Verhalten nennt sich dann "Risikokompensation"
.
Im Endeffekt kann man einem jeden nur raten, aufmerksam zu sein, Abstand zu halten, passiv und nicht aggressiv zu fahren, und präventiv lieber hundertmal umsonst zu handeln, als einmal zu spät.
MK/WH & Team

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