11-04-15/08
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Was da am 8. April vermeldet wurd, das war einer der ungewöhnlichsten
und größten Massenunfälle die mir in Deutschland bekannt wurden. Acht
Tote, 131 Verletzte, davon 22 schwer.
Wo
ist der Unterschied zu einem Schlachtfeld? - Unsäglichges Leid geht
davon aus, betrifft viele Familien in einer unvorstellbaren Weise.
Hätte...? - Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Ich habe mal
mit Fachleuten die Frage untersucht, ob es in einer solchen Situation
für den normalen Autofahrer eine Chance gibt. - Nein. - Zumindest keine
berechenbare. Entweder man hat Glück oder nicht.
Wie konnte es
zu einem Sandsturm in Mecklenburg-Vorpommern kommen? Ähnliches kennt
man nur aus der Sahara oder aus den 30er-Jahren in den USA, als
Sandstürme aus dem mittleren Westen mehrfach den Himmel über New York
verdunkelten. Die Ursache dort waren Monokulturen mit riesigen,
abgeernteten und brach liegenden Feldern. In Folge wurden die Farmer
dazu verpflichtet, Zwischenfrüchte z.B. Luzerne anzubauen, um der
Austrocknung und der nachfolgenden Winderosion vorzubeugen. Lässt sich
ähnliches auch in Mecklenburg-Vorpommern beobachten? Auch hier sind
riesige Schlaggrößen die Regel. Sie sind Anfang April noch nicht
bestellt, denn der Maisanbau beginnt frühestens Mitte des Monats.
Der
Bauernverband, seines Zeichens der mächtigste Befürworter der
Agrarindustrie, weist natürlich eine Mitverantwortung der
Landwirtschaft entrüstet zurück. Bekommen wir hier einen kleinen
Vorgeschmack davon, wie es sein wird, wenn sich die gesamte
landwirtschaftliche Produktion in den Händen einiger weniger Investoren
befindet, die nur noch Mais und Weizen für die nachwachsenden Rohstoffe
produzieren? Wenn die fruchtbare Bodenkrume rücksichtslos ausgebeutet
wird, bis nur noch trockener Sand übrigbleibt? Wenn aufgrund des
Klimawandels sich lang anhaltende Trockenperioden mit sintflutartigen
Regenfällen abwechseln, und den letzten Rest von Fruchtbarkeit auch
noch davontragen oder wegschwemmen? "Jedem Landwirt muss das Herz
bluten, wenn er sieht, wie die Ackerkrume davonweht", meint der
Professor für Landschaftsarchitektur Mathias Grünwald. Man darf nicht
vergessen, Investoren sind keine Landwirte und haben demzufolge andere
Interessen als die langfristige Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit.
An
dieser Stelle der A 19 gibt es rechts und links neben der Autobahn
endlos wirkende Felder. Die Situation hat sich aber nach der
Wiedervereinigung darum geändert, weil man die Büsche und Sträucher am
Rande der Felder (zur A 19 hin) vor einiger Zeit alle entfernt hat,
weil man die AUtobahn verbreitern wollte. Da können die Landwirte nur
mit den Schultern zucken. Sie trifft keine Schuld. Sie bewirtschaften
ihre FElder wie seit Jahrzehnten mit einer ähnlichen Fruchtfolge. -
Aber nun fehlen Hecken und Büsche. - Ist das ihre Schuld?
Wir
wollen - und können - diese Frage nicht beantworten, sie soll aber auch
nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Vielmehr wollen wir uns näher
mit der Mechanik von Massenkarambolagen beschäftigen.
Der SicherheitsabstandWie
groß müsste der Abstand zum Vordermann bzw. zur Vorderfrau sein um zu
vermeiden, dass man bei einem plötzlichen Hindernis auf ihn aufprallt?
Kommt ganz darauf an, ob man den Bremsweg des Vordermannes
berücksichtigt oder nicht, wie schnell und heftig man in die Eisen
steigt, und welche Verzögerung Fahrbahn und Fahrsituation zulassen. Der
landläufig als Bremsweg bezeichnete Weg ist lediglich ein Teil des
Anhalteweges. Dieser setzt sich vereinfacht aus drei Einzelkomponenten
zusammen, als da sind
- Reaktionsweg,
- Schwellweg und
- eigentlicher Bremsweg.
Der Reaktionsweg
Er
ereignet sich innerhalb der Zeitspanne die man benötigt, um eine
Situation zu erfassen, zu interpretieren und die Bremsung einzuleiten.
Je nach Komplexität der Situation und der Routine des Fahrers vergehen
dafür zwischen 0,5 und 2 Sekunden. In dieser Zeit rollt das Fahrzeug
ungebremst dahin. Eine geringfügige Verzögerung findet allenfalls durch
das Motorschleppmoment und durch Luft- und Rollwiderstand statt.
Der SchwellwegEr
beschreibt die Zeitspanne bis der volle Bremsdruck aufgebaut ist. Er
hängt davon ab, wie beherzt der Fahrer das Bremspedal betätigt, und wie
schnell die Bremsanlage den Fahrerwunsch dann umsetzt. Mit modernen
Bremsanlagen ergeben sich Zeitspannen von ca. 0,2 bis 0,5 Sekunden. In
dieser Zeitspanne kann man mit durchschnittlich halber Endverzögerung
rechnen.
Der Bremsweg
In
allen heutigen Fahrzeugen sind die Bremsen in der Lage, eine
Verzögerung von ca. 0,8 bis 1 g umzusetzen (entsprechend 8 bis 10
m/s²). Er hängt lediglich davon ab, wie kräftig der Fahrer in die
"Eisen steigt", und was der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn
hergibt. Bei Nässe, Laub, Schnee und Eis und in der Kurve ist es
entsprechend weniger. Im o.g. Fall muss man sicherlich gleichmäßig über
die Fahrbahn verteilten Sand berücksichtigen. Die Schwankungsbreite der
Verzögerung reicht erfahrungsgemäß von vier bis acht m/s².
Der Anhalteweg
Setzt
man nun die erwähnten Grenzwerte für Zeit und Verzögerung für die
einzelnen Phasen in die Formeln zur Berechnung des Anhalteweges ein, so
erhält man die Ergebnisse für den günstigsten und den ungünstigsten
Fall, im Technik-Jargon spricht man von
Best Case und
Worst Case. genannt. Von besonderem Interesse ist natürlich der
Worst Case, denn dieser tritt im Straßenverkehr wesentlich häufiger auf als der
Best Case. Es lohnt sich deshalb, sich diesen Punkt näher anzuschauen, um evtl. Verbesserungsansätze daraus abzuleiten.
Zusammensetzung des Worst Case Anhalteweges bis 100 km/hIm
unteren Geschwindigkeitsbereich bis 80 km/h wird der Anhalteweg
deutlich von der Fahrerreaktion beeinflusst. Oberhalb dieser
Geschwindigkeit dominiert der reine Bremsweg. Daraus ergeben sich
folgende Schlüsse: Im Stadtbereich ist die Reaktionszeit von enormer
Bedeutung. Den in diesem Geschwindigkeitsspektrum durch eine "lange
Leitung" verschenkten Weg macht auch ein noch so heftiger Tritt auf das
Bremspedal nicht mehr wett. Was verursacht eine lange Reaktionszeit? Es
ist vor allem der Überraschungseffekt durch Unaufmerksamkeit. Gründe
für Ablenkungen gibt es in unseren modernen Automobilen, von
elektronischen "Innovationen“ bestimmten Fahrzeugen reichlich.
Anhalteweg bei hoher Geschwindigkeit:
Der Vergleich der Anhaltewege im Geschwindigkeitsbereich oberhalb 100 km/h zeigt zwei Phänomene überdeutlich:
- Die progressive Zunahme des Bremsweges mit steigender Geschwindigkeit.
- Die Bedeutung einer optimalen Bremsleistung.
Zusammensetzung des Worst Case Anhalteweges bis 200 km/h
Hier wird der Unterschied zwischen
Best Case und
Worst Case deutlich von der Erfahrung und dem Können des Fahrers bestimmt.
Welcher Abstand? Als
Richtlinie für den Abstand zum Vordermann gilt allgemein "halber
Tacho". Auch der Bußgeldkatalog orientiert sich an dieser Marke.
Kollisionsfreier SicherheitsabstandLeider
sieht die Lage nur dann so günstig aus, wenn der "Verfolger" mindestens
gleich gut bremst wie sein Vordermann, d.h. die gleiche oder eine
höhere Verzögerung erreichen kann. Leider gibt es große Unterschiede.
Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass die wenigsten Fahrer das
Bremspedal kräftig genug für eine Vollverzögerung betätigen.
Meistens reicht es gerade für die Hälfte. Unter der Annahme, dass eine
Vollverzögerung 8 m/s² bedeutet, dann wäre die Hälfte lediglich 4 m/s².
Ein Gedankenexperiment:Angenommen
auf der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h fährt die
Kolonne gleichmäßig dahin. Plötzlich erschrickt ein Fahrer, aus welchen
Gründen auch immer, und tritt ohne ersichtlichen Grund auf die Bremse,
nehmen wir an mit 4 m/s². Der Hintermann verarbeitet geistig gerade ein
unangenehmes Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Seine Reaktionszeit auf
die Bremsleuchten des Vordermannes beträgt so um 1 Sekunde. Als
Verzögerung erreicht er den guten Wert von 8 m/s². 120 km/h entsprechen
33 m/s. In einer Sekunde bremst der Vordermann auf 29 m/s² ab und legt
dabei 31 m zurück.
Frage: Wie groß muss also der Sicherheitsabstand sein, wenn keine Kollision erfolgen soll? - Antwort: 2 Meter.
Diese
Antwort mag vielleicht überraschen. Sie ist aber nur deshalb so
spektakulär, weil der Vorausfahrende mit 4 m/s² nur sehr verhalten
bremst, im Gegensatz zum Verfolger mit 8 m/s².
Setzen wir das
Gedankenexperiment weiter fort und überlegen uns, wie die Lage beim
übernächsten Fahrzeug aussieht. Auch dessen Reaktionszeit betrage 1
Sekunde, weil der Fahrer soeben eine Nummer am Handy wählt oder
anderweitig beschäftigt ist. Ablenkungsmöglichkeiten gibt es ja in
modernen Fahrzeugen mehr als genug. Im Gegensatz zu seinem Vordermann
schafft er aber gerade einmal eine Verzögerung von 4 m/s².
Bei dieser Konstellation lautet die Antwort auf die gleiche Frage wie oben: 65 Meter.
Was
ist der Grund für diesen gewaltigen Unterschied? Es ist der bei höheren
Geschwindigkeiten extrem hohe Einfluss der Verzögerung auf den Bremsweg
und damit auf den Anhalteweg.
Problemfall BremsassistentExtrem
kritisch spitzt sich die Situation zu, wenn in unserem
Gedankenexperiment das Fahrzeug Nr. 1 über den sog. Bremsassistenten
verfügt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn der Bremsassistent ist
integraler Bestandteil des ESP. Fahrer Nr. 1 schreckt beispielsweise
aus dem Sekundenschlaf hoch und betätigt reflexartig das Bremspedal.
Nicht kräftig, aber sehr schnell. Damit hat er die Bedingungen für das
Auslösen des Bremsassistenten erfüllt und das Fahrzeug legt eine
Vollbremsung hin. Egal wie lange diese Vollbremsung anhält, um den
Auffahrunfall zu vermeiden muss Fahrer Nr. 2 ebenfalls voll in die
Eisen, ebenso wie alle nachfolgenden Fahrer. Bei mäßiger Verkehrsdichte
kann die Sache noch glimpflich verlaufen und es kommt lediglich zum
Ziehharmonikaeffekt und zu einem Phantomstau. Bei hoher Verkehrsdichte
lässt der erste Unfall nicht lange auf sich warten, und aus dem
Phantomstau wird ein echter, unfallbedingter Stau.
Das AbstandsverhaltenDie
Empfehlung "halber Tacho" scheint in vielen Fällen zu funktionieren,
wenn auch mehr schlecht als recht. Aber wer hält sich daran? Fast
niemand. Die meisten Kolonnenfahrer halten auf der linken Spur einen
wesentlich kleineren Abstand ein, aus verschiedenen Gründen.
- Erstens
besteht die Gefahr, dass ein Fahrzeug auf der rechten Spur die Lücke
als Aufforderung versteht und auf die linke Spur wechselt. LkW sind für
dieses Verhalten besonders anfällig und gefürchtet. Das bedauernswerte
"Opfer" eines solchen Manövers kann gut und gerne gefühlte 20 Kilometer
ein Elefantenrennen mit ungewissem Ausgang aus nächster Nähe beobachten.
- Zweitens
will man dem Vordermann seine Überholabsichten signalisieren. Er könnte
sonst leicht der irrigen Ansicht sein, man möchte nicht vorbei.
- Drittens
werden die Hintermänner ungeduldig und sitzen einem unangenehm im
Nacken, insbesondere wenn es sich dabei um Automobile ganz bestimmter
Marken handelt.
- Viertens
verliert man bei gut ausgebauten Autobahnen und Fahrzeugen der
gehobenen Klasse das Gefühl für die Geschwindigkeit. Man ist
gefühlsmäßig immer viel langsamer unterwegs als in Wirklichkeit. Der
Abstand zum Vordermann ist dementsprechend.
- Fünftens
kann es auch sein, dass gerade vor einem ein anderes Fahrzeug
eingeschert ist und man noch keine Zeit hatte, den richtigen Abstand
wieder herzustellen.
- Sechstens
lässt man sich bei Ziehharmonikaeffekten manchmal näher zum Vordermann
auflaufen, um nicht bremsen und dann sofort wieder beschleunigen zu
müssen.
Spielen wir das Spielchen noch einmal durch, diesmal
mit verschärften Rahmenbedingungen. Angenommen Fahrer Nr. 3 hält statt
60 Metern nur einen Abstand von 30 Metern ein. (Im Bußgeldkatalog die
niedrigste Stufe.) Bei sonst identischen Rahmenbedingungen kommt es
unweigerlich zur Kollision zwischen Nr. 2 und Nr. 3. Die beiden
blockieren die Autobahn. Alle nachfolgenden Fahrzeuge desselben Pulks
kollidieren ebenfalls mehr oder minder heftig. Je nachdem, wie hoch der
jeweilige Aufmerksamkeitslevel und die Verzögerungsleistung sind.
Die
Lage kann sich sogar noch weiter zuspitzen. Angenommen ein Fahrer
"pennt" und fährt ungebremst in die bereits stehenden Fahrzeuge.
Dann fehlt den Hintermännern die Bremslichtinformation, und sie
haben nicht den Hauch einer Chance, den Unfall zu verhindern. Zumal ein
bei schlechter Sicht stehendes Automobil ohne Bremslichtinformation den
Eindruck eines fahrenden Autombobils vermittelt. Die Kollisionen nehmen
an Heftigkeit dramatisch zu. - Man sollte den Rückwärtsgang
einlegen, wenn man in einem Stau rechtzeitig zum Stehen kommt, weil das
beim Nachfolgenden sozusagen reflexartig die richtige Information
vermittelt.
Problemfälle SUVs, VANs und KleintransporterDer
routinierte Fahrer beobachtet nicht nur das Fahrzeug unmittelbar vor
ihm, sondern auch die davor befindlichen. Sobald irgendwo weiter vorne
ein Bremslicht aufleuchtet, ist er gewarnt und sofort bremsbereit.
Sitzt er in einer Limousine und fährt vor ihm ein SUV, ein VAN oder ein
Kleintransporter, so ist er in seiner Vorausschau stark behindert.
Eigentlich müsste man zu diesen Fahrzeugen einen besonders großen
Abstand halten, was bei dichtem Verkehr aus den genannten Gründen
schwierig ist. Die höhere Sitzposition verschafft den Fahrern der drei
genannten Fahrzeugkategorien selbst einen guten Überblick – auf Kosten
der meisten anderen Verkehrsteilnehmer. Hier sollte sich der
Gesetzgeber überlegen, ob es nicht im Interesse der Verkehrssicherheit
angebracht wäre, diesen Fahrzeugtypen einen größeren Sicherheitsabstand
vorzuschreiben.
Nebel
Bereits
ohne witterungsbedingte Einflüsse ist das Kolonnenfahren auf der
Autobahn kritisch genug. Kommen aber noch Nebel oder wie im obigen Fall
Sandstürme dazu, nimmt die Unfallgefahr dramatisch zu. Das Tückische
z.B. an Nebelbänken ist, dass man ihnen die Gefahr nicht ansieht. Von
weitem sehen sie gar nicht gefährlich aus. Erst wenn man drin ist
stellt man mit Erschrecken fest, wie drastisch die Sichtweite
urplötzlich eingeschränkt ist. Sichtweiten unter 50 Meter sind völlig
normal, in besonders kritischen Fällen gehen sie runter bis auf 10
Meter.
Bremsen oder nicht bremsen?
Was
tut man, wenn man in so eine Nebelbank eintaucht? Auf jeden Fall
Bremsen, fragt sich nur wie heftig. Das kommt darauf an was einem
lieber ist, auf den Vordermann aufzufahren oder den Hintermann
auflaufen zu lassen. Im ersten Fall darf man nur sehr moderat bremsen.
Wenn man Glück hat, bremst der vor einem Fahrende ebenfalls nur
schwach, und der davor Fahrende hat ebenfalls nur sehr schwach gebremst
usw. usw. Wenn man dann mit der Geschwindigkeit auf 50 km/h herunten
ist, und die Schlusslichter des Vordermannes sieht, der mit der
gleichen Geschwindigkeit dahinschleicht, kann sich der Puls wieder
beruhigen. Das Schlimmste scheint überstanden.
Die
Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Fahrer pennt und einen Auffahrunfall
verursacht ist natürlich riesengroß. Die einzige Hoffnung ist, dass
dieses Ereignis weit genug von der Nebelgrenze entfernt ist, so dass
man auch mit einer moderater Bremsung bereits genügend Geschwindigkeit
abgebaut hat, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen.
Stehende Fahrzeuge
Besonders
kritisch wird die Angelegenheit, wenn sich das stehende Hindernis
nicht durch Bremsleuchten bemerkbar macht, weil der Fahrer nicht mehr
auf der Bremse steht oder weil wegen des Unfalls die Batterie vom
Bordnetz getrennt wurde. Dann fällt das wichtigste Warnsignal weg und
das bedeutet, man nimmt das stehende Hindernis erst nach einer
bestimmten Reaktionszeit als solches wahr. Unsere Wahrnehmung spielt
uns hierbei einen Streich, denn Fahrzeuge ohne Bremsleuchten
interpretieren wir automatisch als bewegte Objekte. (Wie oben schon
erwähnt)
Andererseits hat der Fahrer den Fuß bereits auf der
Bremse. Die Reaktionszeit entfällt zumindest teilweise. Er muss "nur"
kräftig genug Nachtreten. Angenommen die Verzögerung betrug 3 m/s².
Dann muss so schnell wie möglich der Bremsdruck gesteigert werden auf
eine Verzögerung von 8 bis 9 m/s². Das erfordert die dreifache
Fußkraft! Sind dazu alle Fahrer in der Lage? - Aus bei der Funktion des
Bremsassistenten weiß man, dass die allerwenigsten diesen Sprung in der
Fußkraft schaffen. Und wenn eine Bremsung bereits stattfindet, kann man
den Bremsassistenten kaum noch aktivieren, denn seine Auslöseparameter
sind auf den Beginn des Bremsvorgangs ausgelegt.
Kettenreaktion
Angenommen,
wir konnten mit viel Können und noch mehr Glück einen Auffahrunfall
gerade noch vermeiden. Wir sind also wenige Meter hinter dem Unfall
bzw. dem stehenden Objekt selbst zum Stehen gekommen. Was passiert
jetzt? Mit großer Wahrscheinlichkeit scheppert es hinter einem. Wenn
man Glück hat nur leicht, wenn man Pech hat, wird man auf den
Vordermann katapultiert. Für die Versicherungen stellt sich dann die
fast unlösbare Aufgabe abzuschätzen, wie hoch der selbstverschuldete
Schadensanteil ist, und wieviel davon durch Fremdeinwirkung zustande
kam. Denn meistens bleibt es nicht bei einem Crash, sondern auf den
jeweils Letzten prallen im Sekundentakt weitere Fahrzeuge auf und
führen zu einer weiteren Verdichtung.
Vorhin wurde festgestellt,
dass es im Falle eines Unfalls für die nachfolgenden Fahrzeuge günstig
ist, wenn dieser möglichst weit von der Nebelgrenze entfernt
stattfindet. Angenommen, das erste Fahrzeug und alle Weiteren kommen im
Abstand von 5 Metern zum Vordermann zum Stehen. Bei einer Fahrzeuglänge
von ebenfalls 5 Metern wandert diese Grenze pro Fahrzeug um 10 Meter
nach hinten in Richtung Nebelgrenze. Bei nur 10 Fahrzeugen sind das
bereits 100 Meter. Man kann leicht ausrechnen, ab wie vielen Fahrzeugen
für die Nachfolgenden ein Unfall praktisch unvermeidlich ist. Der
Bremspunkt wandert immer weiter nach hinten, die erforderlichen
Verzögerungen werden immer härter. Schließlich kann es sogar zu
Auffahrunfällen schon vor der Nebelbank kommen.
Verhaltenshinweise
Was
wäre also die bessere Alternative bei Auftauchen einer Nebelbank? Am
günstigsten für alle Beteiligten wäre es, mit unverminderter
Geschwindigkeit weiterzufahren, oder nur vom Gas zu gehen. Nur müsste
man sich darauf verlassen können, dass sich alle daran halten. Der
erste der bremst, stempelt die übrigen zu potentiellen
Unfallverursachern. Auf diese Option darf man also nicht setzen.
Also
doch so heftig wie möglich bremsen, auch auf die Gefahr hin, dadurch
eine Kettenreaktion auszulösen und eine Massenkarambolage zu
verursachen? Für einen selbst scheint es das Beste zu sein. Aber wann
ist der richtige Zeitpunkt, diese Vollbremsung einzuleiten? Wenn beim
Vordermann die Bremslichter aufleuchten? Zu diesem Zeitpunkt hat man
die Dramatik der Situation noch nicht durchschaut. Zwar geht der Fuß
automatisch zur Bremse, aber von einer Vollbremsung ist man noch weit
entfernt.
Erst wenn man selbst im Nebel steckt wird es spannend.
Spätestens wenn man die Bremsleuchten des Vordermannes nicht mehr sieht
wird es höchste Zeit für den kräftigen Tritt auf das Pedal. Das
Ausgehen der Bremsleuchten kann nämlich zweierlei bedeuten. Entweder
der Nebel ist so dicht geworden, dass man nicht mehr so weit sehen kann
oder es hat bereits geknallt. - Hoffentlich springt der Bremsassistent
an und bewirkt eine Vollverzögerung, was aber wegen der spezifischen
Auslösefunktion unwahrscheinlich ist.
Prävention
Gibt
es überhaupt eine Chance, einen Nebelunfall zu vermeiden und wie
müssten die Autofahrer sich verhalten? Die drei wichtigsten Regeln
lauten Abstand, Abstand, Abstand. Die nächste wichtige Botschaft heißt,
runter mit der Geschwindigkeit bereits beim geringsten Verdacht. Und
zwar deutlich weiter, als es gefühlsmäßig angebracht ist. Befindet man
sich erst einmal im Nebel, unterschätzt man die eigene Geschwindigkeit
dramatisch. Unser eigener, subjektiver Geschwindigkeitsmesser
orientiert sich an Häufigkeit und Frequenz von Objekten auf der
Fahrbahn und am Straßenrand, und beide Informationen sind plötzlich
stark reduziert.
Assistenzsysteme
Existieren
Sicherheits- und Assistenzsysteme, die in diesen Situationen helfen
können? Ein Bremsassistent ist in bestimmten Situationen hilfreich,
aber in einigen kritischen Fällen aber nicht mehr aktivierbar. Es sei
denn, das Fahrzeug verfügt über einen Radarsensor, der den Abstand zum
Vordermann permanent überwacht. Damit kann man den Fahrer warnen, die
Auslöseschwellen des Bremsassistenten herabsetzen und die Bremsanlage
zur Verminderung der Ansprechzeit vorkonditionieren. Im Extremfall kann
man sogar eine automatische Vollbremsung einleiten, wenn sich ein
Auffahrunfall anders nicht mehr vermeiden lässt. - Aber bei dieser
Darstellung ist viel Theorie im Spiel.
Ein Tempomat mit
Abstandsradar gewährleistet, wenn er eingeschaltet ist, einen
ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann. Wobei man im Falle von
Nebel unterscheiden muss zwischen Radarsystemen und lasergestützten
Systemen. Radarsysteme durchdringen den Nebel und können feststellen,
was sich vorne abspielt. Für Laserstrahlen ist der Nebel
undurchdringlich, was aber den Vorteil hat, dass man damit die
Sichtweite bestimmen und entsprechend reagieren bzw. den Fahrer warnen
kann. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Ideal ist eine
Kombination beider Systeme. Problematisch sind aber nach wie vor die
Erkennung stehender Objekte und die Stärke autonomer Bremseneingriffe.
Eine
weitere Möglichkeit, solche Systeme zu nutzen wäre ein automatisches
Nebelrücklicht, in der Signalwirkung verstärkt durch Blinken oder
gesteigerte Strahlungsintensität. Bei bereits ereignetem Unfall kann
man, sofern das Bordnetz noch aktiv ist, den Rückfahrscheinwerfer
aktivieren (wie oben schon erwähnt) und dessen Signalwirkung für den
nachfolgenden Verkehr nutzen. Zukunftsmusik sind die Ansätze von Car to
Car Communication. Bis diese Systeme reibungslos funktionieren und alle
Fahrzeuge darüber verfügen, werden noch einige Jahrzehnte ins Land
gehen. Und es müssten alle über das System verfügen.
Unfallgegner LKW
Besonders
dramatisch verlaufen die Unfälle immer dann, wenn LKW im Spiel sind.
Die dort am Steuer tätigen Kraftfahrer sind ständig in Eile und fahren
wenn möglich permanent mit der automatisch begrenzten Geschwindigkeit
von 90 km/h. Von ihrer erhöhten Warte aus haben sie alles bestens im
Griff. Deshalb fahren sie auch möglichst dicht auf den Vordermann auf,
denn auf diese Weise kann man auch Kraftstoff sparen. Außerdem soll
sich tunlichst kein PKW zwischen die LKW verirren, denn dann müsste der
Fahrer ja vom Gas gehen, um den nötigen Sicherheitsabstand wieder
herzustellen.
Eine Abschwächung des von Lkw´s ausgehenden permanenten Gefahrenmoments könnte man durch drei Maßnahmen erreichen:
- Generelles Überholverbot
- Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h
- Abstandswarnsysteme
Das
Überholverbot ist längst überfällig, die Geschwindigkeitsbeschränkung
auf 80 km/h schon länger in Diskussion. Und die Kosten für ein
Abstandswarnsystem sind im Verhältnis zu den Unfallschäden und zum Wert
eine LKW nur "Peanuts". Wobei denkbar ist, je nach Abstand ein mehr
oder weniger lautes, nervendes akustisches Signal im Führerhaus ertönen
zu lassen.
Woran also scheitern diese lebensrettenden Maßnahmen?
Am Widerstand der Transportlobby? Am ADAC? Bricht etwa unser Just in
Time Logistik-System zusammen? Nicht vergessen darf man das
Versicherungsgewerbe. Die Angst vor Unfällen ernährt einen ganzen
Industriezweig. Wenn plötzlich die Unfallzahlen stark zurückgehen
würden, wie viele Arbeitsplätze wären dann in Gefahr? Wie kann man das
offensichtliche Desinteresse der Versicherungsbranche in diesem Punkt
an mehr Sicherheit sonst erklären?
Zusammenfassung
Wenn
all' dieseÜberlegungen angestellt hat kann man sich nur wundern, warum
auf unseren Straßen nicht noch wesentlich mehr Unfälle passieren. Das
dicht gedrängte Kolonnenfahren bei höherer Geschwindigkeit birgt
erhebliche Risiken, bedingt teils durch die technischen Unterschiede
der einzelnen Fahrzeuge, teils durch die stark differierende Routine
der Verkehrsteilnehmer.
Ziehharmonikaeffekte, Phantomstaus,
Auffahrunfälle, Massenkarambolagen – so lauten die Eskalationsstufen
auf der Autobahn, die trotzdem zu unseren sichersten Straßen gehören.
Bei einer plötzlich auftauchenden Nebelbank oder „Sandbank“ ist bei
dichtem Verkehr ein Massenunfall nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten
nicht zu verhindern.
Auch die gerade in jüngster Zeit vor allem
werbetechnisch hoch gepriesenen Sicherheitssysteme können daran nichts
ändern. Sie verschärfen höchstens die Lage für diejenigen, die nicht
über derartige Systeme verfügen. Außerdem verführen sie den Fahrer zu
noch sorgloserer Fahrweise – dieses Verhalten nennt sich dann
"Risikokompensation"
.
Im Endeffekt kann man einem jeden nur
raten, aufmerksam zu sein, Abstand zu halten, passiv und nicht
aggressiv zu fahren, und präventiv lieber hundertmal umsonst zu
handeln, als einmal zu spät.
MK/WH & Team