98-08-10, Virneburg/Eifel

"Oh, Gott´chen",

habe ich mal eine nette Sekretärin in einer Fernsehserie immer wieder sagen hören. Das fiel mir ein, als ich in der letzten Woche nicht nur im "Spiegel" blätterte, sondern auch darin las. Und ich reagierte genauso wie die Sekretärin.

Und ich mußte wieder daran denken und "Oh, Gott´chen" sagen, als mich - natürlich auch in diesen Tagen - ein Kollege anrief, um mich zu fragen, was denn nun eigentlich ein Porsche GT 3 sei. (Ich hatte darüber in einer Geschichte über den Porsche Motorsport geschrieben.).

Aber er hat recht. Ich hätte schreiben sollen: Sensationell! - Porsche plant die supersportliche Variante des Porsche 996: den Carrera RS - natürlich nur in einer kleinen limitierten Sonderserie zu erhalten. Zählen Sie schon mal das Geld. Aber es wird ein wohlfeiler Kauf. Nur wenige werden ihn besitzen. Noch weniger werden ihn beherrschen. Und noch weniger werden glücklich mit ihm werden. Dem neuen Porsche Carrera RS. Er sieht aus wie der (noch unbekannte) neue Porsche Turbo. Echt geil. Die breiten Hüften, die gespreizten Räder. (Negativer Sturz.) Usw., usw. -

Und ich erwähne dann ein solch geiles Auto, eine solche Sensation, nur in einem Nebensatz. - Oh, Gott´chen. - Und wenn Sie jetzt wüßten, was sich bei den Entwicklungs-Tests mit diesem Fahrzeug herausgestellt hat... - "Oh, Gott´chen!"

Woher hätte der Kollege auch wissen sollen, was ein GT 3 ist? - Eigentlich ist der Nachrichtenredakteur und verhält sich so, wie das Herr Prof. Dr. Kocks an Journalisten schätzt.

Aber was ist daran falsch? - Schließlich spricht der Opel Aufsichtsratsvorsitzende, Hans Wilhelm Gäb, auch über die Tour de France und Doping im Radsport. Natürlich versteht der davon auch nichts. Aber er findet die richtigen Worte.

Aber ich finde es schon bedauerlich, wie der "Spiegel" einen guten, alten Freund bloßstellt. Wie kann man hinter dem Interview mit Herrn Gäb, wo der ganz naiv seine Vorstellungen von der heilen Radsport-Welt verbreitet, dann Herrn Hans Halter (ein paar Seiten weiter) die Wahrheit sagen lassen? -

Ja, ja - wer denkt noch an Lopez, an den guten Informationsfluß, wer denkt noch an die Korruptionsgeschichte bei Opel? - Und wie feinsinnig H. W Gäb mit S. Graf umging. - Und hat nicht Hans Wilhelm Gäb immer die richtigen Worte gefunden? (Vor den Fernsehkameras.) Und nun das?

Ich habe darüber nicht lachen können. Hans Wilhelm Gäb hat mein Mitgefühl. Natürlich hat er recht, wenn er sagt: "Das Unrechtsbewußtsein ist eben auf breiter Front verschwunden." Vielleicht auch bei Opel? - Mir fallen da gerade die rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Team Rosberg, dem Team Zakspeed, dem Team Joest ein. (Alles wurde vor der Öffentlichkeit ein wenig unter der Decke gehalten.) War das nicht eigentlich der Versuch einer Vorteilsnahme durch Ausnutzen von Abhängigkeiten? -Wieviele Millionen hat das eigentlich Opel gekostet? (Ich kann hier ja mal fragen. Opel antwortet mir ja nicht. - Vielleicht sollten meine Leser mal bei Opel nachfragen! - Herr Joest macht jedenfalls einen sehr zufriedenen Eindruck.)

Aber damit hat Herr Gäb sicherlich nichts zu tun. Da war er noch nicht Aufsichtsratsvorsitzender. Er beanstandet, daß andere "offensichtlich keine Kraft zu einer Selbstreinigung haben". - Recht hat er! - Und wenn er dann in den "Spiegel" schaut... - Hans Wilhelm Gäb hat mein Mitgefühl.

Und wenn dann pro Tag so um 10 (zehn) Hubschrauber in Bochum landen müssen, weil bei der Produktion des Astra... - "Oh, Gott´chen!" - "Oh, Gott´chen!"

Und wenn ich dann (von Rover) einen großen Briefumschlag erhalte (DM 3,-- Porto) in dem sich nichts (gar nichts!) befindet... - Und wenn dann bei meinem Provider die Kennung aus dem Computer rutscht und Motor-KRITIK einen guten Tag nicht mehr erreichbar ist... - Und wenn einer meiner Brüder dann eine A-Klasse kauft, damit ich das Fahrzeug besser beurteilen kann... - Und wenn Herr (Gast-Prof.) Dr. Kocks dann einzelne Buchstaben im Vorfeld einer Einladung zur Vorstellung des neuen LUPO verschickt... - Ein wenig Genf gehört halt dazu. (Sie lesen es in meiner "Lupo"/"Focus"-Namensrecht-Geschichte.) - Es ist eine irre Welt! - "Oh, Gott´chen!"

Es ist halt alles anders geworden. Alle sind schlauer, geschickter, anpassungsfähiger geworden. Nur ich habe nichts dazugelernt, habe bewußt darauf verzichtet. Auf vieles verzichtet. - Und fühle mich wohl dabei!. - "Oh, Gott´chen!"

Aber ich möchte hier der Chefredaktion einer großen Zeitschrift Beifall spenden, die ihre Redakteure davor warnte, die Einladung von Opel zu einer Reise anzunehmen, die eigentlich nichts mit Automobilen zu tun hatte. Oder aber man hält es für bedeutsam, daß ein Automobilhersteller hohe Millionensummen zur Förderung des Fußballsports ausgibt. Oder man findet Paris toll. - "Oh, Gott´chen!"

Was glaubt man eigentlich bei Opel? Nützen Sklaven vielleicht in einigen Fällen doch? - Nein, Herr Gäb weiß Bescheid. Wie sagte er doch zum Deal der ARD mit Telekom?: "Deutlicher läßt sich nicht dokumentieren, daß selbst einflußreiche Medien heute bereit sind, Teil des Geschäfts zu werden." - Aber nicht alle. - Aber dieser Ausspruch paßt recht gut zu einer Aktion eines guten alten Gäb-Bekannten aus der Düsseldorfer "Mittag"-Zeit. (Auch in meinen neuen Geschichten nachzulesen.)

"Oh, Gott´chen!" - Wie gut, daß ich nicht einflußreich bin.

Und einen schönen Tag noch.

Wilhelm Hahne