Lesen, denken und schreiben kann auch im Stau Spaß machen - und vertreibt die Zeit

Nachstehender Text ist tatsächlich im Stau entstanden. Ich hatte Zeit. Und ich hatte das von mir schon einmal vorgestellte Buch zur Hand: "Dummdeutsch" von Eckhard Henscheid (Reclam, ISBN 3-15-008865-8, DM 12,--). Und so habe ich auf der Rückseite einer Pressemitteilung dann das aufgeschrieben, was man sonst - in einer normalen Situation - wohl kaum aufschrieben hätte. Ich habe in einer unsinnigen Situation Unsinniges zu Papier gebracht. Jetzt brauchte ich es nur noch in den Computer zu tippen. Es hat mir nämlich auch noch nach Stau-Ende gefallen. Aus den verschiedensten Gründen. Vielleicht gefällt es Ihnen ja auch nur aus einem einzigen.

Stau-Erlebnis erzeugt Stau-Gedanken

98-12-12/04. Wann haben Sie zum letzten Mal gestaut? - Na ja, bei diesen winterlichen Verkehrsverhältnissen war es eigentlich kein Problem, mindestens einen Quick-Stau zu erleben.

Während andere - wie beobachtet - sofort zum Handy griffen, habe ich staunend (über mich selbst) nachgedacht, mich mit der deutschen Sprache beschäftigt. (s.o. "Dummdeutsch")

Eigentlich war Stillstand, aber es war nicht still. Die Motoren liefen, Auspuffe pufften. Also eigentlich war ich demnach in einem Stillbeschäftigungsprogramm, war Teil einer Stillgruppe. - Wenn es nicht so laut gewesen wäre.

Erlebte ich mehr einen Steh-Verkehr? -

Aber ich saß nicht in einem Smart, der bekanntlich für das Leben zu Zweit konzipiert ist. Und so stand ich wohl (aber mir war dabei unwohl) in einem Stau. Obwohl ich saß. Mir war auch kaum nach standig ovations. Eigentlich hatte ich die sinnliche Erfahrbarmachung von Freude am Fahren erleben wollen, aber es kam zu einer Paradigma-Verflüchtigung. - Würde ich nun ein Sinndefizit erleiden?

Das ist wohl auch mehr eine Frage der Simulations-Begrifflichkeit. Und je länger ich darüber nachdachte - weil der Stau weiter staute - desto klarer wurde mir, daß wir alle - die wir uns hier jetzt uns staunend stauten - eigentlich in einer Sicherheitspartnerschaft vereint waren.

Dabei saß ich eigentlich in einem für schnelle Fortbewegung entwickelten Überlebensbunker und war gerade dabei, durch die Veränderung einer normalen Verkehrssituation - nämlich vom Verkehrsfluß in den Stau - eine Qualifizierungsoffensive zu erleben, weil ich so in die Lager versetzt wurde, mich gedanklich so weiterzubilden, daß ich mit der immer weiter anwachsenden Stau-Freizeit etwas Vernünftiges anfangen konnte. Qualifizierten Blödsinn schreiben zum Beispiel. Auch in quantitativer Hinsicht. Im progressiven Fortbildungskreis des Staus konnten sich so praktisch neue postmateriellen Werte entwickeln.

Wenn es nur nicht so gestunken hätte. Und ich schaltete um auf die Innenumluftumwälzung. Damit penetrierte ich zwar die Zuführung von Sauerstoff, aber der war mir eben zu sauer geworden.

Vor mir tauchte plötzlich das Phantasma eines Parkleitsystems auf, das in ein Park and Ride System mündete. - Wirklich. Und ich trage sogar Stiefel. - Wo blieb das Pferd?

Durch meinen Stau-Stand, durch die übertrieben lange Still-Phase und letztlich durch die penetrierte Sauerstoffzufuhr kam es in meinem Denken praktisch zu einer Positions-Verzwirbelung, deren Dynamik unweigerlich jenen inzwischen automatisierten Teufelskreis spiraliger Paradigmen-Verflüchtigungen heraufbeschwören mußte, die es inzwischen jedem Mode-Autofahrer erlaubte, sich mit Hilfe einer mystifizierten Meta- und Simulationsbegrifflichkeit hinauf und hinab, hin und her, also offenbar im Kreis zu bewegen. - Selbst wenn er im Stau stand.

Doch dann hupte die Blondine hinter mir, erlöste mich damit aus meinem Stau-Bewußtsein, ließ mich wieder zu einem Teil des breit und füllig dahinfließenden Verkehrsflusses werden. Ich hatte mich strömungsübergreifend in Bewegung gesetzt.

Und ich erlebte dann den infernalischen Stellenwert jenes Glücksgefühls für mich, das ein Automobilhersteller aus Bayern mit Freude am Fahren bezeichnet. Ich war plötzlich vom Stau- zum Fahrneurotiker mutiert, war der Stammheimisierung eines Autofahrers anheimgefallen, war wieder flüssig in meinem rollenden Sicherheitsgefährt unterwegs. - Nun wieder mit Sauerstoffzufuhr.

Was wohl auch meinem Denken gut tat. Darum endet die Geschichte hier und jetzt. - Subito!

MK/Wilhelm Hahne