„Verdamp lang her“

Es gibt Automobile, die sind einfach Nutzfahrzeuge. Dazu gehört auch so manches Fahrzeug, das sich zur Gattung der Sportwagen zählen lässt. Es gibt aber auch solche, die man einfach nie vergisst. Dabei handelt es sich dann oft sogar um ganz unperfekte Schöpfungen. - Der Lamborghini Miura gehörte nicht dazu. Er hatte seine Macken, aber die wurden überdeckt von einer Ausstrahlung, die andere Sportwagen – vielleicht perfekter - niemals haben werden. Und so ist es für mich ein Bedürfnis, die nachfolgende Geschichte, im Jahre 1973 erlebt, auf schlechtem Papier in alten Mappen wiedergefunden, nun auf einer Computer-Festplatte zu verewigen. - Wir schreiben jetzt das Jahr 2017, inzwischen sind 44 Jahre vergangen, aber ich habe diese Fahrt mit dem Lamborghini Miura Jota ins Land seiner Väter nie vergessen. - Es gab auf den norditalienischen Autobahnen keine Leitplanken auf den Mittelstreifen, sondern niedrige Hecken. Ich saß als Fahrer in einem Jota so tief, dass ich z.B. in den schnellen Autobahn-Linkskurven dort eigentlich nicht sehen konnte, wer da vielleicht auch auf der linken Spur, aber langsam unterwegs war. Die Sitzposition in einem Jota war aber schon „serienmäßig“ so, dass man immer in einer „Allzeit-bereit-Position“ unterwegs war. - Beim Schreiben – 44 Jahre danach – fällt mir auf, dass ich mich nicht nur an diese Eindrücke, sondern auch an andere noch genau erinnern kann. - Dabei ist das…

"Verdamp lang her"

Auch Winterabende haben ihren Reiz. Wenn man zusammengekuschelt auf der Couch sitzt, die Wärme des Kachelofens spürt, einen guten Wein trinkt – und wie ich - gerade BAP hört.

Da dreht sich nun eine schwarze Scheibe auf dem Plattenteller und Wolfgang Niedecken singt von seinem besonderen Verhältnis zu seinem Vater: "Verdamp lang her". Dat is kölsch und würde ins Hochdeutsche übersetzt lauten: Verdammt lange her. Und ich komme ins Träumen und denke an so manche Geschichte, die für mich "verdamp lang her" ist.

Inzwischen ist Wolfgang Niedecken beim nächsten Titel und singt: "Ich däät dir jään saare, ich hing noch ahn dir, weil - do häss mich tatsächlich ens fasziniert." - Die Übersetzung ins Hochdeutsche: Ich würde dir gerne sagen, ich hänge noch an dir, weil - du hast mich tatsächlich einst fasziniert.

Ist es verzeihlich, wenn ich da - und im Zusammenhang mit "Verdamp lang her" - an den Lamborghini Miura denke? - Sie erinnern sich an dieses zeitlos schöne Automobil? Für mich war es schon in der normalen "SV"-Version "die Spitze vom Höhepunkt". Zwölfzylindermotor, vier Liter Hubraum, 385 PS Leistung und 1305 Kilogramm Eigengewicht, das waren die nüchternen technischen Eckdaten.

Aber diese Karosserie! - Aus welcher Richtung man auch blickte, die Linien hatten immer weiche Schwünge, waren harmonisch, brauchten keinen Chromballast. - Oh glückliches Italien! -

Hätten wir in Deutschland doch auch so begnadete Stylisten wie Bertone. Natürlich hatte Bertone beim Entwurf des Lamborghini Miura keine Rücksichten auf Raumökonomie zu nehmen brauchen. Aber wie er das machte! - So ein Miura wirkte auf mich wie eine schöne, intelligente Frau: einfach sexy.

Doch so, wie Marilyn Monroe mit ihrem aufregenden Hüftschwung nie mehr wiederkehren wird, so ist auch die Zeit des Lamborghini Miura endgültig vorbei. - "Verdamp lang her!"

Im Frühjahr 1973 lief in St. Agatha, einem kleinen Ort in der Nähe von Modena, der letzte Miura vom Band. Der Miura, nach einem berühmtenspanischen Kampfstier benannt, machte Platz für seinen futuristisch wirkenden Nachfolger, den Countach.

Signore Lamborghini, damals noch Motor dieser nach ihm benannten italienischen Sportwagenschmiede, war offensichtlich der weich geschwungenen Linien überdrüssig, ließ den Miura sterben.

Das hat viele Fans - nicht nur mich - traurig gestimmt. Einer dieser Fans war auch mein Bruder Hubert, damals noch Deutschland-Importeur für Lamborghini. - "Verdamp lang her!"

Bruder Hubert wollte damals noch ein Miura-Denkmal setzen, einen Miura, wie nicht nur er ihn sich immer erträumt hatte, mit Fahrleistungen, wie sie dem Serien-Miura oftmals angedichtet wurden und in einer Farbe, die seine ganze Trauer um das Sterben dieses Super-Sportwagens ausdrücken sollte: in Schwarz. - Ferrucio hatte für seinen Wunsch Verständnis. So wurde er dann auch nach den Vorstellungen meines Bruders ausgestattet.

Damit es nicht gar so traurig wurde, ließ er den Innenraum und die Sitze in weißes Leder kleiden, ein Formel 1-Lenkrad, zwei Stoppuhren und neben der sowieso an Instrumenten reichen Serienausstattung auch noch einen Feuerlöscher einbauen.

Doch er verzichtete auf alle geräuschdämpfenden Materialien. Leicht sollte er werden, der letzte Miura, den Signore Lamborghini JOTA taufte. Leicht wurde er auch durch dünne Alubleche an Vorder- und Motorhaube. Eine noch bessere Verzögerung wurde durch den Einbau von größeren, innenbelüfteten Scheibenbremsen möglich. Die Karosserie wurde gegenüber der Serienversion noch etwas tiefer gelegt, die Federung wurde noch sportlicher, härter und die Dämpfung noch straffer. Alles eindeutiger, kompromissloser.

So konnte man dem Zwölfzylinder-V-Motor, dessen Hubraum mit 3929 ccm unverändert blieb, auch unbesorgt ein wenig mehr PS einhauchen. Genau 440 DIN-PS waren es, die den nun 1100 Kilogramm leichten Miura Jota einfach nach vorne katapultierten, wenn sie nicht von einem besonnenen Fahrer gefühlvoll eingesetzt wurden.

Ich war vorher oft in St. Agatha gewesen, kannte die Stationen der Produktion dieses – heute würden wir sagen - „handgefertigten“ - Sportwagens. An einer Stelle wurden z.B. die Pleuel ausgewogen, exakt für jeden Motor auf das gleiche Gewicht gebracht.

Jeder dieser Zwölfzylindermotoren wurde auf einem Prüfstand „eingefahren“, das heißt, das er zunächst stundenlang mit einem Fremdantrieb in Bewegung gesetzt wurde, während er von Öl durchströmt war, so dass vor dem ersten Starten auch das letzt Metallspänchen entfernt war.

Ich erinnere mich sehr gut, dass mein Bruder seinen Traumwagen im Mai 1973 erhielt. Und es war nicht nur sein Traumwagen. - Damals. - Auch ich träumte wirklich davon, den Jota einmal über eine längere Strecke bewegen zu dürfen.

Und dann - durch glückliche Umstände - mit einem Lottogewinn vergleichbar, konnte ich mit dem Miura Jota nach Italien reisen. Ich konnte mit diesem Wunder-Stier ins Land seiner Väter "fliegen". - Es it "verdamp lang her", aber unvergesslich.

Am Abend vor meiner Reise hatte ich ihn mit genauer „Gebrauchsanweisung“ von meinem Bruder übernommen. Am frühen Morgen des nächsten Tages schien der schwarze Jota schon auf mich zu warten. Schnell die kleine Reisetasche in den Kofferraum - auch so etwas gab's beim Jota - und dann begann die Verwandlung von einem Auto- in einen Miura-Fahrer.

Der gut geformte Schalensitz umfasst mich fest, ich greife zu den Hosenträgergurten und es beginnt die Zeremonie des Anschnallens. Nach einem letzten Nachspannen der Gurte bin ich mehr als nur Fahrer und Lenker dieses Supersportwagens geworden: ich bin Einbauteil - und ein wichtiges noch dazu.

Der Fahrer des Jota haucht dem toten Metall erst Leben ein, ist seine Seele, sein Charakter. Es wäre nicht gut, wenn er der schlechte Charakter dieses Jota wäre. Im Kopf des Miura-Fahrers müssen Erfahrungswerte gespeichert sein, eine Menge Erfahrungswerte, die je nach Bedarf automatisch abgerufen werden und in entsprechende Reaktionen umgesetzt es erst möglich machen, ohne Gefährdung des Fahrers - und anderer Verkehrsteilnehmer - zuverlässig und schnell den angesteuerten Zielort zu erreichen.

Nun eine kleine Drehung am Zündschlüssel und nervös beginnt die elektrische Benzinpumpe den Kraftstoff vom vorne liegenden 110 Liter-Tank zu den Vergasern zu befördern. Sie rasselt so nervös, als habe sie Angst, dass der Fahrer ihr mit dem Startvorgang zuvorkommen könne. Aber dann beruhigt sie sich, tickt langsamer und das ist das Zeichen für mich, nun den Zündschlüssel weiter zu drehen, nachdem ich kurz mit dem rechten Fuß durch ein Durchtreten des Gaspedals ein wenig Benzin in die Brennräume der zwölf Zylinder gespritzt habe, denn: einen Choke gibt es beim Miura Jota nicht.

Nach ein paar Umdrehungen der Kurbelwelle durch den Anlasser springt der Motor an. Jetzt bitte kein Gas geben, sondern den Motor im Leerlauf drehen lassen, bis dass der Öldruck voll da ist. Ein Blick nach rechts auf das in der Mittelkonsole platzierte Kontrollinstrument zeigt: OK! - Jetzt den Motor noch einen kleinen Moment im Leerlauf weiterdrehen lassen, bis man als Fahrer sicher ist, dass das Öl auch wirklich alle Schmierstellen – auch die der vier oben liegenden Nockenwellen - erreicht hat.

Ein solcher, damals - et is "verdamp lang her" - an dem Jota zelebrierter Startvorgang würde auch jedem normalen Mittelklassewagen gut tun. Es ist eigentlich erstaunlich, wie mir jedes Detail meiner damaligen Jota-Fahrt im Gedächtnis haften geblieben ist. Es ist bei mir alle "so frisch" geblieben, wie z.B. meine Erinnerung an den allerersten Kuss.

Beim Auskuppeln spürte mein linker Fuß, dass diese Jota-Kupplung nicht mit einer VW-Kupplung zu vergleichen ist. Man braucht Kraft. Es ist eine Kupplung für Männerbeine. Auch der rechte Fuß wurde stärker beansprucht als in einem normalen Automobil. Ich spürte deutlich den Widerstand der Rückholfedern von sechs WEBER-Doppelvergasern.

Dann - der erste Gang eingelegt und bei Leerlaufdrehzahl (1.000 U/min) die Kupplung langsam einrücken lassen. "Bitte keine Kupplungsstarts", hatte mich mein Bruder gebeten und ich hielt

mich dran. Warum auch anders? - Der Miura Jota war kein Automobil für Top-Beschleunigungsversuche von Null auf 100 km/h. Im "Notfall" würde er diese Aufgabe zwar in weniger als vier Sekunden lösen, aber: Miura-Fahrer sind keine Ampel-Lauda's und als Jota-Fahrer im normalen Straßenverkehr unterwegs, musste man das auch nicht sein.

So brummelte ich mit 2.000 U/min im fünften Gang der nächsten Autobahnauffahrt entgegen. "Bitte erst drehen lassen, wenn mindestens 60 Grad Öltemperatur erreicht sind", hatte mein Bruder mich gebeten. Natürlich dauerte das seine Zeit, denn genau 16 Liter Öl - gegenüber 12,6 Liter beim "normalen" Miura - mussten beim Jota angewärmt werden.

Ich weiß noch genau, dass die Wassertemperatur sehr schnell bei 80 Grad war, aber die zum schonenden Schnellfahren notwendigen 60 Grad Öltemperatur waren erst nach rd. 25 Minuten Fahrzeit erreicht.

So lange bin ich mit 3.000 U/min über die Autobahn gebummelt. Das sind - entsprechend der Hinterachsübersetzung des Jota, die auch von der Serie abwich - gut 125 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit waren die Fahrgeräusche noch definierbar.

Da ist z.B. das Laufgeräusch von Teller- und Kegelrad im Differential. Es scheint aus der Gegend meiner linken Niere zu kommen, denn die Geräusche des quer hinter dem Fahrer eingebauten Motor und Getriebes sind im Jota – anders als beim Serien-Miura - durch eine leichte Trennwand nur unwesentlich gedämpft. So höre ich auch beim Auskuppeln die Belastung des Kupplungdrucklagers deutlich, beim Beschleunigen das imponierende Ansauggeräusch, höre das sich abhängig von der Fahrbahnoberfläche sich ständig verändertende Abrollgeräusch der Reifen.

Aber alles ist nur bis 3.000 U/min einzeln definierbar. Ab 5.000 U/min verschmelzen dann die Geräuschzutaten zu einer eindrucksvollen Geräuschsymphonie. Und zum Hören kommt jetzt für den Fahrer noch das Fühlen.

Das kleine Lederlenkrad von Formel 1-Format vermittelt in Verbindung mit einer sehr direkt übersetzten Zahnstangenlenkung unverwässerten Strassenkontakt. Ich spüre jede Querrille, jede Unebenheit und die erforderlichen Lenkkorrekturen, die bei schneller Kurvenfahrt auftretenden Lenkkräfte, erfordern festes Zupacken.

Nach knapp einer Stunde Fahrzeit tut's dann einen Schlag. Ich habe mit 5.000 U/min dahinfliegend (echte 212,5 km/h), der Tachometer zeigt 240 an, mit dem linken Vorderrad ein kleines, kantiges Metallstück - oder eine größere Schraube - überfahren. Und Bruchteile von Sekunden später zerrt der Jota energisch nach links. Weitere Sekundenbruchteile später - mein Fuß war längst vom Gas gegangen - war der Jota nur durch sehr energisches Zupacken auf Kurs zu halten. - Reifenpanne! -

Der Rest war Routine: scharf rechts parken, Warnblinkanlage, Warndreieck, Wagenheber. Etwas ungewohnt der Zentralverschluss, das Lösen mit dem Hammer. Aber dann ging es schnell. Reifenwechsel. Fertig!

Wie lange das dauerte? - Das ist für den Fahrer eines solchen Automobils unwichtig. Bei einem solchen Automobil, mit solch überlegenen Fahrleistungen zählt die Zeit kaum noch. Sie ist unwesentlich geworden. Schnell genug ist man immer.

Ganz unter uns: Der Reifenwechsel dauerte so um zwei Stunden. - Weil ich ein Reserverad aus der Werkstatt in Düsseldorf kommen lassen musste. Der Jota hatte "serienmäßig" kein Reserverad. Es war einem größeren Tank geopfert worden. Und wann hat man schon mal eine Reifenpanne? - Es gibt übrigens auch keine gesetzliche Vorschrift, die in Deutschland das Mitführen eines Reserverades vorschreibt!

Mir war das alles egal. Was für mich in diesem Falle wirklich zählte, war das Fahrerlebnis. Und das wird nicht bestimmt vom Reserverad. Aber auch nicht vom "Rausch der Geschwindigkeit", wie man immer wieder lesen kann. Blödsinn! - Zwar ist die mit einem Jota erreichbare Höchstgeschwindigkeit mit knapp 330 km/h bei 7.500 U/min für einen normalen Autofahrer abenteuerlich hoch, aber die Qualität des Fahrwerks und die Dimensionen der Bremsen stehen in Relation dazu.

Aus meiner Sicht war es damals - "verdamp lang her" - in der Praxis sicherlich abenteuerlicher, mit einem SEAT von 770 cccm bei böigem Seitenwind mit Vollgas (110 km/h) geradeaus zu fahren, als mit einem Jota mit der dreifachen Geschwindigkeit. Natürlich sollte man aber dazu schon über etwas Erfahrung und Reife verfügen.

Colin Chapman, der Ex-Weltmeistermacher von Lotus hat einmal gesagt: "Das beste Alter für einen Formel 1-Fahrer liegt bei 30 Jahren, plus/minus drei Jahre." Sollte ich das auf den Fahrer eines schnellen Serien-Sportwagen auf der Straße übertragen, so würde ich sagen: Sein ideales Alter liegt bei 40 Jahren, plus/minus 5 Jahren.

Doch weiter auf meiner "Stierfahrt" nach Italien. -

Nachdem die entsprechende Öltemperatur wieder erreicht war, habe ich jetzt bis 6.000 U/min gedreht. Natürlich nur, wenn es die Verkehrsverhältnisse auf der deutschen Autobahn zuließen. Immerhin sind das echte 255 km/h. Der Tachometer schwindelte mir damals vor, etwas über 280 schnell zu sein.

Solche Geschwindigkeiten, gleich ob nun 255 oder 285, sind sicherlich in Relation zu den 1973 auf deutschen Autobahnen gefahrenen Spitzengeschwindigkeiten hoch, waren für einen Lamborghini Jota aber eine ganz normale Reisegeschwindigkeit. Selbstverständlich werden beim Fahren solcher Geschwindigkeiten besondere Anforderungen an den Lenker eines solchen Sportwagens gestellt. Er muss nicht nur die im Moment vorhandene Verkehrslage klar überblicken können, er muss auch über ausreichende Erfahrung und Phantasie verfügen, um sich vorstellen zu können, wie sich die Verkehrssituation vor ihm entwickelt hat, wenn er Sekunden später an ihr beteiligt ist.

Er hat auch ein Fehlverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer in Rechnung zu stellen. Und es ist immer nur eine kurze Zeit, die ihm zum Handeln, zum Reagieren, zum Anpassen bleibt. Bei echten 250 km/h legt man in einem Jota, nur zehn Zentimeter über der Fahrbahn sitzend, 69,5 Meter in der Sekunde zurück. Aber selbstverständlich fährt man mit einem solchen Sportwagen nicht stur 250 km/h. Wenn eine Verkehrssituation nicht ganz klar ist, geht man vom Gas. - Was soll's? - Den Zeitverlust holt man mit so einem schnellen Sportwagen schnell wieder auf.

In einem solchen Sportwagen fällt es mir immer besonders leicht, die auf deutschen Autobahnen herumstehenden Verkehrsschilder, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100, 80 oder gar 60 km/h begrenzen, exakt einzuhalten. Ich empfinde das schnelle Reisen in einem modernen

Hochleistungs-Sportwagen immer als Erholung. Man ist so überlegen, dass es wirklich sehr leicht fällt, z.B. auf die Fahrer langsamer Automobile Rücksicht zu nehmen. Es ist eigentlich bedauerlich, dass durch unsere (damalige) "Energiekrise" der Trend zu den hubraumkleineren Wagen ging. Mehr hubraumgrössere Automobile würden auf so manche Verkehrssituation entkrampfend wirken, den Fahrer abgeklärt reagieren lassen.

Und es stimmt auch gar nicht, dass ein hubraumgrößerer Motor besonders viel Benzin verbraucht. Das hängt auch vom Gewicht des Fahrzeuges, dem Umgang mit dem Gaspedal ab. - Übrigens: nach meinen Aufzeichnungen von "damals" lag der Durchschnittsverbrauch des Lamborghini Jota auf meiner schnellen Reise nach Italien bei 18 Liter/100 km.

Sicher, ich bin schon drehzahlarm gefahren. Es war aber auch niemals notwendig, beim Beschleunigen aus niedrigen Geschwindigkeiten (so um 130 km/h) auf 200 km/h und mehr, zurückzuschalten. Auch an Steigungen nicht. Ich habe es damals gemessen. An einer Autobahnsteigung beschleunigte ich den Jota von 100 auf 200 km/h im fünften Gang in 19 Sekunden.

Damals habe ich als Fahrer fast einen höheren Verbrauch gehabt, als mein Jota. Es war sommerlich heiss und im Wageninneren werden es so um 60 Grad gewesen sein. Der Jota verfügte aus Gewichtsgründen über keine Klimaanlage. - So musste ich spätestens bei jedem Tankaufenthalt einen Liter Mineralwassernachtanken.

Auf der Autostrada in Richtung Modena war es dann risikolos möglich, bis etwas über 6.500 U/min zu drehen. Das entspricht dann echten 280 km/h. Der Tachometer zeigt dann schon leicht über 300 km/h. Um diese Geschwindigkeit zu erreichen, musste ich im Lamborghini Jota nicht warten, man spürt auch im Bereich über 200 km/h die Beschleunigung noch, wird leicht in den Sitz gepresst.

Erinnern Sie sich noch an einen aktuellen Renntourenwagen der damaligen Zeit? - Et is "verdamp lang her" - Den Werks-Capri z.B. wie er von Dieter Glemser (oder auch Jochen Mass) gefahren wurde. Der hatte 320 PS und wog 930 Kilogramm, hatte also 2,9 Kilogramm pro PS zu beschleunigen. Bei meinem Jota waren es nur 2,5 Kilogramm. Kein Wunder, dass dieser Lamborghini auch im oberen Geschwindigkeitsbereich einem Renn-Capri überlegen gewesen wäre.

Aber im Grunde genommen sind - damals - beides keine Fahrzeuge für normal Sterbliche gewesen. Dafür sorgte auch schon der Preis. Obwohl der – aus heutiger Sicht - unheimlich günstig war. Dieser Jota kostete damals etwas mehr als 100.000 Mark.

Für so wenig Geld gab's damals - 1973 - an dem Jota dann schon einen richtigen Frontspoiler. So ein aerodynamisches Hilfsmittel gab's beim Serien-Miura damals noch nicht. Die Auswirkungen waren aber in der Lenkung deutlich spürbar. Während die Lenkung im Serien-Miura im oberen Geschwindigkeitsbereich ein wenig "weich" wurde, blieb sie beim Jota unverändert, vermittelte auch hier einen guten Kontakt zur Strasse.

Eine jede Reise geht einmal zu Ende. Auch meine Traumfahrt damals, mit einem der schnellsten käuflichen Automobile dieser Welt. - Damals! - Nach meinen Aufzeichnungen brauchte ich 10 Stunden und 30 Minuten für 1286 Kilometer.

Den Reifenwechsel allerdings nicht mit eingerechnet, aber das Tanken, die Pausen an Grenzübergängen, die Aufenthalte an Maut- und Zahlstellen für - z.B. - die Autostradagebühr. Und natürlich einschließlich der Essenspause. Ich erinnere mich, in der Nähe von Bozen... - Aber die Schilderung meines hervorragenden Essens gehört wirklich nicht hierher.

Aber etwas anderes: Die Reise mit diesem Super-Sportwagen ist auch deshalb so stark in meiner Erinnerung geblieben, weil es eine der wenigen langen Autoreisen meines Lebens war, bei der sich während der Fahrt keine Aggressionen aufgebaut hatten, wo mich das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht geärgert hat, wo ich zwar konzentriert, aber trotzdem entspannt, sozusagen mit einem "inneren Lachen" Auto gefahren bin.

Ich musste, in St. Agatha angekommen, daran denken, was mir meine Tochter am Abend vor der Abreise gesagt hatte, als sie zum ersten Male den Jota erblickte: "Auf mich wirkt der wie ein Tier." -

Sie hatte recht. Der Jota war wie ein gutmütiges Tier, ein Haustier. Man muss aber wissen: Tiere sind von Natur aus niemals schlecht; schlecht werden sie erst durch die falsche Behandlung durch den Menschen.

Der Plattenspieler (ein „Technics“ mit Tangentialarm!) hat sich längst automatisch abgestellt, während ich an "alte Zeiten" dachte. An damals. An das wunderschöne Fahrerlebnis mit dem Lamborghini Jota.

Et is "verdamp lang her".

MK/Wilhelm Hahne

PS: Ein Leser hat mich auf die Idee gebracht, diese Lamborghini-Geschichte noch mal auszugraben. Er hat mich darum gebeten, sie dann aber so einzustellen, dass sie für alle Leser erreichbar ist. - Er konnte sich an die allererste Version erinnern, die 1973 im „Kicker“ veröffentlicht wurde. - Nun für Alle auf den Motor-KRITIK-Internetseiten! - Weil Karneval ist ! :-)

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