„Es war einmal…“: MÜNCH‘s Geschoss

Für Motorradfahrer waren „damals“ 100 PS-Motorräder eine Sensation. Eine Messlatte war in dieser Zeit - gegen Ende der 60er Jahre - die Honda CB 750, eine Vierzylinder mit 68 PS. Ich fuhr in Deutschland die erste straßenzugelassene Maschine dieses Typs. Ich bin dann in den 70ern praktisch alle bedeutenden Motorräder gefahren, die es „damals“ auf dem Weltmarkt gab. „Ich war zu dieser Zeit „Ressortleiter Motorrad“ bei der „Auto-Zeitung“ in Köln. Mit mir gab es da in jeder Ausgabe einen Motorradteil, so um 8 – 10 Seiten stark. - Da ich ein echter Motorrad-Freak war, wusste ich auch was andere dieser Gattung interessierte. Es gab für mich keinen „Dienst nach Vorschrift“, darum war ich mit diesem Motorradteil auch erfolgreich. - Nach meinem Weggang bei der „Auto-Zeitung“ hat der sich dann nicht mehr lange gehalten. - Ich erinnere mich, dass ich damals mal bei Friedel Münch war, weil der – bei den kleinen gefertigten Stückzahlen – natürlich keine Testmaschinen hatte, die man wochenlang bewegen konnte und ich von ihm ein Motorrad erhielt, das ich dann schon beinahe in der ersten schnell gefahrenen Kurve weggeworfen hätte. Weil beim Anbremsen der Hebel zum Bedienen der großen, mächtigen Vorderrad-Trommelbremse nach dem Anziehen nicht mehr in die Ausgangsposition zurück ging, sondern verklemmte. Aber mit zwei Fingern ist mir dann das Zurückdrücken des Hebels gelungen. Im letzten Moment. - Der Fotograf, der meine Kurvendurchfahrt fotografierte, hat das gar nicht bemerkt. - Er war zufrieden. - Wie zufrieden ich war, habe ich dann später nach weiteren Testfahrten mit einer MÜNCH 1200 TTS-E zu Papier gebracht. Im Anhang zu diesem alten Fahrbericht hier, komme ich dann mal zu HOREX. Nicht von ungefähr, weil es auch eine Verbindung MÜNCH/HOREX gibt. Auf so einem Motorrad, einer HOREX SB 35 habe ich übrigens 1949 meinen Führerschein gemacht und Friedel Münch, der Motorrad-Konstrukteur und Hersteller hat auch schon mal bei HOREX gearbeitet. Der Eigner der HOREX-Werke hieß damals übrigens Fritz Kleemann, war aus Bad Homburg, fuhr einen Lancia und sein Vater war nicht nur der Hersteller von REX-Einmachgläsern, sondern besaß auch die Mehrheit an der Aktien der Columbus-Motorenwerke. Auch HOREX ist wie MÜNCH eine Motorradmarke gewesen, die schon mal verschwand und immer wieder auftauchte. Wie auch MÜNCH. - Der dann auch einmal HOREX baute. - Dazu später mehr. - Zunächst einmal der „alte“, unveränderte Fahrbericht von „damals“:

„Es war einmal...“: MÜNCH‘s Geschoss

1965 entstand in der kleinen Werkstatt von Friedel Münch der erste Prototyp eines Motorrades mit einem großvolumigen Automotor, einem luftgekühlten Vierzylinder von NSU. Damals noch ein Un-Motorrad, wurde daraus in geduldiger Kleinarbeit ein Super-Motorrad und aus der Werkstatt ein modernes kleines Werk in Altenstadt/Hessen, aus dem heute pro Jahr rd. 150 Exemplare eines Motorrades voller Superlative in alle Welt gehen.

Hinter dem Konstrukteur steht seit einiger Zeit ein finanzstarker deutscher Unternehmer und die finanziellen Sorgen, die die Entwicklung in früheren Jahren belastete, kennt Friedel Münch heute nicht mehr.

So konnte er jetzt – es war 1974 - auch die Weiterentwicklung seiner MÜNCH 1200 TTS vorstellen. Wir „erlebten“ sie für unsere Leser:

„Wieviel PS hat die?“, fragt ein älterer Herr unseren Testfahrer an einer Tankstelle irgendwo im Hessischen. „Das kommt auf den Fahrer an“, ist die Antwort; „Wenn der nur bis 6.000 dreht, sind es 88 PS, bei 6.500 schon 93 und bei 8.000 Umdrehungen sind es dann exakt 99,8 PS.“

Der Mann schüttelt den Kopf: „So was sollte man nur hinter Gittern besichtigen dürfen.“ So was, damit meinte er die neueste Schöpfung von Friedel Münch, die MÜNCH 1200 TTS-E. Das E steht für Einspritzer. Eine von Kugelfischer, München gelieferte Einspritzanlage macht die mammutstarke MÜNCH 1200 TTS noch 10 PS stärker, in der Praxis aber kaum schneller.

Sicherlich ist die Höchstgeschwindigkeit von „gut 200 km/h“ nun auf „reichlich 200 km/h“ bei der TTS-E angestiegen, aber diese Zahlen sind auf bundesdeutschen Straßen rein theoretischer Natur. Die 100-km/h-Begrenzung macht alle gleich. Auf Autobahnen verspricht die höhere Leistung zwar auch höhere Durchschnitte, wenn nicht der Fahrer, ganz gleich ob auf der 88 PS starken TTS oder der rund 100 PS starken TTS-E, immer der schwächste Teil eines solchen Motorrades wäre.

Geschwindigkeiten über 180 km/h halten nur sportlich durchtrainierte Motorradfahrer, Sportler im wahrsten Sinne des Wortes, über längere Zeit durch. Ein Erlebnis ist es allerdings, in 4 Sekunden (oder einige Zehntel mehr oder weniger) von 0 – 100 km/h beschleunigt zu werden. Es ist wie der Ritt auf der Kanonenkugel, auf der MÜNCH-Kanonenkugel. - Münchhausen würde davon träumen.

Sinnvoll ist diese Superbeschleunigung nicht, aber Spaß macht sie. Den tiefsten Eindruck hinterlässt beim Fahrer das Gewicht dieses Motorrades: 260 Kilogramm! - Aber diese Zahl täuscht. Beim Fahren scheinen diese mehr als fünf Zentner plötzlich nicht mehr vorhanden. Die Handlichkeit dieses Motorrad-Kolosses ist frappierend und spricht für die gekonnte Auslegung aller Fahrwerkdaten.

Ein Fünf- oder gar Sechsgang-Getriebe wäre in Verbindung mit einem solchen 1200 ccm-Motor überflüssige Spielerei. Das Vierganggetriebe reicht vollkommen und ist auch gut zu schalten. Mit diesem Feuerstuhl ist auch ein Landstraßenbummel möglich, ohne dass sich der Fahrer auf den Drehzahlmesser konzentrieren müsste. Jede vernünftige Geschwindigkeit (ab 50 km/h) ist im vierten Gang möglich und auch die ruckfreie Beschleunigung daraus.

So ist die MÜNCH 1200 TTS-E sowohl etwas für den sportlichen jungen Mann, der die Kilometer möglichst schnell in sich „hineinfressen“ möchte, als auch für den Motorrad-Genießer, dem es nur um das Erlebnis des Schwingens auf zwei Rädern geht.

Friedel Münch ist ein Anhänger der Trommelbremse, der Scheibenbremse traut er noch nicht, und so hat er seinen Motorrädern zur notwendigen guten Verzögerung groß dimensionierte Renn-Trommelbremsen mitgegeben, die fadingfrei arbeiten und durch unterschiedliche Bremsbeläge in ihrer Bremscharakteristik den Vorstellungen des jeweiligen MÜNCH-Besitzers angepasst werden können.

Der MÜNCH 1200 TTS-E merkt man die Liebe des Konstrukteurs und Herstellers zum Motorrad an, spürt seinen „Motorradverstand“ an jedem Detail; z.B. am Ölbadgehäuse für den Kettenantrieb des Hinterrades, mit dem es dank des konstruktiven Aufwandes trotz der hohen Motorleistung (und des hohen Drehmoments) keinen Ärger gibt.

Schließlich ist der auch am Preis spübar. Die MÜNCH 1200 TTS-E kostet 18.593 Mark, das sind 3.075 Mark mehr als die Vergaserausführung als Einsatz für Lustgewinn vom Kunden verlangt.

Dabei ergab unsere Testfahrt noch nicht einmal Pluspunkte für die Einspritz-Version (wenn man von der „überflüssigen“ Mehrleistung absieht). Der Vergaser-Version fährt sich sogar noch ein wenig weicher, angenehmer.

Wer über so viel Geld verfügt, um sich ein solches Motorrad leisten zu können, gibt es nicht nur aus um Motorrad zu fahren, sondern auch, um dieses Super-Motorrad zu besitzen, das seinen Besitzer als sportlich und dynamisch ausweist und mit dem er auch sein technisches Verständnis dokumentieren möchte.

So ließ sich Gunther Sachs gerade eine MÜNCH-Einspritzer in St. Tropez vors Haus stellen; und auch Jochen Breiter, ZDF-Nachrichtensprecher, genügten die 88 PS seiner „alten“ MÜNCH nicht mehr. In diesen Wochen erhält er eine neue TTS-E.

Der Motorradfahrer mit normalem Einkommen sei getröstet: Es ist sicherlich etwas Besonderes eine Münch zu fahren, aber ähnliche Fahrerlebnisse sind auf anderen Motorrädern auch für weniger Geld möglich.

Wilhelm Hahne

TECHNISCHE DATEN
MÜNCH 1200 TTS-E

Motor: luftgekühlter Vierzylinder-Viertaktmotor, Typ NSU TT 1200, 5-fach gelagerte Kurbelwelle, obenliegende Nockenwelle mit Duplex-Kettenantrieb, Kugelfischer-Einspritzanlage, Hub 66,6 mm, Bohrung 75 mm, Verdichtung 8,5:1, Leistung 99,8 PS bei 8.000 U/min, höchstes Drehmoment 11,3 mkg bei 4.800 U/min.

Getriebe: Mit dem Motor über schrägverzahnte Stirnräder verblocktes fußgeschaltetes Viergang-Getriebe. Alle Wellen und Zahnräder nadelgelagert.

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen mit einer Elektron-Sitzbank-Schutzblech-Kombination als tragendem Teil für die Hinterradfederung und Aufnahme der Elektrik. Kugelgelagerte Schwinge aus Elektronguss kombiniert mit Ölbadgehäuse für den Kettenantrieb.

Bremsen: Duplex-Vorderrad- und Hinterrad-Trommelbremse von je 250 mm Durchmesser über Bowdenzug und Gestänge betätigt.

Bereifung: vorne 3.25/19 Spezial, hinten 4.00/18 Spezial.

Maße und Gewichte: Radstand 1410 mm, Bodenfreiheit 190 mm, Gewicht fahrfertig 260 kg.

Preis: DM 18.593,--

Feste Kosten pro Jahr: Steuer DM 173,--, Haftpflichtversicherung bei 1 Million Pauschalsumme je nach V-Gesellschaft zwischen DM 937,-- und DM 1.290,--

Hersteller: Münch Motorradfabrik GmbH, 6472 Altenstadt/Hessen, Industriegelände, Heegwaldstraße 2, Telefon (06047) 2150

Es gab auch Prospektmaterial.

Das sah dann so aus. So ein Prospekt des Jahres 1974 hatte nicht das Format der Prospekte von heute. Man sprach auch noch über die Technik. Aber man war auch froh, wenn man mit ausgefallenen Produkten einen kaufmännischen Erfolg sicherstellen konnte. Damals hatte das Geld noch einen Wert und der Motorrad-Interessent ging vorsichtig damit um.

So konnte es auch passieren, dass Friedel Münch schon mal Konkurs anmelden musste. Mit MÜNCH. Und es gab neue Teilhaber und Eigentümer, mit denen Friedel Münch aber nicht unbedingt in allen Dingen gleicher Meinung war.

1955 hatte Friedel Münch in der Versuchs- und Rennabteilung von HOREX ein halbes Jahr gearbeitet. Als HOREX 1956 die Motorradproduktion einstellte, kaufte Friedel Münch die Fertigungsvorrichtungen für die Motorenproduktion der 400er-Zweizylinder HOREX Imperator auf.

Nachdem er mit den neuen Eignern seiner ehemaligen Firma nicht zurecht kam, machte er sich 1977 wieder selbstständig, um nun unter dem Markennamen HOREX Bausätze für „seine“ MÜNCH-Motorräder zu entwickeln und zu vertreiben. Aber er baute auch eigenständige neue Modelle unter der Bezeichnung „Titan“.

Friedel Münch war – normal betrachtet – ein Motorrad-Verrückter, der bei seinen Unternehmen kaufmännische Grundsätze stark vernachlässigte.

2014 ist er in Altenstadt/Hessen gestorben. MÜNCH-Motorräder kann man heute – wenn es einen interessiert – im Technik Museum Speyer finden.

Aber die Marke HOREX ist nicht tot. Im Februar 2015 konnte die „3C-Carbon Composite Company“ (Landsberg am Lech) den Markennamen aus einer Insolvenzmasse heraus kaufen und hat schon auf der IAA 2015 in Frankfurt eine neue HOREX,

...ein wunderschönes, optisch wirklich überzeugendes Sechszylindermotorrad vorstellen können, das jetzt, 2016, noch irgendwann in eine kleine Serie gehen soll. Inzwischen ist auch das Design dieser HOREX VR6 mit dem „Red Dot Award“ für herausragendes Produktdesign ausgezeichnet worden.

Herausragend sind allerdings auch die Preisvorstellungen, die der neue Hersteller mit seinem wunderschönen Motorrad realisieren möchte: Um 40.000 Euro!

Ob das Design, drei obenliegende Nockenwellen, 18 Ventile, 163 PS und eine Echtleder-Sitzbank einen Anreiz für einen echten Motorradfahrer sein können, dieses Motorrad zu kaufen?

Wie schrieb ich doch 1974 – oben nachzulesen – am Ende meiner MÜNCH-Geschichte:

„...aber ähnliche Fahrerlebnisse sind auf anderen Motorrädern auch für weniger Geld möglich.“

MK/Wilhelm Hahne

PS: Vor ein paar Jahrzehnten, zur Zeit der Sechszylinder-Honda, wurde ich einmal von japanischen Honda-Technikern gefragt, wie ich mir das ideale Motorrad vorstellen würde. Sie erwarteten wahrscheinlich, dass ich dem absehbaren Trend nach noch mehr Hubraum und noch mehr Leistung folgend, etwas Ähnliches als Ideal eines Motorradfahrers ins Gespräch bringen würde.

Meine Vorstellung damals – und noch heute: Zweizylinder-Viertakter, 800/850 ccm, 80 PS, 150 kg Gewicht (trocken). - Das ist meine Meinung als Motorradfahrer, der persönlich in seinem Leben mehr als 30 eigene Motorräder besessen und praktisch alle bedeutenden Motorräder dieser Welt gefahren und getestet hat. - Selbstdarsteller haben natürlich andere Vorstellungen. - Vielleicht brauchen die dann auch eine HOREX VR6. - Ein wirklich schönes Motorrad. - Man könnte sich glatt eine ins Wohnzimmer stellen!

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