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Manchmal erhält man erst spät einen Eindruck davon, welchen Eindruck man selbst bei anderen Menschen vor Jahrzehnten machte. Meine Tochter – inzwischen eine erwachsene Frau – schenkte mir zu Weihnachten einen kleinen Weihnachtsmann in Form einer mit Rahmen versehenen Textileinheit mit Kreuzstichen. - Das wird man neugierig und hinterfragt. - Genau das war wohl beabsichtigt und ich erfuhr, was ich mit einer Entscheidung Mitte der siebziger Jahr bei meiner damals noch „kleinen Tochter“ ausgelöst hatte, indem ich – ein wenig verständnislos gegenüber den Vorurteilen von Geschäftsleuten – dann in der letzten Vorweihnachtswoche die Aufgabe übernommen hatte, in der Kreisstadt Moers am Niederrhein auf deren Hauptgeschäftsstraße, zwischen 16 und 19 Uhr den Weihnachtsmann zu spielen. - Aber jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. - Lassen Sie mich mit Weihnachten 2015 beginnen:
Rückblick: Ich war ein Weihnachtsmann!
Heiligabend. - Bescherung. - Ich hatte zusammen mit Frau und Tochter genüsslich gegessen, einen guten Wein dazu getrunken und nun folgten die Überraschungen. Die größte bei mir war eigentlich klein.
Die Handarbeit zeigte einen Weihnachtsmann. Eigentlich nicht ungewöhnlich an Weihnachten. Aber in diesem Fall war es ein Geschenk meiner Tochter an mich. Und sie fragte mich, ob ich mich erinnern würde. - An was? - „Als du mal der Weihnachtsmann warst.“ - Natürlich erinnerte ich mich sofort. Weil sie mir diese Aufgabe damals besondere Eindrücke beschert hatte. Dazu fiel sie in eine Zeit, als ich „zu neuen Ufern“ unterwegs war.
Ich war – wie man heute sagen würde – arbeitslos. Ich hatte aus eigenem Antrieb bei der „Auto-Zeitung“ in Köln meine Arbeit als „Ressortleiter Motorrad“ gekündigt, weil ich in einer bestimmten Situation erkannt hatte, dass ich mit meiner Einstellung zur Arbeit nicht so recht dorthin passte. Der damalige CvD (Chef vom Dienst) hatte mir das deutlich gemacht, als er mir – ohne einen wirklichen Grund zu haben – am frühen Nachmittag meine frühzeitige Rückfahrt nach Hause zu verhindern suchte, obwohl ich mich wirklich krank fühlte und alle wichtigen Arbeiten erledigt hatte.
„Sie fahren nicht nach Hause“, hatte er entschieden und seinen Fuß in die Fahrstuhltür gestellt - und ein Schließen der Tür verhindert. Da bin ich zurück in mein Büro, habe meine Kündigung geschrieben, habe sie dem Chefredakteur auf den Tisch gelegt und – bin nach Hause gefahren.
Obwohl man mich – in den Tagen danach – entsprechend bedrängt hat, habe ich meine Kündigung nicht zurückgenommen. Und so war ich dann Mitte der 70er Jahre irgendwann arbeitslos, nachdem ich auf Wunsch der Chefredaktion aber noch mal um Monate mein Ausscheiden verschoben hatte. - Damit man in Ruhe einen Nachfolger finden konnte.
Man hat Ersatz gefunden. - Darum gibt es in der „Auto-Zeitung“ auch seit vielen, vielen Jahren nun keinen Motorradteil mehr. Ich habe als freier Journalist gearbeitet. Sehr viel für die „Auto-Zeitung“. - Bis dass man mich – mit Hilfe der Industrie – sozusagen „zu verschaukeln suchte“. Da war Feierabend! - Und ich habe als freier Journalist – auch von der Industrie ungeliebt – aber akzeptiert, ohne die „Auto-Zeitung“ weiter gemacht.
Vorher gab es aber noch so etwas wie eine Selbstfindungsphase, in der ich in aller Ruhe über meine Zukunft nachgedacht habe. In dieser Phase besuchten mich Freunde aus der Moerser Geschäftswelt. Ich war z.T. mit denen zur Schule gegangen, sie hatten inzwischen die Geschäfte ihrer Väter übernommen. Inzwischen waren wir gut 40 Jahre alt.
Sie erzählten mir, dass sie die Absicht gehabt hätten, in der Vorweihnachtszeit einen Weihnachtsmann durch die Stadt ziehen und ihn Süßigkeiten verschenken zu lassen. Aber sie hatten niemanden gefunden, der den Weihnachtsmann spielen wollte.
„Warum macht ihr das nicht selbst?“, habe ich gefragt. - Man war entsetzt! - Man könne doch nicht als Mitglied der Geschäftswelt einer Kreisstadt dann selbst... - Also wirklich, das ging doch gar nicht!
Ich habe diese Einstellung nicht verstanden und die Problematik zu diskutieren versucht. „Dann mach' du doch den Weihnachtsmann“, haben sie gesagt, „wenn das aus deiner Sicht doch unproblematisch ist und wahrscheinlich auch noch Freude macht.“
So habe ich dann genauso schnell und kurzentschlossen diese „Arbeit“ angenommen, wie ich vorher meine Kündigung ausgesprochen hatte.
Erst jetzt – Weihnachten 2015 – habe ich erfahren, dass mit einer solchen Aufgabenstellung für ihren Vater auch meine Tochter damals Probleme hatte. - Ihr Vater lief als Weihnachtsmann durch die Kreisstadt! - Wie würde das bei ihren Freundinnen ankommen? - Und sie hat sich ihrer besten Freundin anvertraut und man ist zusammen mit dem Bus in die Stadt gefahren, um mich als Weihnachtsmann zu beobachten. - Das war natürlich alles streng geheim. Niemand sollte wissen, dass der Vater... -
Sie waren überrascht festzustellen, wie gut der Weihnachtsmann in der Moerser Geschäftsstraße ankam. Er war ständig umringt von Kindern und Eltern, die ihm ihre Kinder zureichten. Und er verteilte Süßigkeiten, sprach mit Kindern und Erwachsenen.
Meine Tochter und ihre Freundin wurden Zeuge eines Vorfalls, den ich auch bis heute nicht vergessen habe. Ich trug immer schon einen Bart, der auch schon damals grau war. Als Weihnachtsmann trug ich darüber natürlich einen langen weißen Bart, der wie meine Kleidung aus einem großen Düsseldorf Kostümverleih kam und schon echt – und auch teuer – wirkte.
Da zogen zwei kleine Jungen eine ganz Zeit lang mit mir durch die Straße, versuchten auch immer mal wieder neue Süßigkeiten zu erhaschen. Einer von ihnen, vier oder fünf Jahre alt, stand sehr oft sehr nahe bei mir. Er musste zu mir herauf sehen, während ich kleine Geschenke an weiter weg stehende Kinder oder Eltern verteilte.
Da rief der Kleine dann plötzlich seinem Freund (oder Bruder?) zu: „Guck, mal! - Der Weihnachtsmann hat zwei Bärte!“ - Unter mir stehend, hatte er das irgendwann mitbekommen. Das sind Momente, die einen überraschen, weil man sich eine solche „Entdeckung“ vorher nicht vorstellen konnte. - Ich habe sie gemeistert.
Genauso wie die Situation, dass sich immer wieder – viele Male – von hinten durch die Gruppe der mich umgebenden Kinder eine Hand durchstreckte, um Süßigkeiten zu erhalten. Es war immer die gleiche Hand. Offensichtlich die Hand einer älteren Dame. - Beim vierten oder fünften Mal habe ich dann diese Hand ergriffen und die Dame zu mir hin – durch die Kinder hindurch gezogen. Und vor mir stand eine ältere Dame, nach Worten ringend und stotternd: „Ich wollte doch nur für meine Enkel...“ - Und der Weihnachtsmann hat ihr großzügig über die Haare gestreichelt und ihr die schnelle Flucht ermöglicht.
Alles das ist mir am Heiligabend 2015 eingefallen, als mir meine Tochter einen gestickten Weihnachtsmann im Rahmen schenkte. Weil sie sich selbst noch deutlich erinnerte, welche innere Vorbehalte sie damals hatte, die dann beim Beobachten des Weihnachtsmannes bei seiner Arbeit schnell schwanden.
Ich erinnere mich, dass sich über mir – irgendwo im dritten Stock – eine Fenster öffnete und eine Mutter rief: „Weihnachtsmann! - Bitte warten! - Ich muss mein Kind noch aus dem Bett holen!“
Minuten später war sie dann mit einem kleinen Kind im Nachthemd auf der Straße. Und der Weihnachtsmann hat mit dem Kind nett gesprochen, ein paar Süßigkeiten verschenkt und dann mit der Mutter wieder hinauf ins Schlafzimmer geschickt.
Ich war ein Weihnachtsmann! - Damals. - Und glauben Sie mir bitte: Ich war damals als Weihnachtsmann so gut, wie ich es vorher als „Ressortleiter Motorrad“ bei der „Auto-Zeitung“ gewesen war.
Oder heute als freier Motor-Journalist zu sein versuche.
Und ich habe mir gedacht: Die Tage zwischen den Jahren sind exakt der Rahmen, in denen man nicht nur gestickte Weihnachtsmänner verschenken kann, sondern es sich auch mal als investigativer Journalist erlauben sollte, eine „schöne Geschichte“ zu schreiben. - Einfach so!
Ich war ein Weihnachtsmann'!