Mercedes: Nur noch Hersteller von Rückruf-Objekten?

Seit dem 22. Mai 2019 steht Ola Källenius an der Spitze der Mercedes-Benz Group AG und steht gleichzeitig der Mercedes-Benz AG vor. Zunächst hat er nur weiterführen können, was sein Vorgänger Dieter Zetsche mit einem hunderte Millionen verschlingenden Aufwand eingeleitet hatte: Die Trennung der einzelnen Sparten, die einmal das große Ganze bildeten. Sie erfolgte Ende 2021. Eine wunderbare Vorlage, die nun keine der neuen Statistiken mehr mit einer alten vergleichbar macht. Ola Källenius ist ein Firmenführer der neuen Generation, der sich an dem theoretischen „Schnittmuster“ orientiert, das ihm bei seinem Studium in „International Management“ und „Finance and Accounting“ (Accounting = Buchhaltung!) mitgegeben wurde. Diese Lehren orientieren sich an dem Erreichen und der Darstellung von Firmenerfolg. Der muss aus der Sicht eines modernen CEO nur so langfristig halten, wie seine eigene Karriere. Es geht aber in der Realität – in diesem „Mercedes-Fall“ - nicht nur um persönlichen Erfolg, sondern auch um den  Imageverlust eines Branchen-Vorbildes und – letztendlich dann  - um Arbeitsplätze! - Der Nachweis von Kurzzeiterfolgen vermag da schon mal die Sicht bei „Mitläufern“ trüben. - Schaut man einmal nüchtern in die weitere Zukunft, muss die Frage erlaubt sein:

Mercedes: Nur noch Hersteller von Rückruf-Objekten?

Ich erinnere mich, dass Prof. Werner Niefer, „früher“ mal Mercedes-Chef, mit seiner Hand – aus meiner Sicht, der ich auf der anderen Seite seines Schreibtisches saß – nach links auf eine Tür wies, um mir zu erklären, dass dahinter der Raum liegen würde, an dem er mit seinen Mitarbeitern die – damals - notwendigen „Qualitätsgespräche“ führen würde.

Das war eine Zeit, in der ich den Mercedes-Chef fragen konnte, ob man bei der E-Klasse denn unbedingt – und das z.T. an unpassender Stelle – 35 Kilogramm Klebstoff pro Fahrzeug verarbeiten müsse. Oder ich habe ihn gefragt, ob man denn das Holz, das in den Armaturenbrettern von Mercedes-Automobilen verbaut würde, unbedingt wie Kunststoffteile wirken müsse.

Mit Professor Niefer und einem seiner Assistenten habe ich auch mal alleine an diesem langen, beeindruckend langen Eichen-“Qualitäts-Tisch“ gesessen, an dem mir Prof. Niefer exklusiv mit einem Dia-Vortrag die Herkunft seiner mir aufgefallenen, besonders guten Materialkenntnisse persönlich erklärt hat.

Das war eine Zeit, in der ich von diesem Werner Niefer – auch – schon mal öffentlich angegriffen wurde. Ich habe „einstecken müssen“! - Werner Niefer auch! - Das führte z.B. in einem Fall (ausklappende Überrollbügel) - per Saldo – dazu, dass sich Prof. Niefer von seinem Entwicklungschef getrennt hat, weil dieser Fall „das Fass zum Überlaufen brachte“. Nicht, dass dieser auf seinem Gebiet etwas falsch gemacht hätte, nein, dieser leitende Mitarbeiter hatte „nur“ seinem Chef widersprochen und – in einem Fall – meiner Argumentation zustimmen müssen! - Weil meine Darstellung der Realität entsprach.

Aber auch, weil die Einmischung des Vorstandes den Entwicklungschef schon mal verärgert reagieren ließ, weil z.B. durch die immer neu von Prof. Niefer geforderten „Anpassungen“ keine vernünftige Entwicklung einer neuen, perfekten S-Klasse möglich wurde.

Prof. Niefer hat diesen Mann nicht etwa „gefeuert“, sondern „weg befördert“. Dr. Peter wurde in einem anderen Unternehmen Vorstandsmitglied. Prof. Niefer hatte das eingefädelt, denn dieser Mercedes-Vorstandsvorsitzende war „nicht ohne“. Er war durchaus nicht der, als der er sich in der Öffentlichkeit darstellen ließ! - Aber er war zumindest ein Vorstand mit erstklassigen Materialkenntnissen. - Eigentlich weniger ein „Auto-Freak“, als der er sich gerne „verkaufen ließ“.

Da ist der aktuelle Mercedes-Oberchef, Ola Källenius, anders. Er ist ein moderner Firmenchef, dessen nüchterner Augenmerk primär dem erzielten Überschussergebnis seines Unternehmens gilt. In Schweden und der Schweiz „vorgeformt“, wurde er auch in Stuttgart auf seine jetzige Aufgabe vorbereitet. So könnte/sollte diese Alibi-Fortbildung wohl empfunden werden. - Stellt er jetzt die Weichen entsprechend?

  • Keine „kleinen“ Mercedes-Modelle mehr, die mit – zu – mageren Margen das Gesamtergebnis mindern könnten.
  • Keine Prospekte mehr für die Interessenten von Mercedes-Automobilen. - Die kosten nur Geld! - Wozu gibt es bei den Kaufinteressenten Computer?
  • Pläne für den Umbau der Verkaufsorganisation auf eine reine Vermittlertätigkeit und entsprechend kleine Vermittlerprovisionen.
  • Ein Minimum an eigenen Werks-Niederlassungen, die sich – aus seiner Sicht – als zu teuer und damit unwirtschaftlich erwiesen haben.
  • Primär hat Källenius eine Ausrichtung auf – margenerhöhende – Luxusmodelle angeordnet. Weil – statistisch gesehen – der Anteil der Vermögens-Millionäre immer weiter steigt?
  • Das fördert in der Gesamtheit die öffentliche Darstellung einer positiven Firmenentwicklung gegenüber den nur einseitig an einer höhere Dividende interessierten Aktionären.
  • So kommt es auch zu einer Ruhigstellung von Gewerkschaften und der „kleinen“ Mitarbeiter auf der unteren Ebene der Firma durch eine mögliche  – aus deren Sicht - hohe Gewinnbeteiligung.
  • Deutliche Ausrichtung von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit auf diese neuen von ihm gesetzten Ziele.
  • Anpassung in Sachen „Zeitenwende“ an die jeweils aktuelle politische Strömung, durch z.B. ein entsprechendes Angebot von Luxus-Automobilen mit entsprechender Technologie.
  • Alle diese Maßnahmen generieren dann insgesamt auch ein Ansteigen des Börsenkurses, machen die Firma „wertvoller“.

Das alles ist „modern“, „zeitgemäß“, lässt sich auch entsprechend gut verkaufen, Aber:

  • Man hat bei Mercedes die Kunden-Orientierung aus dem Auge verloren! - Denn was haben Mercedes-Interessenten davon, die später zu Kunden werden sollen?

Wenn man einen Blick in die europäische Rückruf-Statistik des Jahres 2022 wirft, ist Mercedes hier klarer Spitzenreiter! Und es geht, wenn man die ersten Rückrufmeldungen in diesem Jahr aufmerksam registriert, richtig munter – auch aktuell im Jahre 2023 – weiter!  

  • Werden von Herrn Källenius diese Rückrufe als wichtig für die Beschäftigung der angeschlossenen Vertrags-Werkstätten empfunden? - Oder als perfekte Maßnahme zur Verbesserung der Kunden-/Markenbindung?

Aus Motor-KRITIK-Sicht ist diese Firmenpolitik kurzsichtig, hilft aber – kurzzeitig (!) und kurzfristig – den darstellbaren Gewinn zu verbessern. Wenn es schließlich „knallt“, hört Ola Källenius wahrscheinlich „den Schuss nicht mehr“, ist in Altersrente, hat sich auf ein mit Millionen abgesichertes Altenteil zurück gezogen!

Daimler/Mercedes ist zwar nicht die älteste Automobilmarke der Welt, hat aber seit 1926 existierend, in den letzten Jahrzehnten schon eine Reihe von Fehlentscheidungen seiner Firmenlenker überlebt, weil die Wurzeln noch älter – und kräftig sind. - Das lässt eigentlich hoffen! - Aber...

Es ist z.B. schon jetzt – zu Beginn der dritten Dekade im ersten Monat des Jahres 2023 – eine Vorhersage ohne jedes Risiko möglich, dass im Falle Mercedes die Rückrufzahlen in diesem Jahr 2023, klar die Neuwagen-Produktionszahlen des gleichen Jahres übertreffen werden! - Auch eine Art von „Spitzenleistung“!

Man muss sich als erfahrener Motor-Journalist verwundert die Frage stellen:

Lebt Mercedes heute immer noch vom Image einer Vergangenheit, das einmal von einem  Slogan – die Fahrzeugmodelle der Marke betreffend – bestimmt wurde, der da hieß: „Das Beste oder nichts“?

In der Mercedes-Werbung früherer Jahre wurde durch Mercedes auch einmal die Feststellung geäußert:

„Das Beste kennt keine Alternative“

Ist es vielleicht doch möglich, durch „Premium“ bei den Rückruf-Modellen eine Alternative aufzuzeigen? - Vielleicht ist Mercedes – dank Ola Källenius – so in der Lage, eine andere Art von „Bestform“ aufzuzeigen!

Leider kann ich für diese Art einer neuen Firmen-Strategie und -Politik von Mercedes wenig Verständnis aufbringen. - Aber vielleicht ist das ja auch…

„Der Pulsschlag einer neuen Generation“

(Zitat aus der Mercedes-Printwerbung.)  - Wenn es den langen „Qualitäts-Tisch“ in Stuttgart-Untertürkheim noch gibt, sollte man ihn vielleicht wieder nutzen!

Aber wer könnte dort den Vorsitz übernehmen, weil er wirklich etwas von Automobilen und Automobilbau versteht?

MK/Wilhelm Hahne
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