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Gerade den Fans des aktuellen Motorsports mit seinen unzähligen „tollen“ Serien, die nur in einer Zeit – in „unserer Zeit“ - des „modernen“ Motorsports ihre Beobachtungen und Erfahrungen machen konnten, in dem die beste Technik bedeutender, wichtiger scheint als der beste Fahrer; denen muss die folgende Geschichte wie ein modernes Märchen erscheinen. Rainer Braun, den ich meinen Lesern sicherlich nicht vorstellen muss, hat diese Geschichte aber in diesen Tagen nicht nur erlebt, sondern auch für Motor-KRITIK niedergeschrieben. Es ist eine „menschliche Geschichte“, die man wahrscheinlich auch nur noch in der Oldtimer-Szene oder einer Classic-Rennserie erleben kann. Aber man muss – selbst „Oldtimer“ - auch einen Blick dafür haben. Rainer Braun ist eben im Laufe seiner beruflichen Entwicklung – auch durch seine Erfahrungen in der guten alten Zeit des Motorsports – immer Mensch geblieben und hat darum auch als Journalist einen Blick für Situationen, wie man sie heute im Motorsport nur noch selten erleben kann – und die dann auch leider schon mal übersehen werden. - Auch ein Rainer Braun empfindet ein solches Erleben in unserer Zeit wie ein „modernes Märchen“, das er nachfolgend meinen Lesern gerne erzählt.
Das hohe Lied von Fairness und Freundschaft
Man sollte es nicht für möglich halten, dass es so etwas im heutigen Rennsport noch gibt. Vermutlich braucht es dazu die Tourenwagen Classics-Rennserie (TWC), in der sich diese geradezu unglaubliche Geschichte zugetragen hat.
Hockenheim Classic 2018 am dritten April-Wochenende, erster Lauf zur Tourenwagen-Classics, hauptsächlich bestehend aus alten DTM-Autos der 80er- und 90er-Jahre. Hauptdarsteller: Vorjahres-Champion Thorsten Stadler (47), im 94er C-Klasse-Mercedes (Ex-Auto von Ellen Lohr) und der um lächerliche zwei Punkte unterlegene Vize-Meister Jörg Hatscher (57) in einem 96er C-Klasse Mercedes (Ex-Auto von Magnussen/Montoya/Zonta). Zusammen mit Stefan Rupp im 96er ITC-Alfa 156 V6 (Ex-Auto von Fisicella/Danner) gelten die beiden Mercedes-Chauffeure auch 2018 als Titel-Favoriten.
- Im Freien Training platzt Stadler der Motor, Reparatur in der Kürze der Zeit bis zum Qualifying nicht möglich, ein Ersatzmotor ist nicht verfügbar.
Stadler hat sich bereits damit abgefunden, dass der erste Lauf der Saison (von insgesamt sieben) für ihn mit einem Null-Resultat endet und die Chance einer erneuten Titelverteidigung erheblich sinkt. Da kommt auf den maßlos enttäuschten Mann dessen härtester Gegner und Markenkollege Jörg Hatscher zu und lädt ihn ein, das Rennen gemeinsam zu bestreiten – in Hatschers intaktem Mercedes. „Dann hast du die gleiche Chance wie ich und wir bleiben punktemäßig auf einem Level“, so Hatscher zu Stadler, „gegeneinander kämpfen können wir danach immer noch genügend.“
- Was für eine noble Geste, gestern Gegner, heute gemeinsam auf Punktejagd, danach wieder Gegner, jeder im eigenen Cockpit.
Die beiden fahren also je 10 Minuten im abschließenden Zeittraining, womit sich auch Stadler im Hatscher-Mercedes mit der Startnummer 3 für das Rennen am Folgetag qualifiziert hat. Der Lauf geht über 40 Minuten, unterbrochen durch eine Zwangspause von zwei Minuten, in der man an der Box entweder im Auto sitzen bleiben kann oder den gemeldeten zweiten Fahrer für die zweite Rennhälfte einsteigen lässt.
Genauso machen es die beiden, Hatscher übergibt nach hartem Führungskampf mit dem Rupp-Alfa an zweiter Position liegend an Stadler, der sich auch im fremden Auto sofort zurechtfindet und den Zweikampf mit dem Rupp-Alfa an der Spitze unverdrossen fortsetzt.
- Als die Zielflagge fällt, ist der Stadler/Hatscher-Mercedes vorn, Alfa-Kämpfer Rupp ist nach bewundernswertem Fight knapp geschlagen.
Was für ein Happyend für Stadler, der dank der großzügigen Geste seines Titel-Konkurrenten nun mit der gleichen Punktzahl als Basis die weiteren Saison-Rennen in Angriff nehmen kann. Dass Thorsten Stadler obendrein am Renntag in Hockenheim neben dem Sieg auch noch seinen 47. Geburtstag feiern kann, rundet diese wie ein modernes Märchen anmutende Geschichte nur noch ab.
Warum ich Ihnen das alles aufgeschrieben habe? - Weil Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Fairness im modernen Rennsport immer mehr verloren gehen. Jeder versucht sich stattdessen selbst der Nächste zu sein, vom Anschwärzen des Konkurrenten über Protestieren, Reklamieren, Täuschen und Tarnen wird so ziemlich alles praktiziert, was dazu beiträgt, die Atmosphäre heutzutage zu vergiften.
Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo sich konkurrierende Wettbewerber zu zweit, zu dritt oder gar zu viert ein Hotelzimmer geteilt, zusammen gezecht und gezockt und sich mit Ersatzmotoren oder auch mal einem kompletten Ersatzauto gegenseitig ausgeholfen haben.
Ich weiß, diese Zeiten kommen nie wieder, aber ich vermisse sie trotzdem. Vielleicht bin ich ein Träumer, aber mir persönlich, vielen anderen vor Ort und dem gesamten Automobilsport hat die Hatscher/Stadler-Geschichte gewiss gut getan.
Und weil nicht nur Wilhelm Hahne, sondern auch seinen Lesern eine solche wahre, aber märchenhafte Geschichte sicherlich gut gefällt, habe ich sie für Motor-KRITIK niedergeschrieben. Weil sie dort im Internet auch so schnell nicht verloren geht!