Man sollte wissen: Größe garantiert keine Qualität!

Nein, ich erinnere hier nicht an eine alte Geschichte von mir. Ich schreibe hier eine neue Geschichte zu einem alten Erlebnis, das bisher niemals irgendwo beschrieben war. Aber die Leute, die die Wahrheit meiner aktuellen Darstellung bestätigen können, die leben noch. - Ich beschreibe dieses Erlebnis deshalb jetzt und hier, weil aktuell in unseren Landen die Überzeugung vorherrscht, dass die Größten auch die Besten sind. Das ist im realen Leben nicht so. Nur findet das, was die „Großen“ tun, weit und breit eine größere Beachtung. Aber Größe allein garantiert keine Qualität! - Größe steht zunächst immer nur für Quantität! - Das gilt auch für die Verbreitung von Testergebnissen großer Fachzeitschriften. Sie verbreiten sich schnell. Es wird doch schon alles stimmen. Schließlich arbeitet man dort doch mit den besten modernen Messinstrumenten. - Stimmt! - Alles „Experten“! - Aber entscheidend ist immer noch der Mensch – und das was menschlich ist. Es gibt eben viele Menschen, die gerne das verbreiten, was immer schon als gut empfunden wurde. Da wird schon keiner widersprechen. Das kann auch nicht falsch sein! Denn eigentlich zählt man sich selber zu den Größten. -  Man glaubt das auch durch das Vorweisen einer tollen Visitenkarte beweisen zu können. - Stimmt! - Aber...

Man sollte wissen: Größe garantiert keine Qualität!

Es war einmal ein großer  Automobilhersteller. Der baute viele, sehr gute Automobile.

  • So könnte auch ein Märchen beginnen. Aber es folgt eine wahre und - gerade deshalb -  „märchenhafte“ Geschichte!

Für diese sehr guten Automobile waren gute Entwickler, fähige Ingenieure, unter Leitung eines sehr agilen Vorstandmitglieds verantwortlich. Und alle Jahre wieder brachten sie ein neues, nach dem letzten Stand der Technik überarbeitetes Modell einer bekannten Modellreihe an den Serienstart.

Der wurde natürlich öffentlich mit „Erste Vorstellung“, „Erster Fahrbericht“ und „Erster Test“ von der Fachpresse begleitet. Da gibt es nun große und kleine Fachblätter, Tester, die sich richtig ernst nehmen, aber auch kleine, unbedeutende Mitläufer, die ernst nehmen was sie machen.

  • Manchmal orientieren sich die „Kleinen“ auch an den „Großen“!

Nun ergab es sich, dass einer der „Großen“ auch den allerersten großen Test machen durfte. Das wird von der Herstellern auch geschickt so gesteuert, weil der Test einer bedeutenden Fachzeitschrift auch bedeutenden Einfluss auf die Arbeiten „der Kleinen“ hat.

  • Man kennt das aus der Schule. Schon dort schrieben die „Dummen“ gerne von den „Schlauen“ ab.

Also war es – vielleicht - kein Zufall (oder doch?), wenn der Testwagen, der einer großen Fachzeitschrift als Testobjekt gedient hatte, dann auch danach bei mir in der Eifel landete.

  • Gleiche Farbe, gleiches Kennzeichen, gleiches Auto!

Natürlich hatte ich den Testbericht meiner „großen Kollegen“ gelesen. Der bot eigentlich keine Überraschungen, denn bei diesem neuen Fahrzeug einer bekannten Modellreihe, war natürlich alles top!

Ich habe das Testobjekt ohne den großen messtechnischen Aufwand meiner großen Kollegen dann auch über die übliche Zeit von 14 Tagen auf unterschiedlichem Terrain bewegt. Ich war auf normalen Landstraßen, auf Autobahnen, in Städten und Großstädten unterwegs und – zusätzlich – auf der Nürburgring-Nordschleife. So ist eine klare Meinung zu dem entstanden, was dieses Automobil kann – oder nicht kann.

Ein paar Runden Nordschleife ersetzten mir damals z.B. mindestens 3.000 Kilometer z.B. an der Côte d'Azur

  • Ich nutzte die Nordschleife übrigens mit einer Jahreskarte, die ich selber bezahlt hatte!

Danach habe ich dann meinen Fahrbericht geschrieben und veröffentlicht. Meine Feststellungen, meine Eindrücke, meine Meinung! - Eigentlich war das alles in der Bewertung der einzelnen Kriterien, die bei einem Automobil wichtig sind, ziemlich gleich mit den Mess-Ergebnissen meiner „großen Kollegen“. Nur in einem einzigen Punkt war meine Beleuchtung der Eigenschaften deutlich abweichend von der Beschreibung durch die Großen ihres Fachs.

  • Der Geradeauslauf war nach meiner Feststellung eigentlich mehr katastrophal, während meine Kollegen dem Fahrzeug einen geradezu perfekten Geradeauslauf – wie auch bei den Modellen vorher – bescheinigten.

Und so kam es, wie es kommen musste! - Ein Vorstandsmitglied meldet sich persönlich bei mir per Telefon, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass mir da wohl ein kleiner Lapsus unterlaufen wäre. Er empfand es als richtig, dass ich diese Stelle in meinem Fahrbericht korrigieren würde. Denn schließlich habe doch das berühmte Fachorgan… - Bla-bla-bla! - „Sie machen das schon!“

Leider – aus seiner Sicht – habe ich seine Bitte ablehnen müssen. Meine Feststellung war durch meinen Fahreindruck begründet. Zwar hatte ich nur dieses eine Fahrzeug der neuen Modellreihe gefahren, aber ich bin davon ausgegangen, dass ich ein Serien-Fahrzeug erhalten hatte.

  • Tut mir leid, habe ich sagen müssen. - Daraufhin hat der Vorstand mich gefragt: „Und was machen wir nun?“

Ich habe ihm empfohlen, doch genau dieses Fahrzeug einmal selber zu fahren und sich selber ein Urteil zu bilden.

Es gab nach meinen Überlegungen keine andere Möglichkeit, denn ich hatte nur geschrieben, was ich festgestellt hatte: Der Geradeauslauf war schlecht! - Um den Fehler für meine Leser zu verdeutlichen: Der Geradeauslauf, wie von mir empfunden, war im Vergleich zu der  Darstellung meiner Fachkollegen einfach „grottenschlecht“!

  • Ich habe dann ein paar Wochen nichts gehört. Dann hat sich der Vorstand wieder persönlich bei mir telefonisch gemeldet. Seine Feststellung aufgrund der nun eigenen „Erfahrung“: „Sie haben recht!“

Diese klare, eindeutige Feststellung hat mich überrascht. Nach seiner Erklärung aber, wie es denn dazu kommen konnte, war ich „einfach platt“. Der Vorstand hat mir erläutert, was er nach seinem ersten Telefonat mit mir gemacht hatte:

Er hatte zunächst exakt dieses Automobil gefahren, das meinen Kollegen und mir als Testfahrzeug gedient hatte. Nun wird der Geradeauslauf eines Automobils in der Praxis nicht gemessen, sondern subjektiv empfunden. Und je besser der Tester ist, desto objektiver ist dann seine Feststellung.

  • Auch der Vorstand hatte den Eindruck: Der Geradeauslauf ist schlecht! - Aber warum? - Es musste doch einen Grund dafür geben! - Wie konnte so etwas passieren?

So hat er zunächst alle internen Testberichte durchforstet: Keinerlei Beanstandungen des Geradeauslaufs. In allen Beurteilung wurde der als geradezu „perfekt“ empfunden!

So hatte er weiter suchen müssen, hatte sich noch mal in alle Details bis hin zum Serienanlauf eingearbeitet und überprüft. Die Auflösung war dann so simpel wie überraschend:

Bei der Serienvorbereitung hatte man im Einkauf mit dem Zulieferer die üblichen Verhandlungen geführt. Das bezieht sich in diesem Fall auf die Teile, die mit für einen guten Geradeauslauf eines Automobils verantwortlich sind. Der Einkäufer hat natürlich – ganz im Sinne seines Arbeitgebers – versucht den Einkaufspreis zu drücken. Aber er ist dabei „auf Granit gestoßen“. Der Zulieferer hat ihm klar gemacht, dass er bei den geforderten Details an den Werkstücken, eben nur diesen Preis – wie genannt - machen könne.

Aber – wenn man z.B. - auf dieses und jenes kleine besondere Merkmal verzichten könne, wäre die Bearbeitung einfacher und man könne das Teil zu einem günstigeren Preis liefern.

  • Da hat der Einkäufer – selbstherrlich, aber mit gutem Gewissen - die Entscheidung getroffen: So machen wir das!

Eine „einsame Entscheidung“, die dann die Firma bei der Umstellung aufgrund meiner Beurteilung eine siebenstellige Summe gekostet hat. Sie konnte auch nicht von „jetzt auf gleich“ vorgenommen werden, sondern die Umstellung in der Serienfertigung bedurfte eines gewissen Vorlaufs.

  • Der Vorstand hat mir versprochen, dass diese Umstellung in jedem Falle vorgenommen würde! - Und sie wurde vorgenommen!

Was ich an dieser Geschichte besonders interessant finde:

Kein Käufer dieses Modells hat sich jemals über den schlechten Geradeauslauf dieses Modells beschwert. Alle waren so zufrieden, wie meine Kollegen. Denn die Fahrzeuge dieser Firma waren doch geradezu immer schon ein Paradebeispiel für Automobile mit einem guten Geradeauslauf gewesen.

Selbst wenn jemand ganz still für sich empfunden hatte: Der Geradeauslauf könnte aber auch besser sein, so hat er doch nichts gesagt.

Wenn viele Käufer  – und sogar „Experten“ – der Meinung sind, dass das alles wunderbar und OK ist, dann hält man in unserer Gesellschaft – um es „platt“ zu formulieren – „besser die Schnauze“.

  • Die Macht des „Mainstreams“! - Alles ist gut!

Ich habe jetzt darüber geschrieben, weil mir heute in der öffentlichen Darstellung nur noch „Experten-Meinungen“ als die scheinbar allein gültigen vorgesetzt werden.

Diese Geschichte soll nur aufzeigen, dass es auch anders sein kann!

MK/Wilhelm Hahne
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