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Der Verteidiger eines Angeklagten stellte sich selbst diese Frage, nachdem eine Journalistin ihn gefragt hatte, ob die Prominenz erst am Nachmittag des 1. Juli zu erwarten wäre. - Es war die politische Prominenz gemeint, die erst nach der Mittagspause des Gerichts als Zeugen ihren Auftritt haben würde. Als „Vorgruppe“ warteten zwischen 10 Uhr und Mittag ein paar graue Aufsichtsratsmäuse aus Ministerien und ein Rechtsanwalt und Wirtschaftprüfer auf ihre Zeugenvernehmung. Das Ergebnis war schon am Vormittag für einen informierten Zuhörer so erschreckend, dass ich mir den Nachmittag erspart habe, wenn die „Prominenz“ anrücken würde. Das Wichtigste an diesem Montag-Vormittag war wohl die nicht erfolgte Antwort auf die Frage beim...
LG Koblenz: „Wie wird man prominent?“
Es gab auch sonst kaum aussagekräftige Antworten auf die interessierten Fragen des vorsitzenden Richters, der die jeweiligen Zeugen über mit einem Beamer an die Wand geworfenen Unterlagen konfrontierte. Das waren Schreiben, Auszüge aus Gutachten, gutachterliche Berechnungen. Und man stritt sich z.B. darüber, ob nun in diesen oder jenen Berechnungen wohl die wahrscheinlichen Verluste in den zu erwartenden Formel 1-Rennen am Nürburgring Berücksichtigung gefunden hätten oder nicht.
In jedem Fall spielten also die Gutachten eine große Rolle. Die mussten auch immer wieder als „Feigenblatt“ für die als Zeugen geladenen Nürburgring-Aufsichtsräte herhalten. Beim unbefangenen Zuhörer musste der Eindruck entstehen, dass eigentlich die Gutachter, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, an allem Schuld sei. Deren Geschäftsführer der D-Niederlassung in Eschborn wurde auch als besonderns kenntnisreich dargestellt, wenn es um die Problematik „Nürburgring 2009“ ging.
Auch der Angeklagte, Prof. Ingolf Deubel, konnte am Ende der Zeugenvernehmungen durch Richter, Staatsanwalt und Verteidiger immer wieder ein paar Fragen stellen, was dann jeweils die Mienen der wenigen Zuhörer mit einem Lächeln verschönte. Deubels Stimme hat so einen ganz modernen, etwas schnarrenden, synthetisch wirkenden Computerstimmen-Klang. - Aber er hat sich dieses Mal jeweils relativ kurz gefasst.
Die Zeugen hatten sich entweder auf die Gutachten von Ernst & Young verlassen oder konnten sich nicht erinnern. „Tut mir leid!“ - Hat vielleicht deshalb Ernst & Young inzwischen die Firmierung geändert? - Möchte man nicht mehr mit der Nürburgring-Affäre, dem Nürburgring-Skandal in Verbindung gebracht werden? - Aus Ernst & Young wurde inzwischen „EY“. - Ganz einfach „EY“.
EY, EY, wer hat denn da die schönen, teuren Gutachten erstellt? - Da konnten doch die Aufsichtsräte eigentlich sicher sein, dass spätestens ab 2019 – oder doch früher? - am Nürburgring „Schwarze Zahlen“ geschrieben wurden. - Mit oder ohne Formel 1-Verluste? - „Tut mir leid, ich kann mich nicht erinnern.“
Das erinnerte mich ein wenig an den gerade erfolgten Auftritt der Insolvenz-Sachwalter der Nürburgring GmbH im Kreistag von Bad Neuenahr-Ahrweiler (am 28.6.2013), die man auch schriftlich mit Sachinformationen zum Thema Nürburgring versorgt hatte. - Passend.
Dort ist z.B. zu lesen, dass der Wert der „Infrastruktur einschl. Marken“ 700 Mio. Euro beträgt. Das stimmt nicht! - Oder die folgende Information ist falsch. Auf Seite 24 im KPMG-Verkaufs-Prospekt ist zu lesen: „Der Wiederbeschaffungswert der Infrastruktur (ohne Marken- und andere IP-Rechte) erreicht einen Betrag von € 700 Mio. ...“ -
Und so ging es jetzt auch hier in Koblenz um die Millionen, die lt. Aufsichtsrat-Zeugen noch für eine „Einschwungphase“ am Nürburgring gebraucht worden wäre. Und Ernst & Young hatte... - EY, EY, EY... - nun mit oder ohne Formel 1-Verluste? - Also... eigentlich... tut mir leid... ich kann mich nicht erinnern... aber ich denke... das könnte evtl. … - aber vielleicht doch nicht.
Es gab also so starke Aussagen wie die Persönlichkeiten stark wirkten. Und man bekam als Zuhörer eine Vorstellung davon, wie das wohl in Aufsichtsratssitzungen gelaufen ist. Wie sagte doch z.B. ein Aufsichtsratsmitglied (als er es noch war), wenn es mal wieder zu so einem wichtigen Treffen, „damals“, in der „guten alten Zeit“, ging: „Nun fahren wir mal wieder einen guten Tropfen trinken und ein paar leckere Häppchen essen.“ - Und Aufsichtsratssitzungen in Istanbul und London mussten auch schon mal – ganz dringend – sein.
So konnte man das damals sehen. Und wenn Motor-KRITIK dann später z.B. das ehemalige Aufsichtsratsmitglied Kühl (heute Finanzminister!) angeschrieben hat, um um Zusendung von Kopien der Aufsichtsrats-Protokolle zu bitten, dann wurde das mit der Argumentation abschlägig beschieden, dass doch schon der Untersuchungsausschuss... - und im Übrigen müsse man Betriebsgeheimnisse auch vertraulich... - Aber natürlich! (Eigentlich hatte Motor-KRITIK aber nicht nach der Speise- und Getränke-Karte gefragt. - Auch nicht nach den Kostenrechnungen für Istanbul und London.)
Am Montag-Nachmittag kam es dann zu einer unerwarteten, Aufmerksamkeit erregenden Situation, als sich der vorsitzende Richter tatsächlich traute (!), öffentlich zu Protokoll zu geben, dass ihn der amtierende Justizminister, Jürgen Hartloff (SPD), der auch für Montag als Zeuge einbestellt war, vier Tage vor seiner Vernehmung angerufen hatte, um ihn, den Richter zu fragen, was er ihn denn fragen wolle.
Der Justizminister ist übrigens Jurist, Rechtsanwalt und müsste eigentlich wissen, was bei einer Zeugenvernehmung „normal“, und was ein „Fauxpas“ ist. (Vorsichtig ausgedrückt!) Für ihn, sozusagen als „Vorgesetzter“ des Richters, schien es aber normal, dass man mal einen kleinen Mitarbeiter dumm fragt, damit der Chef sich präzise vorbereiten kann. (Übrigens: Als Justizminister ist Hartloff zwar gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungsberechtigt, nicht aber gegenüber der Richterschaft!)
Trotzdem ist das Verhalten – die Zivilcourage - des Richters zu loben, der sich mit dem Öffentlichmachen der Hartloff'schen Fehlleistung in der Politik keine Freunde gemacht hat. Der Herr Justizminister wird sicherlich noch einige Zeit unter dieser „Entgleisung“ zu leiden haben. - Der Mainzer Landtag wird’s ihm erklären.
Trotzdem reichte wohl die besonders gute Vorbereitung des Zeugen Hartloff nicht. Er konnte sich „nur grob erinnern“, wenn er offene Antworten – als Jurist und Anwalt besonders sensibel – als kritisch für ihn, seine Partei oder seinen damaligen großen Vorsitzenden und Visionär, Kurt Beck, empfunden hat. Der hatte sogar die eigentlich unverständlichen Finanzierungsversuche des Herrn Prof. Deubel verstanden. - Als Einziger.
LG Koblenz, Saal 102, war am 1. Juli 2013, tatsächlich mehr ein „Showroom“ als eine Stätte der Erkenntnis. Außer der, dass Politiker immer wissen was sie tun. Selbst wenn sie sich nicht erinnern können. - Darum waren auch zwei Fernsehteams vor Ort.
Was aber immer noch nicht die Frage des Verteidigers an diesem Montag von kurz vor zehn Uhr beantwortet: „Wie wird man prominent?“
Vielleicht genügt es, ein paar hundert Millionen Euro in den Sand zu setzen und sich nicht erinnern zu können. Dass aber wohl alle Politiker angenommen haben, der von Deubel als Investor vorgestellte Kai Richter wäre einer, dass ist nach der Aussage eines Wirtschaftsprüfers und Rechtsanwalts am Vormittag dieses Montags in Koblenz kaum vorstellbar.
Der verwies auf die damals erst kurze Existenz der Richter-Firma, darauf, dass auch nicht alle Bilanzen für die wenigen Jahre des Bestehens vorlagen, aber dass diese Feststellung auch nicht zu seinen Aufgaben lt. Auftrag gehört hätte. Er arbeitete im Auftrag eines Ressortleiters der ISB, der wiederum im Auftrag des Herrn Metternich, seines Chefs (auch auf der Anklagebank), arbeitete. Und der Zeuge arbeitete nur seinen Auftrag ab. Schließlich war seine Meinung nicht gefragt, sondern nur seine Sachfeststellungen. Und die hat er auch nur im Rahmen der Aufgabenstellung getroffen. - Für mehr wurde er nicht bezahlt.
So wird sicher auch Ernst & Young für all' die ermittelten Zahlen und Vorhersagen eine Menge Gründe nennen können – wenn denn mal der Geschäftsführer aus Eschborn vorgeladen werden sollte. Jeder hatte sich – das war mein Eindruck auch an diesem Verhandlungs-Montag in Koblenz – in irgendeiner Form abgesichert. Und machte eine entsprechende Aussage vor Gericht.
Und dann ging man das Zeugengeld abholen.
EY, EY, Chef! - Vielen Dank!
MK/Wilhelm Hahne