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Man hört interessante Formulierungen, versteht sie zwar nicht, aber plappert sie gerne nach, weil man damit offensichtlich Eindruck macht. Mit interessanten Formulierungen argumentiert z.B. die KPMG in ihrem „Teaser“ für das Projekt Nürburgring ihren „Haftungsauschluss“, der praktisch den Informations-Wert des gesamten 48seitigen Inhalts auf Seite 49 dann in Frage stellt. Die Insolvenz-Sachwalter machen es anders, verwenden z.B. gerne immer wieder die Formulierung „diskriminierungsfrei“. - Da fragt niemand nach. Im dem einen Fall scheint klar, dass man für ein Angebot für den Nürburgring – von dem die Anbietenden eigentlich keine Ahnung haben – nicht haften kann. Im anderen Fall macht sich eine unverständliche Vokabel wie „diskriminierungsfrei“ unerhört gut, macht offenbar glaubwürdig, hört sich so gut an wie z.B. auch „nachhaltig“. Beides sind Begriffe die man offensichtlich aktuell am Stammtisch, im Golfklub oder als Rechtsanwalt verwenden muss, wenn man „in“ sein will. Und wenn der andere sie nicht versteht? - Na, und? - Wer versteht sie schon? - Aber sie zeigen Wirkung. Schließlich fragt keiner nach. - Motor-KRITIK hat es mal gemacht. Weil bei Motor-KRITIK eigentlich alles hinterfragt wird, was man „anderswo“ so hinnimmt. - Wer möchte schon der einzige Blödmann auf der Welt sein? - Also bleiben wir mal bei „diskriminierungsfrei“. Und Motor-KRITIK macht gerne den „Blödmann“.
Mal nachgefragt!
Spezialisten benutzen Spezialausdrücke. Das ist fast „normal“ und von Branche zu Branche unterschiedlich. Wenn man einmal einen Vormittag z.B. in einer Düsseldorfer Werbeagentur unterwegs war, glaubt man auch nicht mehr, dass ein normales Deutsch zur Verständigung unter intelligenten Menschen ausreicht. - Werbeleute sind eben etwas Besonderes.
Diskutiert man „normale Entwicklungen“ in einer Marketingabteilung, weiß man, dass man eigentlich längst „out ist“, obwohl man die aktuelle Markt-Situation versteht und die Entstehung erklären könnte. - Aber leider nicht im „normalerweise“ in dieser (Marketing-)Sektion verwendeten „Fach-Chinesisch“.
China ist „in“ und immer ein Argument. Entweder für eine Situation oder für deren Lösung. Also redet man „Fach-Chinesisch“. - Was eigentlich auch keine Lösung ist.
Im ersten Halbjahr 2013 hat die deutsche Automobil-Industrie einen deutlichen Rückgang bei den Verkäufen von Neufahrzeugen hinnehmen müssen. - Aber das kriegen wir schon hin! - Das gleichen wir durch einen höheren Export aus.
Wie das geht? - Nun: Man füllt die notwendigen Papiere aus und verlagert die Lagerbestände von Neuwagen vom deutschem Boden z.B. (es ist wirklich nur ein Beispiel!) auf die andere Seite der deutschen Grenze. Sagen wir mal in den Elsass. Da gibt’s eine Menge stillgelegter Ziegeleien.
Man muss eben sicherstellen, dass die Statistik stimmt. Das kriegen wir schon hin. Und das in jedem Falle diskrimierungsfrei.
Ach, Sie meinen, das passt nicht? - Wissen Sie denn überhaupt was diskriminierungsfrei bedeutet? Wenn man einmal „googelt“ - aber wer macht das schon? - dann stößt man z.B. darauf, dass einem auch bei Google nicht geholfen werden kann. - Geben Sie bitte doch mal folgende Adresse ein:
http://www.wie-sagt-man-noch.de/synonyme/diskriminierungsfrei.html
Da scheint man es auch nicht zu wissen. - ??? - Man kennt kein Synonym!
Wichtig ist, man muss den Begriff auf der richtigen Ebene einordnen. Auf der politischen in diesem Fall. - Man muss das Ganze eben europäisch sehen. - Und juristisch. Das haben wir bei Motor-KRITIK dann mal versucht. Und waren erstaunt, wie einfach die Lösung ist. (Wenn man sie kennt.)
Es geht eigentlich um den Vollzug des Europarechts in der deutschen Rechtsordnung. Es müsssen an Hand des deutschen Verwaltungsrechts die europarechtlichen Grundlagen abgefragt werden. Denn: Beim Vollzug des Europarechts, dem Recht einer „Union“, ist man immer auf die Prozess- und Verfahrensordnungen der Mitgliedsstaaten angewiesen. In Deutschland gibt es z.B. keine speziellen Regelungen für den Vollzug von „Unionsrecht“.
Es gibt aber ein „Diskriminierungsverbot“ das besagt, dass deutsche Bürger beim Vollzug von Europarecht nicht schlechter gestellt werden dürfen, als das bei der Umsetzung nationalen Rechts in rechtsgültige Urteile der Fall sein würde. Auf der anderen Seite darf aber die Durchsetzung des Europarechts nicht durch – nennen wir es - „nationale Hürden“ erschwert werden. Evtl. vorhandenes nationales Recht muss also gegebenenfalls angepasst werden Diese Anpassung kann sogar so weit gehen, dass es zu einer – zumeist partiellen – Nichtanwendung vorhandener nationaler Vorschriften kommt. - !!! -
Wenn z.B. eine Beihilfe gegen Unionsrecht verstößt, ist es sogar dann eine rechtswidrige Maßnahme aus Sicht der Brüsseler Behörden, wenn sie nach deutschem Recht ordnungsgemäß erfolgte. - Was können wir da also aus Richtung Brüssel erwarten, wenn wir an den Fall Nürburgring denken?
So gibt es dann inzwischen auch eine „diskriminierungsfreie Ausschreibung“. Und im neuen „Landesgesetz zur Erhaltung der Zweckbestimmung des Nürburgrings“ ist dann von „ diskriminierungsfreie Nutzung“ die Rede. Überall und gerne wird der Begriff „diskriminierungsfrei“ benutzt und bei Nutzung des Begriffes in persönlichen Gesprächen bedeutungsvoll mit dem Kopf genickt. - Und kaum einer weiß was das ist – oder bedeuten soll.
Man versucht damit also dem im Europarecht vorhandenen „Diskriminierungsverbot“ zu entsprechen.
Womit für Motor-KRITIK aber z.B. nicht die Frage beantwortet ist:
Wie soll eine Firma, die durch die Auswirkungen einer europarechtlich verbotenen Beihilfe in die Insolvenz geführt wurde, diese Beihilfe zurückzahlen?
Die Insolvenz hat nach deutschem und nach Europarecht die gleiche Bedeutung und als Basis (normalerweise!) die gleiche reale Situation: Es ist kein Geld mehr vorhanden um vorhandene Forderungen zu erfüllen. Es ist auch das Eigenkapital aufgezehrt.
Im Falle der Nürburgring GmbH ergibt sich nach dem Motor-KRITIK vorliegenden Gutachten eines von Herrn Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser erstellten Gutachtens
eine Überschuldung der Nürburgring GmbH von 258.740.722,00 Euro
Ohne eine evtl. „Forderung“ der EU, die noch niemand kennen kann, weil das laufende Vefahren noch nicht abgeschlossen ist. Und wenn es abgeschlossen ist:
Was will man „einem nackten Mann aus der Tasche holen“?
Der in dem oben erwähnten Gutachten zu entnehmenden Vermögensübersicht ist zu entnehmen, dass mit einer
“freien Masse“ von: 89.440.842,00 Euro
zu rechnen ist, so dass die „Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens“, nämlich „das Vorhandensein einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse gemäß §§ 26, 54 InsO“ erfüllt sind. In dem Gutachten heißt es dann wörtlich:
„Die Kosten des Verfahrens gemäß § 54 InsO wurden ermittelt mit ca. 5.000.000,00 €. Die in der Vermögensübersicht ausgewiesene freie Masse übersteigt diesen Betrag.“
Motor-KRITIK möchte nicht versäumen – ohne auch diese Zahlen zu kommentieren – auf „Statistische Angaben“ am Ende des Gutachtens auf Seite 103 hinzuweisen. Dort ist zu lesen:
„Gläubigerforderungen: 356.375.254,00 €
Jahr der Gründung: 1927
Anzahl der Arbeitnehmer: 32“
Je mehr Details man zu diesem Fall von Insolvenz im Laufe der Recherchen* kennen lernt, desto weniger versteht man das alles. - Aber es scheint alles „diskriminierunsfrei“. - Darum sei zum Abschluss noch der letzte Satz aus dem Gutachten zitiert, das am 25. Juli 2012 in Auftrag gegeben und dem Insolvenzgericht am 29. Oktober 2012 zugestellt wurde:
„Dem Gutachten ist ein Beschluss des Gläubigerausschusses beigefügt, wonach dieser die Fortführung der Eigenverwaltung nach Insolvenzeröffnung befürwortet.“
Die Entscheidungen des Gläubigerausschusses sind eben „nachhaltig“.
MK/Wilhelm Hahne
*Leider sind viele Daten und Fakten im Fall „Nürburgring 2009“ und die inzwischen eingetretene Insolvenz einer „staatlichen GmbH“ nicht öffentlich, werden verheimlicht, verfälscht, geschönt und wenn es denn sein muss - geschreddert. Darum ist die Berichterstattung auf das angewiesen, was journalistische, investigative Recherche zutage fördert. - Im Idealfall müsste das so sein: “Staatliche Institutionen (sind) gegenüber der Gesellschaft rechenschaftspflichtig. Kontrolle ist insofern ein Wesenselement einer jeden Demokratie. Damit diese Kontrolle funktioniert, müssen die 'Kontrolleure', also in letzter Instanz das Volk, staatliche Entscheidungen bewerten, und das können sie nur auf Basis ihnen zur Verfügung stehender Informationen. Problem und Quelle des Misstrauens ist dabei nicht zu viel, sondern zu wenig Transparenz. In diesem Sinne kann die Offenlegung von (noch mehr) Daten, Fakten und entscheidungsrelevanten Argumenten zu mehr Vertrauen in staatliches Handeln und seine Akteure beitragen.“ - Das ist die Meinung von Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland. - Motor-KRITIK zitierte hier „diskriminierungsfrei“ und hoffentlich „nachhaltig“.