Motorsport heute: Event – kein Sportereignis!

Die Zuschauer-Lügen der Veranstalter am Nürburgring beweisen die Hilflosigkeit der Verantwortlichen. Der ADAC scheint immer noch voll im „Ramstetter-Trend“ zu liegen. Am Hockenheimring gibt man sich ehrlich, aber verzweifelt. Nicht nur Niki Lauda sucht (in DIE WELT) nach Erklärungen, auch jene Journalisten, die eigentlich immer versuchen „voll im Trend zu liegen“. Man sucht nach Erklärungen, warum der Motorsport für den normalen Fan unattraktiv geworden ist. Sollte man sich nicht auch fragen, warum der Inhalt einer Tageszeitung den normalen Bürger immer weniger interessiert? Und der Online-Journalismus geht mit sensations-triefenden Schlagzeilen, wohlabgestimmt auf die Ansprüche der vielen Suchmaschinen, auf Besucherfang. Es geht nicht mehr um Inhalte, sondern um „Visits“. Auch bei Motorsportveranstaltungen, die inzwischen keine mehr sind. Sie werden von „Eventabteilungen“ gestaltet, wollen mit einer Wundertüte von „Reizen“ zum Besuch animieren. Dabei ist die wichtigere „Basis-Tüte“, die „Sport-Tüte“, eigentlich schlaff und leer, obwohl sie von draußen betrachtet „aufgeblasen“ wirkt. Aber alles ist gut organisiert und mit Befehlsempfängern bestückt, die darauf verzichten eine Persönlichkeit zu sein, weil man sie gedrillt hat, nur ein angepasstes Verhalten diene dem Motorsport, dem Konzern, der Firma. - Und jeder Kameramann stellt sich in den Dienst der Sache. Es geht darum, „nach draußen“ ein eindrucksvolles Bild zu vermitteln. - Das ermüdet. - Auch den Zuschauer, weil er unterschwellig begreift, dass man ihn zu nutzen versucht. Als Masse, als Zahl für die Werbewirtschaft. Natürlich interessiert da nur die werberelevante Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren. - Da werden dann Zahlen für die Statistik – wenn es denn sein muss - „gemacht“. - Wie am Nürburgring. - Nicht erst seit diesem Wochenende.

Motorsport heute: Event – kein Sportereignis!

Es ist noch keine 20 Uhr am Sonntag, als ich zum ersten Mal die Zuschauerzahl beim ADAC Truck-Grand-Prix an diesem Wochenende beim SWR mit 170.000 genannt bekomme. Ich habe nicht nur die Live-Berichterstattung des SWR auf meinem Computer laufen gehabt, sondern weiß auch von Besuchern, die mit geschenkten Firmenkarten in deren Loungen (“...dat Büffett war doll!“) unterwegs waren, wie sich der Eindruck vom Zuschauerbesuch insgesamt wirklich darstellte.

Zu Dr. Kafitz-Zeiten wurde gelogen, Richter/Lindner hatten keine Angst vor großen Zahlen und jetzt schwingt wieder der ADAC Mittelrhein die große Zuschauer-Keule. Aber Achtung! - Wenn man genau hinschaut, dann ist der Veranstalter die...

Sport & Event FW Freizeit- und Wirtschaftsdienst GmbH Hohenzollernstr. 34, 56068 Koblenz.

Denn die hat auch den Eingang meiner Anfrage – noch am Sonntag – mit einer automatisch erstellten E-mail beantwortet:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Nachricht und das damit verbundene Interesse am ADAC Truck-Grand-Prix. Wir werden Ihre Anfrage sobald wie möglich bearbeiten.
Herzliche Grüße
Ihr Team vom ADAC Truck-Grand-Prix“

Das war um 22:23 Uhr und das Letzte, dass ich vom Veranstalter gehört habe. Ich hatte mich eigentlich nur nach der „Wahrhaftigkeit“ der (u.a. beim SWR) gehörten Zuschauerzahlen erkundigt. Heute, am Montag, war auf Seite 1 der „Rhein-Zeitung“ zu lesen:

„Sommer, Sonne, Truck-Grand-Prix – 170 000 Zuschauer kamen im Laufe der Veranstaltungswoche zum Nürburgring und wurden bestens unterhalten.“

„Veranstaltungswoche“? - Lt. Terminplan begann die am Freitag und endete am Sonntag. Ausgetragen wurde der sportliche Teil der Veranstaltung auf der so genannten „Kurzanbindung“ des Grand-Prix-Kurses. Die hat seit dem Bau der Mercedes-Arena (2002) eine Länge von 3,6 Kilometern.

Der Grand-Prix-Kurs des Hockenheimrings, auf dem am gleichen Wochenende der „Große Preis von Deutschland“ ausgetragen wurde, hat eine Streckenlänge von knapp 4,6 km (4,54 km), von wo man 52.000 Rennbesucher vermeldet. Selbst wenn diese Zahl nur auf das eigentliche Rennen bezogen sein sollte, ist die für Freitag und Samstag bestenfalls um 15- 20.000 Besucher höher zu nennen. Und das obwohl der Veranstalter nach dem Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft über Brasilien für jedes Tor eine Ermäßigung von 15 Euro gewährte. - Was sicherlich der Kasse wehe, aber den Zuschauerzahlen gut getan hat.

Am Nürburgring 170.000 Besucher zu vermelden ist eine Frechheit, weil wir „Normalos“ zu glauben versuchten, dass der ADAC seine kühnen, selbstherrlichen „Zauberaktionen“ à la Ramstetter nun abgelegt habe. Aber was den Vorgänger-Geschäftsführern der Nürburgring GmbH recht war, wird wohl auch für den „Neuzugang“ als Geschäftsfüher für gleich zwei GmbH's (NBG und CNG), Carsten Schuhmacher, zu einer billigen Lösung. - Und die Presse „frisst“ diese „Meldungen aus erster Hand“. - Kritiklos. Schließlich zitiert man nur.

Immer wieder hat Motor-KRITIK im Laufe des letzten Jahrzehnts auf die Unart der falschen Besucherzahlen am Nürburgring hingewiesen. Und andere Medien haben auch diese Kritik übernommen. Was sie aber nicht hindert, auch aktuell wieder „falsche Zahlen“ zu verbreiten.

Für die, die bisher immer an Wunder glaubten, lasse ich hier ein paar Zahlen aus den internen Unterlagen der sich aktuell in Insolvenz befindlichen Nürburgring GmbH zum Truck-Grand-Prix folgen:

Kalenderjahr Verkaufte Karten Publizierte Besucherzahl
1994 62.190 202.000
1995 66.640 200.000
1996 61.037 210.000
1999 70.965 250.000
2000 70.872 250.000
2002 71.114 220.000
2014 50.000 (MK-Schätzung) 170.000

Zum Formel 1-Grand-Prix am Nürburgring wurden z.B. in 2001, in der „guten, alten Zeit“ des Motorsport, exakt 113.127 Karten verkauft, aber 325.000 Besucher publiziert. - Und niemand hat sich daran gestört.

Wie sich das im Laufe der letzten Jahre „normalisiert“ hat, sieht man am aktuellen Zahlenbeispiel von Hockenheim, das nicht bezweifelt werden kann: 52.000 Besucher am Rennsonntag, dem 20. Juli 2014.

Aber auch die Formel 1 ist in 2014 nicht mehr das, was sie einmal vor Jahren noch war. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sich die Interessen der Zuschauer stark verlagert haben, aber der Motorsport insgesamt hat sich vom Zuschauer weg entwickelt.

Das ist auch bei der Formel 1 der Fall, die inzwischen gar von Luca di Montezemolo, den man nun wirklich nicht den „Spinnern“ zurechnen kann, als „Sparmeisterschaft“ bezeichnet wird, die von Ingenieuren per Funk ferngesteuert wird, indem weisungsabhängige Rennfahrer in der Art von Taxifahrern deren Ansprüche erfüllen.

Wie sehr Luca di Montezemolo recht hat, kann man leicht bei einem Vergleich von Qualifying-Zeiten und den gefahrenen schnellsten Runden im Rennen feststellen. In Hockenheim lag der Unterschied bei 4 sec (gegen Rennende!).

Rechnet man das einmal auf die Streckenlänge der Nürburgring-Nordschleife um, dann müsste es dort Unterschiede zwischen Qualifying und Rennen (z.B. bei den schnellen GT3-Fahrzeugen bei der VLN – allerdings einem Langstreckenrennen (!) - von gut 20 sec. geben. Tatsächlich liegt der Unterschied im Durchschnitt mehrerer Rennen verglichen, bei 5 sec, was – grob umgerechnet auf die Streckenlänge des Hockenheimrings einen Unterschied von 1 sec bedeuten würde.

Aber die modernen Rennfahrer der Formel 1 sind mehr „Sparmeister“. Aber einer breiten Öffentlichkeit wird mit allen möglichen Informationen klar zu machen versucht, wie man um den Gewinn von Zehntelsekunden kämpft. Gerade auf dem Gebiet der sichtbaren Aerodynamikteile am Formel 1 werden denen die tollsten Effekte angedichtet, die dann bei der Entwicklung den Einsatz von teuren Windkanälen erforderlich machen. - Sagt man.

Wenn aber an einem der schnellen Mercedes durch einen leichten Crash die teuren Teile vorne deformiert und zerstört werden, dann wirkt sich das in den Rundenzeiten der „Sparmeisterschaft“ fast gar nicht aus. Wie man am Mercedes-Leitstand zugeben muss. - Vielleicht hat es der Fernseh-Zuschauer nicht gemerkt. Der Rennbesucher sowieso nicht.

Aber Formel 1-Fahrzeuge entsprechen inzwischen in Sachen Zuverlässigkeit den Serienfahrzeugen. Ausfälle wegen Defekten an der Elektronik sind normal geworden. Da lässt sich schon mal ein Getriebe nicht mehr schalten, man kann kein Gas mehr geben und – als Sondereinlage für die Zuschauer – gibt es auch schon mal den Bruch eines Achsträgers oder eine Bremsscheibe macht Ärger. - Es ist doch beruhigend, dass das nicht nur bei nachlässig gewarteten Serienfahrzeugen passiert, sondern auch bei werksseitig von Spezialisten betreuten Formel 1-Fahrzeugen.

Natürlich liegt das alles nicht bei den Technikern, sondern bei denen, die über das Reglement entscheiden. Das ist z.B. die FIA. Die Besetzung an deren Spitze entspricht nicht dem, was eigentlich dort gebraucht würde. Aber das ist beim DMSB genauso. Und Bernie Ecclestone wird gerade entmachtet. Und manche „Trickser“ kommen sich dabei sicherlich pfiffig vor. Dabei hat Bernie die Formel 1 zu dem gemacht, was sie „gestern“ war. - Heute ist es nur noch ein Abklatsch davon.

Wenn Motor-KRITIK einen Nachfolger für Bernie Ecclestone nennen müsste – und man sollte sich durchaus darüber schon mal ein paar Gedanken machen – dann käme dafür nur Ron Dennis in Frage.

Aber jede der sogenannten „großen Rennsportserien“ hat ihre eigenen Probleme. Alle Verantwortlichen haben eines vergessen: Die Ansprüche und Bedürfnisse der Zuschauer.

So ist z.B. in den letzten Jahren ein deutlicher Trend zu Ein-Tages-Veranstaltungen spürbar geworden. Bedenkt man diese Entwicklung, dann weiß man, dass die Schaffung von zusätzlichen Hotelkapazitäten im Zuge des Projekts „Nürburgring 2009“ einer Wettbewerbsverzerrung in dieser Region gleich kommt. Es gibt ein Überangebot von Hotelbetten, das natürlich – wie selbstverständlich – von denen genutzt werden wird, die über die Rennstrecken-Kapazitäten verfügen. - Ob man bei der EU daran denkt?

Übrigens: Dem ADAC in Koblenz, bzw. seiner „Sport- und Eventabteilung“ ist zu meinen Fragen innerhalb eines Arbeitstages nichts eingefallen. Vielleicht braucht es noch einige Tage in Meetings, um eine griffige Worthülse zu produzieren. Dabei war die Veranstaltung durchaus auf eine neue Art von Zuschauern ausgerichtet, die kleinere Gruppe, die unter bestimmten Umständen auch eine Mehr-Tages-Veranstaltung an einer Rennstrecke akzeptiert. - Wenn sie denn den Spaß vermitteln kann, den man eben erwartet.

Meine Zuschauerbefragung hat ergeben: Man war sehr zufrieden. Die „Mischung“ hat beim Truck Grand-Prix offensichtlich gestimmt. Nur: Auch so lockt man keine 170.000 Besucher mehr in die Eifel. Es müssen sicherlich neue Konzepte angedacht, auch im Hinblick auf den Motorsport entwickelt werden, um die Ansprüche der Motorsport-Zuschauer zu befriedigen. Da müssen sich dann wohl in Zukunft auch die Marketingabteilungen ein wenig zurück nehmen, wenn man auch in den Aussagen über die Zuschauerzahlen der Realität ein wenig näher kommen will.

Die Automobilfirmen haben hier genauso den Bezug zur eigentlichen Basis verloren, wie bei der „Gestaltung“ der Preise für ihre hinreißend innovativen Premium-Modelle.

Und die „Investoren“ beim Kauf von Rennstrecken sowieso. Das betrifft sowohl den Kaufpreis als auch die Entwicklung der Kosten für Veranstaltungen. (s. auch „Rock am Ring“.)

MK/Wilhelm Hahne

 

Durchschnitt: 4.8 (bei 48 Bewertungen)

Kategorie: 

+ Hinweis für Leser – nicht nur an einem Abonnement Interessierte! +

 

Lieber Leser,

 

Motor-KRITIK ist vollkommen werbefrei, aber – darum – auch ein wenig abhängig von seinen Lesern. - Oder anders: Von Einnahmen. - Nicht alle Leser mögen sich gleich für ein Abo entscheiden.

Wenn Sie ab und an mal auf diesen Seiten vorbei schauen und Ihnen der hier gebotene investigative Journalismus gefällt, dann machen sie doch einfach ihre Zustimmung durch eine kleine Spende deutlich. - Auch kleine Beträge können – per Saldo – eine große Hilfe und Unterstützung sein!

Meine Kontendaten – auch wenn Sie Abonnent werden wollen - finden Sie HIER.

 

Danke!