Er ist gestern, am Freitag, dem 5. Januar 2024, vormittags im Alter von 95 Jahren gestorben. - Herbert Linge. - Da wird dann sicherlich oft bei den Pragmatikern einer neuen Generation zu hören sein: Ein schönes Alter! - Das ist sicherlich nicht falsch, aber wird der Bedeutung eines Herbert Linge für Porsche nicht gerecht. Herbert Linge war nicht nur ein Vertrauter von Ferry Porsche, hat nicht nur den Anfang, die ersten Erfolge, dann den Abstieg und das Wiederaufleben „seiner“ Firma erlebt, er war eine Persönlichkeit, der „seine Marke“ lebte, sich mit „seiner Firma“ identifizierte, sozusagen eine „innere Bindung“ empfand.
Und das in vielen Positionen. Und ohne Studium, ohne Doktor-Titel. Er konnte Porsche in vielen Positionen überzeugend vertreten. Er hat nicht nur bei Porsche – ab 1943 – als Lehrling gearbeitet, er wurde aufgrund seiner Fähigkeiten auch Rennmechaniker, baute in leitender Stellung Auslandspositionen von Porsche – z.B. in den USA – aus, war Rennfahrer, fuhr als „Stuntman“ für Steve McQueen im Film „Le Mans“, bei dem McQueen nicht nur Schauspieler aber auch Co-Produzent war.
Herbert Linge war kein Schauspieler. Auch wenn er 1970 im Film „Le Mans“ zwar zu sehen, aber nicht zu erkennen war. Eigentlich entsprach diese Rolle exakt der, die er in seinem ganzen Leben gespielt hat: Er war für eine breite Öffentlichkeit unauffällig. Aber ohne ihn wäre Porsche nicht in einigen Positionen auffällig geworden.
Herbert Linge arbeitet in der letzten Phase seines Lebens in leitender Position im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach. Weissach – die Stadt – die auch sein Geburtsort ist, verdankt ihm übrigens auch, dass das Porsche-Entwicklungszentrum dort gebaut wurde.
Er entwickelte auch das Rettungskonzept für Rennfahrer, dass dann zunächst in Deutschland von der ONS mit der Rettungsstaffel umgesetzt und auch nach Umbenennung in DMSB weiter geführt wurde. Herbert Linge profitierte hier nicht nur von seinen Erfahrungen als Rennfahrer, sondern er fühlte sich auch nach dem Tod seines Team-Kollegen, John Woolfe, in Le Mans 1969 geradezu dazu verpflichtet. Dessen Rennfahrer-Tod war Anlass für ihn, als Rennfahrer nicht mehr anzutreten.
1970 ist er in LeMans aber noch mal einen „Kamerawagen“ gefahren, der darum nicht gewertet wurde. - Er lief auf Platz 9 im Gesamtklassement ein!
Herbert Linge war praktisch für Porsche auf allen Rennstrecken der Welt unterwegs. Auch der Porsche-Cup war eine Idee von Herbert Linge. Für seine Arbeit um die Sicherheit der Rennfahrer, die schon besonders war, wurde er übrigens auch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Er hat niemals seine Rennsiege als etwas Besonderes empfunden. Er hat sich – wie das heute üblich scheint – auch niemals „vermarktet“ oder sich vermarkten lassen. Er empfand das, was er jeweils für seinen Arbeitgeber Porsche tat, als „normal“. In allen Positionen seines Berufslebens, in dem er nur einen Arbeitgeber hatte: Porsche! - Aus „moderner“ Sicht unglaublich!
Ich persönlich habe ihn – schon wegen meiner Eindrücke als Porsche-Verkäufer Ende der 50er-Jahre - als eine besondere Persönlichkeit empfunden, wie sie sich zu dieser Zeit eigentlich nur in inhabergeführten Firmen entwickeln konnte.
Als ich heute von seinem Tod erfahren habe, bin ich in ein Zimmer meines Hauses gegangen, wo eine Collage eine Wand ziert, die einer meiner Motor-KRITIK-Leser nicht nur geschaffen, sondern mir auch geschenkt hat.
Nicht nur dieses Bild hängt dort an der Wand, auch mit einer handschriftlichen Anmerkung von Herbert Linge versehen, sondern ich habe auch dort einen Kalender aufgestellt, der für mich besonders ist, weil er in seiner Art – handkoloriert – sehr gut den Übergang von Porsche in das 20. Jahrhundert verkörpert. Auch dieser Kalender wäre unvollkommen gewesen, wenn dort kein Hinweis auf Herbert Linge zu finden gewesen wäre.
Herbert Linge war einer jener Menschen, die die Automobilhersteller in Deutschland wirklich „nach vorne“ gebracht haben. Für mich ist er vergleichbar mit Rudolf Uhlenhaut, einem bedeutenden und fahrerisch perfekten Entwickler – „damals“ - bei Daimler/Mercedes. - Später war er dort Vorstand.
Ich vergesse nicht, dass Rudolf Uhlenhaut mal in den 50ern mit einem 300er Mercedes auf dem Bergabstück der Nürburgring-Nordschleife – hinunter nach Adenau - an mir „vorbei flog“. Ich fühlte mich eigentlich bis dahin dort auf meiner 125er-Doppelkolben-Puch (mit Doppelvergaser) wie ein König. Jedenfalls machte ich auf der Nordschleife „damals“ jede 500er BMW (R 51/2) „nieder“.
Herbert Linge habe ich als Zuschauer schon – in seiner Bedeutung für Porsche – richtig einschätzen können, als ihn mal neben Ferry Porsche – in einer hellbraunen Wildlederjacke – am Nürburgring („Karussell“) - bei der Beobachtung eines Rennens mit Serien-Porsche erleben konnte. Da fuhr übrigens dann noch ein Eberhard Mahle in der Spitzengruppe mit.
Das waren alles Leute, die man - mit dem was sie machten - ernst nehmen musste. Heute erlebe ich dagegen so manche „Darsteller“ von Positionen in der deutschen Automobilindustrie, die mir eigentlich in ihren Entscheidungen „wie Kinder“ vorkommen, weil sie „unfertig“ wirken..
Das mag an meinem Alter liegen. - Aber aus meiner Sicht zeichnet sich so auch das Ende einer Epoche ab. - Da ist dann der Tod eines Herbert Linge – im „schönen Alter“ – ein Zeitzeichen!
MK/Wilhelm Hahne