Muss man die Messdaten der Hersteller bestätigen?

Man sollte ab und an hinterfragen, ob etwas wirklich sinnvoll ist ,wenn man es nur macht, weil andere es auch machen. - Wenn man Motor-Journalist ist, wäre das z.B. beim Test von Automobilen und Motorrädern das Messen der Beschleunigung. Die Hersteller nennen in ihren Prospekten die Werte. Natürlich sind die unter optimalen Bedingungen gemessen und werden in den Tests der Fachzeitschriften eigentlich nur bestätigt. - Warum also messen?

Verlangt das eigentlich der Leser? - Der möchte gerne einem Test entnehmen können, ob das Automobil, das Motorrad, seinen Ansprüchen entspricht. - Wenn sich seine Vorstellungen von dem richtigen Automobil oder Motorrad rein auf die Höchstgeschwindigkeit oder die Beschleunigung von Null auf 100 km/h beschränken, dann genügt es eigentlich, in einen Prospekt zu schauen. - Wenn es denn noch einen gibt!

Den Praxisverbrauch eines Automobils oder Motorrades wird man dagegen nicht einem Werks-Prospekt entnehmen können. Da sind dann die Messungen, die bei einem Test erfolgten, schon interessant und eigentlich unverzichtbar.

Ideal wäre es, wenn der Leser einem Test oder Fahrbericht entnehmen könnte, ob das Fahrzeug seinen Ansprüchen entspricht – es zu ihm passt!

Als besonders unsinnig habe ich schon immer die Beschleunigungsmessungen bei Motorrädern empfunden und da – damals als Ressortleiter bei einer Zeitschrift für Motorradtests verantwortlich – schon mal mit meinem Chefredakteur lange Diskussionen führen müssen. - Der hat mir dann die Messungen in anderen Fachblättern vorgehalten. - Ich zitiere hier mal aus einem Test „von damals“, wo wirklich in einem Fachblatt – zum Thema Beschleunigungsmessung - zu lesen war:

„Bei einer Außentemperatur von 16 Grad Celsius, 1028 Millibar Luftdruck und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 62 Prozent, registrierte unsere Lichtschranke für den Sprint von 0 auf 100 km/h den Rekordwert von 2,8 Sekunden.“

Das hört sich sehr gut an, ist aber ein rechnerischer Wert, der wahrscheinlich so exakt ist, wie die Uhrzeitangabe einer Sonnenuhr. Ich habe schon vor vielen Jahrzehnten mit einem angehängten  Peislerrad die Beschleunigung eines Motorrades gemessen, weil aus meiner Sicht das die präzisere Messung war. - Trotzdem habe ich sie dann nach einiger Praxiserfahrung als unsinnig empfunden.

Ich habe darum nach einem Motorrad-Vergleichstest lange gebraucht, um meinen damaligen Chefredakteur davon zu überzeugen, dass man den Lesern auch mal die Problematik – um nicht von Unsinn zu sprechen – einer Beschleunigungsmessung bei Motorrädern deutlich machen sollte. - Ich zitiere hier dann auch wirklich gerne, was ich dann im Jahre 1977 in „motor magazin“ veröffentlichen durfte:

„Auf einer durch einen Autobahnbau für den Verkehr stillgelegten Landstraße werden unsere Messungen durchgeführt. Natürlich gehören dazu die modernsten Messgeräte im Wert von vielen tausend Mark, um die Beschleunigungswerte so objektiv wie möglich zu ermitteln.
Der Fahrer nimmt in Straßenmitte Aufstellung, hält die Maschine genau senkrecht, stützt sich mit beiden Füßen auf dem Boden ab, beugt den Oberkörper weit vor, bringt den Motor auf eine erhöhte Drehzahl und lässt jetzt – hier im Falle der Suzuki – die Kupplung schnell herein. Der Schlupf wird über das Hinterrad genommen. Die Maschine schießt leicht schwänzelnd wie ein Formel 1 davon. Zurück bleibt eine exakt 13 Meter lange schwarze Beschleunigungsspur vom durchdrehenden Hinterrad. Das war zuviel. Also das Ganze noch einmal. Dabei ist von den Vierzylindern die Suzuki noch am leichtesten zu starten.
Die Honda gibt einige Probleme auf, mit denen bei unserer Messfahrt nur einer unserer Tester perfekt fertig wird. Hier muss bei 6.000 U/min eingekuppelt, dann zunächst die Leistung über die Kupplung genommen werden, um dann nach einigen Metern den Schlupf auf das Hinterrad zu übertragen. Steht das Motorrad nicht ganz senkŕecht, bricht es seitlich aus; dann muss ein solcher Versuch querstehend abgebrochen werden.
Zugegeben – das sind genau die extremen Messmethoden, mit denen die Industrie die Werte in den Prospekten hochtreibt. Jedenfalls sind sie von einem normalen Motorradfahrer nicht reproduzierbar und damit im Grunde unsinnig.“

Ich höre jetzt schon meine Kollegen argumentieren: Aber der Leser will es doch so! - Ich würde sagen: Er nimmt das hin, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Dabei ist doch eigentlich jede Messung unsinnig, die für den Leser im Alltag nicht reproduzierbar ist.

Aber wer denkt schon über Sinn oder Unsinn nach, wenn er doch von allen gleichermaßen gemacht – und eigentlich von allen Lesern auch akzeptiert wird?

So machen eigentlich auch die Beschleunigungsmessungen bei Automobilen wenig Sinn. Aber sie sind immerhin reproduzierbar und objektiv. Während andere Bewertungen, die z.B. das Fahrwerk und dessen Abstimmung betreffen, immer subjektiv bleiben werden. - Oder nur so objektiv sein können, wie der Tester wirklich gut und erfahren ist.

MK/Wilhelm Hahne

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