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Bobby Unser ist gerade am 2. Mai gestorben. Ganz normal. Weil wir alle sterben müssen. Sabine Schmitz ist gestorben. - Zu früh! - Aber der Motorsport trug keine Schuld! - Es sind eine ganze Reihe von Motorsportlern gestorben. - Nicht im oder am Motorsport. - Sie alle haben im Leben Besonderes geleistet. Diese Leistung kann auch nicht mit den großartigsten Nachrufen gewürdigt werden! - Und warum wird in solchen Nachrufen dann oft der Verstorbene zum besten Menschen auf Erden? Ist wer stirbt, ein besserer Mensch als der, der er vorher im Leben war? - Ich habe auch Nachrufe geschrieben. Sie waren immer ehrlich. - Das hat niemanden gestört. - Mich hat gestört, wenn man am Grab große Reden geschwungen und den Verstorbenen dann vergessen hat. - In den letzten Wochen habe ich z.B. wieder „große Worte“ über Edgar Dören gelesen. - Ich würde mir gerne sein Grab ansehen! - Wie oft habe ich erlebt, dass große Worte zum Leben eines Verstorbenen gefunden wurden, um ihn dann zu vergessen. - Unvergessen sind die Leistungen großer Motorsportler, die im Nachhinein noch mal andere Dimensionen erreichen, weil sie von Leuten bewertet werden, die sie gar nicht gekannt haben! - Und die sie gekannt haben, haben sie vielleicht anders erlebt. - Aber es ist nicht der Motorsport, der seine Protagonisten vergessen macht, es ist das normale Leben, in dem die Leistungen so mancher Verstorbener unter gehen. - Insofern haben Motorsportler, die ihr Leben im Motorsport verlieren, eigentlich schon eine Sonderstellung. - Aber man sollte nicht übertreiben. - Nicht so! - Und nicht so!
Motorsport: Nicht immer an das Schlimmste denken!
Wolfgang Berghe von Trips wäre am 4. Mai 2021 93 Jahre alt geworden, wenn er nicht 1961 in Monza tödlich verunglückt wäre. - Hätte ich darüber -was? - schreiben sollen? - Ich erinnere mich noch gut, dass ich September 1961 aus einem Kino in der Duisburger Innenstadt kam und draußen auf der Straße ein Zeitungsverkäufer eine aktuelle Sportzeitung, die in Essen gedruckt wurde, wohl mit deren Titelgeschichte schreiend anpries:
„Graf Berghe von Trips in Monza tödlich verunglückt!“
Ich war geschockt, habe die Zeitung gekauft, gelesen und – geweint. Ich war damals 28 Jahre alt, hatte schon als Junge getönt, „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Der überraschende Tod dieses sympathischen Menschen, eines Rennfahrers mit Vorbildfunktion, hat mich tief getroffen. - Und ich hatte kein sauberes Taschentuch dabei!
Schon in den 50ern hatte ich von Trips bei der „Rheinlandfahrt“, die am Nürburgring gestartet wurde, auf einer 500er BMW zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Ich stand in der Kurve, die hinab führt in die „Hatzenbach“, als ein Motorradfahrer auf einer 500er BMW, die für mich zu den unfahrbaren Motorrädern dieser Zeit zählte (ich kannte sie aus eigenem Erleben!) sehr schnell und sozusagen in vorbildlicher Haltung, vollkommen unverkrampft, auf der Nordschleife unterwegs war.
• Unauffällig gut! - Unauffällig schnell! - Und dann mit so einer „Wackelkiste“!
Ich erinnere mich, dass ich – auch mit der 51/2 auf der Nordschleife unterwegs - dann angehalten habe, weil ich den Eindruck hatte, dass der Rahmen irgendwo unter dem Tank gebrochen war.
Darum ist mir auch der saubere Fahrstil des Grafen mit so einem Motorrad aufgefallen. - Ich hatte schnell im Programm nachgeschlagen, weil ich ihn damals noch nicht kannte.
Damals war die Nürburgring-Nordschleife wirklich noch eine „Grüne Hölle“, nur von dichten Hecken gesäumt. Die Doppel--Rechts hinunter nach Breidscheid nannten wir die „Spiegel-Kurve“. Wer dort mit dem Automobil richtig schnell war, fuhr sich mit einem Automobil häufig an der Hecke den linken Außenspiegel ab.
Ich erinnere mich, dass ich in jenen Jahren, auf der Nordschleife mit einer 125er Schalenrahmen-Puch mit Doppel-Vergaser (+ Magura-Sportgriff) unterwegs, exakt an dieser Stelle von einem wahnsinnig gut fahrenden Automobilisten überholt wurde. - Mit einem 300er Mercedes! - Ich war sprachlos! - Mit so einer „Kiste“ fuhr der einfach an mir vorbei! - Oben an Start- und Ziel habe ich dann den Fahrer gesehen – und war beruhigt: Es war Rudolf Uhlenhaut, wahrscheinlich der schnellste Entwicklungs-Ingenieur, den ich je kennenlernen durfte.
Für mich gehörte auch Graf Berghe von Trips – nur aufgrund meines ersten Eindrucks auf der 500er BMW – zu den wirklich guten Fahrern. Es war dann auch für mich keine Überraschung, dass er dann später mit schnellen Automobilen von Sieg zu Sieg fuhr.. Dass er in der Formel 1 mit zu den Schnellsten gehörte hat mich auch nicht überrascht. Mit einem Ferrari fuhr er schließlich eins der besten Formel 1-Fahrzeuge seiner Zeit.
Aber muss man eigentlich immer an wirklich gute Fahrer erinnern, wenn sie schon tot sind? - Wer sie erlebt hat, wird sie nicht vergessen. - Und wer sie nicht erlebt hat, wird auch keine Vorstellung davon haben, wie das damals war. - Das war „damals“ eine andere Art von Motorsport, der von einer anderen Art von Fahrern betrieben wurde, als man sie heute auf den Rennstrecken antrifft.
- Es ist nicht nur in diesen Jahren beim Wetter eine „Klimaveränderung“ feststellbar, es gibt sie auch im Motorsport!
Wenn man einmal daran denkt, wie sich auch der Kartsport entwickelt hat, der übrigens dank Graf Berghe von Trips mal nach Deutschland kam. Und es ist kein Zufall, dass eine der ersten Kartbahnen in Kerpen entstand. Es ist auch kein Zufall, dass Fahrer wie Michael Schumacher oder Heinz-Harald Frentzen auf dieser Bahn ihr Talent aufblitzen ließen, denn sie wohnten – ein paar mehr oder weniger Kilometer entfernt – im Umfeld dieser Bahn.
Es ist für unsere Zeit typisch, dass die Bedeutung des Kartsports „damals“, nun von der Bedeutung des SIM-Racing scheinbar abgelöst wird. - Auch der Rallyesport hat – auf das Interesse der Öffentlichkeit bezogen – eigentlich an Bedeutung verloren. - Es gibt inzwischen doch so schöne staubfreie Computerspiele!
Ich erinnere mich z.B. an einen Rallyefahrer, dessen Namen heute kaum noch erwähnt wird, der aber aus meiner Sicht zu den wirklich brillanten Fahrern seiner Zeit gehörte: Reinhard Hainbach. - Nein, er war kein Wunderkind, aber er war zu seiner Zeit ein sehr guter Rallyefahrer.
Er fuhr auch kein Wunderauto, als er in den Jahren 1978 und 1979 Deutscher Rallye-Meister wurde. Es war ein Ford Escort 1800 RS. Und es verwunderte nicht, wenn der Hauptsponsor von Hainbach die Firma Fichtel & Sachs in Schweinfurt war. - Reinhard Hainbach ist dort 1948 geboren.
Es hatte ihn aber damals nach Schotten (in Hessen) verschlagen, wo ich z.B. auch als junger Mann schon einen „Großen Preis von Deutschland“ für Motorräder erlebte. In den „großen Klassen“ hat man damals wegen eines Streiks der Werksteams deren WM-Status gestrichen, weil der Kurs um Schotten zu gefährlich war! Immerhin war er so um 16 Kilometer lang. Dort habe ich die BMW, die NSU mit ihren Werksfahrern erlebt, den harten Schlag der Einzylinder-Norton in ihrem Federbett-Rahmen gehört. - Wer erinnert sich noch an die AJS „Boy Racer“?
Die wurde später von Hans Baltisberger noch neben der Werks-BMW – und „Schorsch“ Meier und Walter Zeller - gefahren und ich erinnere mich, dass ich in einer Trainingspause in Spa, auf einer Wiese in der Sonne liegend, mit ihm über die Unterschiede im Fahrverhalten von BMW und AJS gesprochen habe. Sein eindrucksvoller Vergleich ist mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Er hat nichts über die BMW, sondern erklärend zur AJS nur gesagt:
„Bei der ‚Boy Racer‘ ist der Lenker nur notwendig, um die Hebel anzubringen. Sonst braucht man den nicht. Die ‚läuft den Augen nach‘.“
Ich hatte vorher schon mal gesehen, wie Hans Baltisberger mit der Werks-BMW auf der Nordschleife mit dem Lenker „gekämpft und gezaubert“ hatte – und habe ihn schon verstanden.
Aber jetzt mal endgültig einen Sprung zu Reinhard Hainbach, mit dem ich – es war 1979 – in seinem von SACHS gesponsorten Ford Escort zu einem Trip durch ein Stück Eifelwald mitgenommen wurde.
Ich bin immer gerne Motorrad gefahren, war gerne schnell als Autofahrer unterwegs. Aber zugegeben: Ich habe mich nie gerne auf den Beifahrersitz begeben. Besonders nicht bei Leuten, die mir – aus welchen Gründen auch immer – mal zeigen wollten, dass sie Auto fahren können.
An diesem Tag habe ich dann eine Ausnahme gemacht. Reinhard Hainbach war in 1979 gerade wieder auf dem besten Weg, die Deutsche Rallye Meisterschaft für sich zu entscheiden, da hat er mich zu einem kleinen Rundflug durch die Eifelwälder eingeladen. Ich sollte mir mal ein Bild machen, wie es in einem Rallyefahrzeug bei einer Sonderprüfung zugeht.
Da das niemals Spazierfahrten sind, habe ich mir nicht nur einen Sturzhelm aufgesetzt, sondern mich auch auf dem Beifahrersitz – dem „heißen Sitz“ – richtig fest anschnallen lassen. Auch wenn der Kraftfahrzeugmeister bei unserer Begegnung ein gewisses Vertrauen ausstrahlte und ich mich zu erinnern glaubte, dass er schon in der Vergangenheit nicht nur zu den guten, sondern auch zu den zuverlässigen deutschen Rallyefahrern zählte, so fühlte ich mich doch ein wenig unbehaglich.
Im Innenraum des Rallye-.Escort, der nach den damaligen Bestimmungen der Gruppe 1b vorbereitet war, sah es ziemlich zivil aus. Es waren Schalensitze eingebaut und ein richtiger Überrollkäfig ließ mich auch etwas beruhigter der ersten Kurve entgegen sehen.
Dieser Rallye-Escort war übrigens damals keine „Krachtüte“. Er musste – auch als Rallye-Fahrzeug – den Bestimmungen der StVZO entsprechen. Der Motor leistete – aus heutiger Sicht – lächerliche 160 PS. Aber das Eigengewicht des Fahrzeugs betrug auch nur 950 Kilogramm. Das macht knapp 6 kg/PS! - Junge Rallye-Piloten werden darüber lachen! - Aber das Lachen würde ihnen vergehen, wenn sie so ein Automobil „von damals“ im Wettbewerb fahren müssten!
„Damit Sie wissen wo’s lang geht“, fuhr Reinhard Hainbach mit mir den „Sonderprüfungskurs“ langsam ab. - Was der so langsam nennt! - Schon jetzt machte nicht nur das Fahrzeug, sondern auch mein Puls ganz schöne Luftsprünge.
Die Strecke, überwiegend ein ausgefahrener Waldweg, war voller tiefer Rillen und Löcher. Da hatten es die Stoßdämpfer – natürlich von SACHS – schon schwer, die Pirelli-bereiften „Beine seines Autos“ immer am Boden zu halten. - A-a-a-aber… es-s – ging-g-g – noch!
Aber das war nur die „Ouvertüre!
Zurück an den Ausgangspunkt unserer „Informations-Tour“ hat Reinhard Hainbach dann seinen Escort an die imaginäre Startlinie gestellt… 6.000 Umdrehungen… die Kupplung hart kommen lassen – und der Escort tänzelte, die Hinterachse trampelte ein wenig auf der Stelle, um dann in den Wald zu schießen.
Blitzschnelle Gangwechsel – und in der „dritten Welle 'flat'“ fliegen wir auf die erste Kurve in dem Hohlweg zu. Ich warte sehnsüchtig auf den Bremsvorgang, weil doch… - Dann spät, nach meinem Gefühl viel zu spät, erfolgt nur ein kurzes – aber kräftiges – Antippen der Bremse und irgendwie zeigt die Nase des Escort nun auf den Innenrand der Kurve. Mit kleinen Lenkausschlägen hält Hainbach den Escort auf „Querkurs“. - Ich stelle bei mir die ersten Schweißausbrüche fest.
Die nächste Gerade, über die der Escort mit leichten Rechts- und Links-Schwüngen tanzt, ist schon fast wieder Erholung. Ich bedaure aber nicht, meinen Motorrad-Nierengurt angelegt zu haben. - Es tut „Schläge wie die Sau!
Dann geht’s plötzlich scharf links; eine echte Spitzkehre. Während ich uns schon – dank der Masse des Escort – einige Bäume im vor uns liegenden Wald abholzen sehe, beschreibt der Escort, leicht wie eine Ballerina, nun eine Drehung um die Mittelachse. Hainbach hatte mit einem Stepptanz auf den Pedalen diesen Vorgang eingeleitet. Dazu gibt’s schwungvolle Armbewegungen mit dem Lenkrad. - Zwischendurch huscht seine Hand noch einmal – oder waren es zweimal? - zum Schalthebel.
Physikalische Gesetze scheinen für Hainbach ohne Bedeutung. Aber eigentlich überlistet er sie nur. Er kompensiert die g-Kräfte durch Vortrieb und… - Aber ich kann jetzt beim Mitfahren schlecht denken, denn ich starre inzwischen – wie eine Maus auf die Schlange – auf die nächste S-Kurve, die auf uns zuzufliegen scheint. - Das wird so nicht gehen, schießt es mir durch den Kopf.
Doch irgendwie geht das dann doch spielerisch leicht. Hainbach nutzt die Lastwechelreaktion des Escort zum Umsetzen des Schwungs auf die andere Seite und – es passt!
Inzwischen lasse ich diese Fahrerei, bei der ich nur durch das Seitenfenster nach vorne schauen kann, fast apathisch über mich ergehen. - Hainbach wird’s schon richten! - Und er richtet! - Mich auch ganz schön zu!
Als wir nach ein paar Runden auf dieser kleinen Sonderprüfungsstrecke anhalten, fühle ich mich, als wäre ich das ganze Stück zu Fuß gesprintet. - Reinhard Hainbach erklärt sachlich:
„Nun stellen Sie sich bitte vor, dass wir eine solche Sonderprüfung im Normalfall nicht trainieren können, alles „blind“ fahren.“
Danke! - Mir ist schon schlecht!
Dem Ford Escort scheint die ganze Schinderei durch den Wald nichts ausgemacht zu haben. Nur im Motorraum hört man’s leise knistern.
Nach dieser „Einführung“ in die Rallye-Welt verstehe ich sogar, dass für eine Firma wie SACHS diese Art von Motorsport ein gutes Versuchsfeld ist. Nirgendwo werden Stoßdämpfer extremer und nirgendwo Kupplungen härter belastet.
Aber ehrlich: Rallyefahren ist nichts für mich. Diese „Blindfliegerei“ wäre mir zu risikoreich. Aber sie ist verdammt eindrucksvoll. Vor allen Dingen auf dem Beifahrersitz. Und dann noch für einen Menschen wie mich, der sowieso… -
Verdammt! - Ich hätte mir doch noch ein sauberes Taschentuch zusätzlich einstecken sollen, um den Angstschweiß abzuwischen.
Durchatmen am Computer. - Selbst beim Schreiben habe ich mein Erlebnis aus den 70ern noch einmal durchlitten. Reinhard Hainbach wurde damals – 1979 - nochmal Deutscher Rallye-Meister!
Ich rechne mal nach – und muss schon lächeln: Damals war ich exakt um 50 Prozent älter als Reinhard Hainbach; heute sind es nur noch 22 Prozent!
Reinhard Hainbach fährt inzwischen – mit 72 - keine Rallyes mehr, aber ich kann noch immer darüber schreiben, bin – wie mir dabei einfällt – 72 Jahre im Besitz der Führerscheine 3 + 1!
MK/Wilhelm Hahne
PS: Nachdem ich noch einmal Korrektur gelesen habe, bin ich wirklich davon überzeugt, dass man beim Motorsport nicht immer an das Schlimmste denken sollte! - Auch „Touristenfahrten“ können ganz schön gefährlich sein!