Fand der Fortschritt in der Vergangenheit statt?

Ich werde schon mal gehänselt, weil es heute eigentlich zum guten Ton gehört, immer nach vorne zu schau’n. - Ich schaue – immer noch – beim Fahren gerne in den Rückspiegel. So werde ich auch nicht überrascht. Und als Journalist weiß ich, dass in vielen Archiven ungehobene Schätze schlummern. Archive sind aber nicht nur für Journalisten kleine Schatzkammern – bzw. könnten es sein. Als z.B. ein Ingenieur bei Mercedes vor vielen Jahren den Auftrag erhielt, einen neuen Rennmotor für den DTM-Renntourenwagen zu entwickeln, da ist der zunächst mal ins Archiv gegangen, um Fehler zu vermeiden, die andere vielleicht schon vorher gemacht hatten. Aber er ist auf viele gute Ideen gestoßen, die andere Mitarbeiter des Hauses schon vorher hatten. Aber die man zu der Zeit als sie „erdacht wurden“, nicht wirklich begriffen hat. - So ist das in der Automobilindustrie auch auf anderen Gebieten gegangen. Es hätte schon vor Jahrzehnten Automobile geben können, denen auch heute noch besondere Bedeutung zukommen würde. Aber der Begriff Risikobereitschaft ist an der Spitze von Automobilfirmen nicht weit verbreitet. Und so landete das Automobil, über das ich heute informieren möchte, zwar auf einem Ausstellungsstand der IAA in Frankfurt. - Aber als „Konzeptauto“! - Und sein „geistiger Vater“ verstand die Welt nicht mehr. Er hatte bis zuletzt geglaubt, dass sein Entwurf, der seiner Zeit voraus war, gerade aber darum in Serie gehen würde, weil dieses Automobil seiner Firma damit auch eine Alleinstellung im Markt gesichert hätte. - Aber „ganz oben“ wurde anders entschieden! - Schau’n wir mal, was – wenigstens - aus dem „geistigen Vater“ dieses Objekts geworden ist. - Es war ein tolles Objekt! - Und er ist – immer noch – ein toller Designer!

Fand der Fortschritt in der Vergangenheit statt?

Die IAA in Frankfurt war „damals“ alle zwei Jahre der Mittelpunkt der Autowelt. Für deutsche Besucher war es eine interessante Ein-Tages-Veranstaltung, weil sie für diese Besucher, die im Umkreis von 250 Kilometer um Frankfurt wohnten, bequem zu erreichen war.

Kein Wunder, dass 1989 mit rd. 1,2 Millionen Besucher die höchste Besucherzahl einer IAA erreicht wurde. Damals war auch noch eine Gesamtübersicht (Pkw + Lkw) möglich. Aber ich erinnere mich schon, dass ich um diese Zeit – mit einem Schrittzähler gemessen – an so einem einzigen Ausstellungstag um 16 Kilometer Fuß-Marsch auf dem Ausstellungsgelände zurückgelegt habe!

In 2021 wird das nun alles anders werden. Die IAA wurde an den Rand von Deutschland, ganz unten nach München verlegt. Vielleicht macht es für Ausländer keinen Unterschied, ob man das „Drehkreuz“ Frankfurt  oder den „besten europäischen Flughafen“, München, ansteuert, aber für „Inlandsbesucher“ liegt München zu weit abseits, um per Saldo dort mit Besucherzahlen aufwarten zu können, wie sie zu den „besten Zeiten“ der IAA in Frankfurt erreicht wurden.

  • Die „IAA MOBILITY 2021“ findet vom 7. - 12. September in München statt!

In diesem Jahr werden die Veranstalter gerne das Argument „Corona-Bedingungen“ nutzen, um die sicherlich die relativ kleinen Besucherzahlen zu erklären. Aber die werden sich bei einem Standort München für die IAA, auch in den kommenden Jahren nicht zu den in Frankfurt erlebten Höhen aufschwingen können.

Die 80er Jahre waren für die Automobilindustrie auch eine Zeit des Wandels, hin zur digitalen Welt. Noch zögerlich zwar, weil die Industrie noch nicht die Möglichkeiten erkannt hatte, die in einer „neuen Wertschöpfung“ lagen. Da ich heute aus einem bestimmten Grund mal auf das Jahr 1983 zurück blicken möchte, sei daran erinnert, dass man „damals“ einen Porsche 928 S mit einem 310 PS-V8-Motor und einigem „Schnick-Schnack“ für unter 90.000 DM erwerben konnte.

Das war eine Zeit, in der die Hersteller noch auf den geringen cw-Wert ihrer Karossen aufmerksam machten, wo man mit elektronisch gesteuerten Vergasern Verbrauchsvorteile zu realisieren versuchte und ein „Volkswagen“, der Golf II, für unter 15.000 DM zu erwerben war.

1983 war das Jahr, in dem ich mir vorzustellen begann, dass bei Opel nun auch langsam „Leben in die Bude“ kommen würde. Damals gab es auch wieder einen deutschen Vorstandsvorsitzenden, der sich eine Menge Gedanken machte und mir u.a. in einem netten, offenen Gespräch mal die Frage stellte:

„Herr Hahne, haben Sie eine Erklärung dafür, warum wir mehr Rekord als Kadett verkaufen?“

Da ich wusste, dass Ferdinand Beikler mal vorher in die Konzeption und Planung des neuen Opel-Werkes in Bochum – in dem der Kadett gefertigt wurde - eingebunden war, habe ich das mehr als das Unverständnis eines Mannes empfunden, der wusste wie ein Rekord und wie ein Kadett gefertigt wurde.

Ich wusste das übrigens auch, weil ich schon zu dieser Zeit auch an den Produktionslinien beider Modelle unterwegs gewesen war. Ich erinnere mich noch an die Stelle an der Produktionslinie in Bochum, wo man mit dem Gummihammer die Fensterrahmen der Türen in die ideale Position zum Türrahmen brachte. - Da kam man allerdings bei den normalen „Besucher-Führungen“ nicht vorbei!

Aber das alles ist nicht der Grund, warum ich begonnen habe diese Geschichte zu schreiben. 1983 auf der IAA hatte ich auf dem Opel-Stand ein „Konzeptauto“ entdeckt, dass mir Hoffnung machte, dass man in Rüsselsheim endlich begriffen hatte, dass man sich nicht auf solchen „Erfolgsmodellen“ wie den „Ascona“ und den „Rekord“ ausruhen konnte. Damals sagte ein Opel-Manager zu mir:

„Unsere Kundschaft kauft diese Modelle immer wieder. Da können wir machen, was wir wollen!“

Nun stand – 1983 - auf dem IAA-Stand ein Automobil, das man den Namen „Junior“ gegeben hatte. Ich weiß noch, dass ich innerlich den Kopf geschüttelt und gedacht habe: „Typisch Opel!“ - Warum hatte man dieses Fahrzeug nicht gleich „Enkel“ genannt?

Ich habe mich damals mit Information besorgt und war abseits der Stände – und des „Besucher-Rummels“ – unterwegs zu meinem nächsten mir selbst gesetzten Programmpunkt, als ich auf einen einsam dort stehenden Mann traf. Abseits der Leuchten und Strahler auf den Ständen, stand er sozusagen „im Schatten“.

Da ich ihn kannte, bin ich stehen geblieben um ihm zu seiner neuesten Schöpfung – exakt das „Konzeptauto“ auf dem Opelstand zu gratulieren. Das hat ihn nicht erheitert, sondern er hat mich gefragt:

„Können Sie mir sagen, warum ein solches Auto nicht in Serie gebaut wird?“

Ich ging bis zu diesem Moment noch davon aus, dass das eigentlich der „Prototyp“ eines kommenden Serienwagens war – und habe das auch zum Ausdruck gebracht. Der Mann, Designer und „geistiger Vater“ des gezeigten Opel-“Junior“ schüttelte den Kopf:

„Nein, dieses Fahrzeug wird nicht in Serie gehen. Es soll hier nur auf der IAA für Stimmung sorgen.“

Und er hat mir in diesem Zusammenhang noch etwas gesagt:

„In einem solchen Laden kann – und will – ich nicht arbeiten. Ich werde mir einen neuen Arbeitgeber suchen.“

Nach diesem Gespräch bin ich nachdenklich weiter gegangen, habe meine Informationen zu dem „Konzeptauto“ des Jahres 1983 gut verwahrt und möchte das Fahrzeug heute – im Jahre 2021 – meinen Lesern noch einmal vorstellen, an dieses – wie ich finde – tolle Konzept für einen Kleinwagen erinnern.

Aus der damals erhältlichen Informationsschrift möchte ich zunächst den Einstieg zitieren:

„Neue Ideen entwickeln sich stets angesichts bereits realisierter Konzepte. Alles Erreichte bildet direkt oder indirekt die Ausgangsbasis für andere Wünsche und Ansprüche. So entstehen Impulse für Innovationen. Die Voraussetzungen dafür sind Kreativität und Initiative. Bei Opel führten diese Faktoren zu der realistischen Studie eines zukunftsorientierten Mini, wie er bisher in der Bundesrepublik noch nicht gebaut wird. Das Ergebnis: Ein munterer Viersitzer mit einer Fülle interessanter technischer Lösungen. Sein Name: Opel Junior.“

Von außen betrachtet war es eine schlichte Karosse von 3,41 m Länge und einem cw-Wert von 0,31. Das Dach – ein zweigeteiltes Kunststoffteil - konnte gegen ein Falt- oder auch Glasdach ausgetauscht werden. Das Fahrwerk würde man heute als „simpel“ bezeichnen: Vorne McPherson-, hinten eine Verbundlenker-Achse. Mit dem aus dem Corsa bekannten 1,2 Liter-S-Motor (40 kW/55 PS) wäre der „Junior“ 150 km/h schnell gewesen. Sehr gut das Gesamtgewicht: 650 Kilogramm! - Die guten Ideen steckten – wie die Fotos zeigen – im Innenraum. Der war viersitzig angelegt. Die Ausstattung war pfiffig: Die Armaturen hatten nicht nur ein einheitliches „Würfel-Design“, sondern waren schnell ein- und umzustecken, denn Kontakte im Instrumententräger erübrigten jede Art von Verkabelung. Die Luftdüsen ließen sich in jede Richtung schwenken und die Uhr war gleichzeitig Reisewecker – weil herausnehmbar, auch wirklich als solcher wirklich nutzbar. Genauso wie das Casetten-Radio mit Lautsprecher, das als „Portable“ einfach mitgenommen werden konnte.

Die Sitzpolster waren herausnehmbar und ließen sich so als Liegedecken, aber auch als Schlafsäcke nutzen. Natürlich war auch eine Allradversion mit veränderbarer Bodenfreiheit angedacht. Dieses Fahrzeug hätte schon „damals“ – 1983 – mit einem Praxisverbrauch von zwischen 4 und 5 Litern Benzin pro 100 Kilometer aufwarten können.

Peugeot könnte es so heute noch - vielleicht mit dem bekannten kleinen Dreizylinder von Daihatsu (72 PS) - in die aktuelle Opel-Produktion übernommen haben. - Dieser „Junior“ würde dann einem Lada Niva nacheifern, der seit 1977 - technisch praktisch unverändert - gebaut wird. - Achten Sie mal auf die Heckklappe des Opel-“Junior“, die sich in der Art eines Taschenmessers faltet, damit man auch bei engen Parkflächen das Auto gut beladen kann. - Es gab hier innen wirklich viel Stauraum, wie z.B. in Staufachcontainer in den Türen oder Schubladen unter den Sitzen!

Der Designer des Fahrzeugs, der schon darunter gelitten hat, dass dieses Fahrzeug nicht in Serie ging, hat wirklich seinen Arbeitgeber gewechselt und den Golf III mit entwickelt. Er ist dann bei BMW gelandet und hat – weil dem Vorstand Dr. Reitzle der in England entwickelte Nachfolger des Ur-MINI nicht gefiel - dann praktisch mit ihm zusammen den neuen MINI entwickelt. - Ein Verkaufserfolg! - Trotz des zunächst verbauten – nicht unbedingt überzeugenden – Chrysler-Motors, weil man bei BMW keinen passenden Motor im Programm hatte.

Wie erklärte das dieser geniale Designer vor Jahren den Kollegen von „manager magazin:

„Das Schönheitsideal hat nichts mit dem Antrieb zu tun. Da spielen Proportionen, Details, die Grafik eine Rolle. Es ist wie beim Menschen: Wenn Sie einen hübschen Menschen sehen, ist es Ihnen egal, ob er Deutsch oder Französisch spricht. Sie sehen zuerst die Ästhetik der Person.“

  • Der Name des Designers: Gert Volker Hildebrand.

Er war auch bei anderen Automobilfirmen tätig und ist schließlich – Jahrgang 1953 – um nicht von BMW mit 60 in den Vorruhestand geschickt zu werden, als Chefdesigner für einen chinesischen Autohersteller tätig geworden.

Hildebrand hat auch in dem schon erwähnten Interview im Jahre 2009 mit dem „manager magazin“ gesagt:

„Mein persönliches Ziel ist es, über langlebiges, sauberes und nichtmodisches Design die Gültigkeit unserer Fahrzeuge über eine lange Zeit zu sichern. Das Auto soll nicht veralten.“

Wer 1983 den Opel-“Junior“ gesehen hat, der weiß, dass ihm das auch mit einem Opel hervorragend gelungen wäre. „Moderne“ Designer denken heute marketinggerechter. Wie man den Automobilen auch ansieht. - Es gibt immer weniger „Auto-Persönlichkeiten“!

Müssen gute Automobil-Designer heute wirklich in China arbeiten, wenn sie sich mit ihren Ideen verwirklicht sehen wollen?

MK/Wilhelm Hahne
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